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Sturmvogel „Dieser Nachwuchs sieht sich als Elite des Nationalismus“

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Völkisches Zeltlager der "Stumvogel" auf dem Immenhof. Bünde wie der "Sturmvogel" geben seit Jahrzehnten rechtsextremes Kulturgut ungehindert an die nächsten Generationen weiter. (Quelle: isso.media)

Ende Juli zelteten rund 30 junge Menschen in dem 70-Einwohner-Dörfchen Annenhof in der Mecklenburgischen Seenplatte. Die Kinder und Jugendlichen tragen Uniform, die Mädchen alle schwarze Röcke und Zöpfe. Auf den Hemden und Blusen ist der Valknut in schwarz-weiß-rot abgebildet. Jenes Symbol flattert auch auf Fahnen über dem Camp. Die drei ineinander verschlungenen Dreiecke, der Wotansknoten, auch Valknut genannt, ist ein Erkennungszeichen moderner Nazis. Auf einer kleinen Fahne ist das Zeichen des Irminsul oder Erminsul zu sehen. Zur Zeit der Nationalsozialisten wurde das Symbol der Irminsul zu einem Gegensymbol zum christlichen Kreuz und ist heute das Organisationssymbol der heidnisch-neonazistischen „Artgemeinschaft“. Zudem ziert ein Wolfssymbol die Rückenseite der Hemden der jungen Teilnehmer*innen, so berichtet es der NDR. Die Kinder und Jugendlichen sind Mitglieder der rechtsextremen Jugendorganisation „Sturmvogel – Deutscher Jugendbund“ und das Zeltlager ist ein Indoktrinierungs-Camp von Neonazis für Neonazi-Kinder. Behörden haben dennoch kein extrem rechtes Sommerlager erkannt.

Nur wenige Tage später findet ein ähnliches Jugendlager des „Sturmvogels“ in Niedersachsen statt, auf dem „Immenhof“ in Hützel in der niedersächsischen Gemeinde Bispingen in der Lüneburger Heide. Einheimische dachten anfänglich, so erzählen sie es der taz, dort würde ein normales Jugendlager stattfinden. Doch die Jugendlichen sahen so „blond aus, so auffällig blond aus“, die waren „so urdeutsch aufgemacht“. Auch hier wurde der neofaschistische Nachwuchs geschult und körperlich ertüchtigt.

Die völkisch-nationalen Jugendlagern wie die des „Sturmvogels“ sind Teil einer weitreichenden, rechtsextremen Parallelwelt. Systematisch werden Kinder und Jugendliche an eine menschenverachtende Ideologie herangeführt und im völkischen Sinne sozialisiert. Ziel ist es, eine rechtsextreme politische Elite zu formen, die nachhaltig im Sinne der in Zeltlagern gelernten Traditionen lebt und handelt. Außerdem sind eigene Beschäftigungsangebote innerhalb der Rechtsaußen-Szene ein wesentlicher Bestandteil im Abschottungsprozess, mit dem rechtsextreme Eltern ihren Kindern erschweren, mit nicht-rechten Jugendlichen und Familien in Kontakt und mit der elterlichen Ideologie in Konflikt zu gelangen. Besonders im Jugendalter ist die Gefahr groß, dass sich indoktriniertes Gedankengut verfestigt.

In der Tradition der Hitlerjugend

Camps wie diese sind nicht einfach nur Zeltlager mit altbacken gekleideten Menschen, die Brauchtumspflege betreiben. Seit 1945 gibt es in Deutschland Organisationen, die in der Tradition der Hitlerjugend (ab 1933) stehen und das faschistische und völkische Gedankengut weitertragen wollen. Hier soll eine weiße Elite von klein auf herangezogen werden, mit der Bestimmung, das kulturelle Erbe des deutschen Volkes zu wahren. „Gruppen wie der Sturmvogel, die Ludendorffer, rechte Gildenschaften oder weitere rechte Organisationen, die Jugendarbeit leisten, prägen den völkischen Gedanken von Kindesbeinen an“, erklärt die Fachjournalistin und Expertin Andrea Röpke gegenüber Belltower.News. In diesem Jahr sei besonders deutlich geworden, wie eng verbandelt die heterogene neonazistische Szene ist. Bei dem „Sturmvogel“-Lager in Bispingen in der Lüneburger Heide etwa schulten Aktivist*innen aus dem Spektrum der sogenannten „Identitären Bewegung“, Neo-Artamanen (Anm. d. Red: extrem rechte Siedler) und „Studenten Stehen Auf“ die Kinder und Jugendlichen. „Dieser Nachwuchs sieht sich als Elite des Nationalismus.“

Für Neonazi-Familien leisten rechtsextreme Jugendorganisationen einen wichtigen Beitrag. Die wohl bekanntesten Indoktrinierungs-Lager für angehende Neonazi-Männer und –Frauen waren die 1952 gegründete „Wiking-Jugend“ und die 1990 gegründete „Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ). Beide wurden wegen ihrer Nähe zum Nationalsozialismus verboten. Die „Wiking Jugend“ hatte zum Zeitpunkt ihres Verbots 1994 zwischen 400 und 500 Mitglieder. Die Nachfolge „Heimattreue Deutsche Jugend“ hatte bis zum Verbot 2009 auch rund 400 Mitglieder. Nicht verboten wurde bisher unter anderem der „Sturmvogel – Deutscher Jugendbund“. Genau wie ihre Vorgänger tragen die Mitglieder Uniformen, organisieren Zeltlager und Sonnenwendfeiern und indoktrinieren junge Menschen mit neofaschistischem und völkische „Rassenhass“.

Edda Schmidt: Geistige Mutter der völkischen Kinder-Indoktrinierung

Der „Sturmvogel – Deutscher Jugendbund“ entstand nach internem Zwist bereits 1987 als Abspaltung der „Wiking Jugend“ durch NPD-nahe Akteur*innen. Eine Mitbegründerin des „Sturmvogels“ war Edda Schmidt aus dem Baden-Württembergischen Bisingen. Die völkische Aktivistin echauffierte sich damals offenbar derart über Verstöße gegen das Alkohol-, Nikotin- und Jeansverbot in der „Wiking Jungend“, dass sie daraufhin gemeinsam mit einigen anderen den rechtsextremen Jugendbund verließ und den „Sturmvogel“ gründete. Schmidt gilt als Brauchtumsexpertin der NPD und betont, wie wichtig Veranstaltungen Vernetzungs- und Schulungs-Treffen für die Szene sind: „In unseren Festen ist trotz der Überfremdung die Weltanschauung des nordischen Menschen erhalten geblieben. Die Brauchtumspflege ist ein Bollwerk gegen Umerziehung“.

Edda Schmidt kommt selbst aus einer Nazi-Familie. Ihre Mutter war im Dritten Reich Anführerin des „Bundes Deutscher Mädel“. Ihr Vater Sepp Biber war Panzergrenadier der „Waffen-SS“ und blieb bis zu seinem Tod 2016 aktiver und anerkannter Nazi. Er war Funktionär der „Wiking Jugend“ und der „Artgemeinschaft“, Referent bei HDJ und „Nationalistischer Front“ sowie stellvertretender NPD-Landesvorsitzender in Baden-Württemberg.

Laut Endstation rechts ist Edda Schmidt rechtskräftig wegen Aufstachelung zum Rassenhass, Volksverhetzung und Verbreitung jugendgefährdender Schriften verurteilt. Sie amtierte vom Oktober 2010 bis Februar 2012 als Bundesvorsitzende der NPD-Frauenorganisation „Ring Nationaler Frauen“ (RNF) und engagierte sich bei der 1995 verbotenen „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) und der 2011 verbotenen „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.“ (HNG). 2015 trat sie im NSU-Prozess als Zeugin auf. Tatsächliche Verbindungen zu Uwe Mundlos, Uwe Böhnhard und Beate Zschäpe konnten ihr bisher zwar nicht nachgewiesen werden, dafür aber der Kontakt zum verurteilten NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben. Dessen Verteidiger wiederum, Wolfram Nahrat, war der letzte Vorsitzende der mittlerweile verbotenen Wiking-Jugend, deren Mitglied und Funktionärin Schmidt war.

Edda Schmidt, ist eine der bekanntesten Frauen der NPD. Sie gilt als Expertin für „Rassen-Ideologie“, Brauchtum und völkische Feiern. Frauen stehen in ihren Augen als Mütter mit ihren Kindern im „politischen Einsatz“, weil sie „für den Fortbestand unseres Volkes sorgen“. Schmidt verkündete vor Jahren, dass alle ihre Kinder und Enkel „im nationalen Lager“ seien, so schreibt die taz.

Rechtsextreme Jugendorganisationen rauben Kindern die Möglichkeit, selbstbestimmt und vielfältig zu leben

„Seit Generationen werden Kinder und Jugendliche in rechten Bünden wie ‘Sturmvogel‘, ‘Freibund‘ oder ‘Fahrende Gesellen‘ politisch und kulturell auf Linie gebracht“, erläutert Andrea Röpke. Die Lager dienen etwa zur „Pflege des germanischen Brauchtums“. Es werden Sonnenwendfeiern oder das „Julfest“ gefeiert. Wichtig sei es, Kinder und Jugendliche aus „gleichgesinnten“ Familien zusammenzubringen und ihnen zu zeigen, was „Volkstreue und Gemeinschaft“ bedeuteten. Dazu gehört auch, die Rollen von Frauen und Männern in dieser Gemeinschaft festzulegen und ihrer „natürlichen“ Bestimmung nach zu definieren. Das heißt, dass Frauen eben gebären und sich ihren Kindern ergeben und Männer ihre Stärke zum Schutz der Familie einsetzen – alles für ein imaginiertes  Volk.

„Diese Bünde setzen der modernen Gesellschaft, Gleichheitsprinzipien und Emanzipation autoritäre Wertvorstellungen, nationalistische Romantik und Opferbereitschaft zum Erhalt des deutschen Volkstums entgegen“, so die Fachjournalistin Röpke. Mit Lagern und Fahrten in alle möglichen Regionen der Welt sollen die Kinder „wahre“ Gemeinschaft – fernab der demokratisch und liberal geprägten – kennenlernen. Rechtsextreme Jugendorganisationen würden unter den Augen von Behörden Tausenden Kindern die Möglichkeit rauben, selbstbestimmt und vielfältig zu leben, warnt Röpke. „Sie sind eine Kaderschmiede für rechte Organisationen, Denkfabriken und Parteien.“

„Die Polizei sieht wohlerzogene uniformierte Kinder, die gehorchen“

Seit 2021 gilt „Der Sturmvogel – Deutscher Jugendbund“ als Beobachtungsobjekt des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Und doch bleibt diese Organisation weitestgehend unterm Radar von Verfassungsschutz und Polizei, „da die Szene durch klassische Observationsmaßnahmen nur schwer zu beobachten und es so gut wie unmöglich sei, verdeckte Ermittler*innen und V-Leute einzuschleusen“, so das Katapult Magazin im August 2022.

Diese völkischen Jugendorganisationen versuchen, bewusst unpolitisch und privat zu agieren, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Lokale Behörden erkennen die Relevanz und die politische Verortung solcher Camps entweder gar nicht oder zu spät. „Wenn die Polizei auf Lager wie in Bispingen stößt, dann sehen sie wohlerzogene uniformierte Kinder, die gehorchen“, beschreibt Andrea Röpke gegenüber Belltower.News. Indoktrination und durchaus auch Unterdrückung von Kindern werde dabei übersehen, ebenso wie der soldatische Charakter dieser Erziehung.

„Die völkische Ideologie, die auch Björn Höcke vertritt, wurde nach 1945 kaum thematisiert.  Netzwerke und Strukturen haben sich über Brauchtum, Volkstanz, Musik und nationale Dichtung im Hintergrund am Leben erhalten, fielen aber nicht auf“, analysiert Andrea Röpke. Volkstümlichkeit habe einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft, der Übergang zu fanatischem Nationalismus werde bis heute nicht erkannt. „Die rechtsextreme Szene nutzt dieses Versagen gegenüber den Völkischen und tritt seit 2022 viel provokativer mit nationalem Brauchtum als Identitätsmerkmal auf.“ So auch in der Indoktrinierung von Kindern.

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