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Studien Das fehlt beim Blick auf Antisemitismus

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(Quelle: Unsplash)

Dabei ist Antisemitismus in Deutschland allgegenwärtig und omnipräsent. Er zeigt sich in verschiedenen Formen: zum Beispiel als israelbezogener Antisemitismus, Post-Shoah-Antisemitismus oder als Verleugnung bzw. Verharmlosung des Holocausts.

Das wird durch Studien belegt. So machte dies in den letzten Wochen – wieder einmal – die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung deutlich. Sie zeigte, dass antisemitische, sowie rechtsextreme Einstellungen und Meinungen auf dem Vormarsch sind und in den letzten Jahren erheblich zugenommen haben. Die Studie attestiert, dass jede zwölfte Person in Deutschland ein rechtsextremes Weltbild teilt. Demnach sind also acht Prozent der Befragten klar rechtsextrem, was im Vergleich zur selben Studie von 2020/21 ein Anstieg von vier bis fünf Prozentpunkten bedeutet. Über sechs Prozent der Befragten befürworten eine Diktatur. Die Zustimmung zu antisemitischen Einstellungen stieg von 2020/21 von 1,7 auf 5,7 Prozent in der aktuellen Umfrage. Der Anstieg spricht für sich.

Rechtsextreme Einstellungen, Antisemitismus und Rassismus haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Das korrespondiert mit der gesellschaftlichen Stimmung, wie Laura Cazés (Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland) in einem Interview mit der taz deutlich macht: „Wir erleben in Deutschland immer wieder antisemitische Handlungen und Holocaustrelativierungen, und viele jüdische Menschen fragen sich: Was muss passieren, damit diese nicht immer wieder als Einzelfall, als Jugendsünde oder als Bagatelle abgetan werden?“Jüdinnen*Juden fühlen sich in Deutschland nicht sicher. Wie sollten sie auch, wenn antisemitische Vorfälle, wie das Beispiel Aiwanger jüngst zeigte, relativiert, ja gar ignoriert werden? Wenn Häuser wieder mit Davidsternen markiert oder Synagogen mit Brandsätzen angegriffen werden?

Doch wie findet man passende Lösungen gegen diskriminierende, antisemitische Tendenzen? Nur eine nachhaltige Beschäftigung mit Antisemitismus kann helfen. Diese Gesellschaft muss lernen, die Lage adäquat zu analysieren – und dann angemessen zu handeln. Viel zu oft findet sie keinen guten Umgang mit Antisemitismus. Eine große Rolle im Kampf dagegen könnte die Wissenschaft spielen: „Sie hilft Antisemitismus in all seinen Formen zu verstehen. Und besser verstehen heißt, besser bekämpfen zu können“, wie das Bundesministerium für Bildung und Forschung 2023 auf einer Tagung zur Antisemitismusforschung erklärt.

Frühe Forschungen zum Antisemitismus

Wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Antisemitismus sind keineswegs neu, sondern es gibt sie seit geraumer Zeit. 1944 schreiben Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung: „Der Antisemitismus ist ein eingeschliffenes Schema, ja ein Ritual der Zivilisation, und die Pogrome sind die wahren Ritualmorde. […] Erst die Blindheit des Antisemitismus, seine Intentionslosigkeit, verleiht der Erklärung, er sei ein Ventil, ihr Maß an Wahrheit”. Auch Hannah Arendt beschäftigt sich 1951 eingehend mit Antisemitismus in ihrem Werk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft und in vielen weiteren Schriften. Sogar Sigmund Freud schreibt schon 1939 in seiner religionspsychologischen Studie über die psychosozialen Motive des religösen Antisemitismus. Talcott Parsons befasst sich 1942 in The sociology of modern Anti-Semitism aus einem soziologischen Blickwinkel mit dem Thema

Bei alledem fällt aber auf, dass immer wieder eine Seite im wissenschaftlichen Diskurs zu Antisemitismus fehlt – oder jedenfalls unterrepräsentiert ist. Es gibt kaum Studien, die die Sicht der Betroffenen, also die Perspektive von Jüdinnen*Juden in Deutschland und in Europa abbilden.

Ein breites, strukturiertes Studiumsspektrum über antidemokratische und diskriminierende Tendenzen und Einstellungen in Deutschland ist allerdings vorhanden. Zum einen ist da die schon genannte Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem IKG Bielefeld (Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung). Die Studie wird seit 2006 alle zwei Jahre erhoben und versucht, die Entwicklungen und Hintergründe rechtsextremer, menschenfeindlicher und antidemokratischer Einstellungen anhand einer repräsentativen Stichprobe der deutschen Bevölkerung zu analysieren.

Daneben analysiert auch die Leipziger Autoritarismus-Studie die rechtsextremen und autoritären Einstellungen in Deutschland. Diese erschien erstmals 2002 an der Universität Leipzig und erfolgt seitdem im Zwei-Jahres-Takt.  Auch die Bundesregierung beauftragte 2017 im Zuge des „Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus” eine wissenschaftliche Studie über Antisemitismus in Deutschland. Zusätzlich erscheint der Antisemitismus Index weltweit der ADL (Anti-Defimation League). Dieser zeigt die Stärke von Antisemitismus sowie Meinungen und Einstellungen über Jüdinnen*Juden weltweit. Dieser ADL Global 100 erscheint seit 2014 für 102 Länder.

Deutlich wird, dass eine breite Palette an systematischen, wissenschaftlichen Analysen über die Täter*innenseite von Antisemitismus vorhanden ist. Diese Perspektive ist gut erforscht und äußerst wichtig, um antidemokratische, diskriminierende Einstellungen und Tendenzen in Deutschland festzustellen und Lösungen dagegen zu finden. Denn dafür müssen Thesen über antisemitische Strömungen aufgestellt werden, Informationen gesammelt und analysiert werden, was nicht nur durch die oben genannten Beispiele getan wird, sondern auch durch viele weitere Studienarbeiten.

Trotzdem muss auch die Perspektive der Betroffenen von Antisemitismus, sprich die Seite von Jüdinnen*Juden erforscht werden. Diese kommt allerdings in Deutschland und in ganz Europa zu kurz. Nur wenige Beispiele prägen hier die wissenschaftliche Analyse: Im Jahr 2013 erschien zum ersten Mal durch die Agentur der europäischen Union für Grundrechte (FRA) die Antisemitismus-Studie Discrimination and hate against Jews in EU Member States: experiences and perceptions of antisemitism,welche Jüdinnen*Juden direkt zum Thema und zu den Erscheinungsformen befragte. 2018 erschien die Folgestudie der Agentur.

Zudem veröffentlichte die Universität Bielefeld gemeinsam mit dem IKG (Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung) eine Studie, welche die jüdische Perspektive auf Antisemitismus in Deutschland beschrieb. Die Befragungen zeigen erst die Fülle von Antisemitismus in Europa und Deutschland, welcher dazu führt, dass sich Jüdinnen*Juden nicht sicher fühlen, dass sie ihre Identität oft verstecken und dass sie immer wieder mit Angriffen rechnen müssen.

Dieses Jahr erscheint ein weiteres Mal die Studie der Agentur der europäischen Union für Grundrechte (FRA). Diese ist enorm wichtig. Doch insgesamt ist das einfach zu wenig. Noch immer gibt es keine breite Palette an systematischer Betroffenenforschung zu Antisemitismus in Europa oder in Deutschland. Eine Studienarbeit alle fünf Jahre reicht nicht aus, um diese Perspektive weitreichend zu analysieren – und damit frühzeitig verheerende Tendenzen kommen zu sehen. Damit wird die wichtigste Perspektive, die der Betroffenen, weder gesehen noch gehört. Die Gesellschaft kann sich nicht verändern, sie kann nicht divers und tolerant werden, wenn den Menschen, welche von Diskrimierung und Marginalisierung betroffen sind, keine Stimme gegeben wird. Also braucht es dringend eine Diversifizierung der Antisemitismusforschung, um endlich Lösungen für die antisemitischen Tendenzen aufzubereiten – und um zu begreifen, inwiefern Antisemitismus den Alltag von Jüdinnen*Juden prägt.

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