Vor der Europawahl tauchen Videos auf TikTok auf, die vor Wahlfälschungen warnen. Auf das Geraune folgen am 9. Juni, also dem Tag der Wahl, Videos, die vermeintliche Unregelmäßigkeiten nachweisen sollen. In den Trends auf TikTok steht Wahlbetrug weit oben. Insbesondere im Hinblick auf die kommenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg als auch die Bundestagswahlen 2025 drängt sich die Frage auf: Wie umgehen mit derlei Falschinformationen, die das Vertrauen in demokratische Prozesse zerstören sollen?
Wer TikTok-Videos zur Europawahl angesehen hat, ist womöglich über Inhalte gestolpert, welche die Integrität der Wahl infrage stellen. In der Regel Videos von AfD-Unterstützer*innen, die sich offenbar sicher waren, dass das Ergebnis für die rechtsextreme Partei manipuliert werden würde. Dabei bieten die entsprechenden Videos nicht zuletzt auch einen Einblick in die verzerrte Wahrnehmung der Szene. Beispielsweise ruft eine Creatorin ihre Zuschauer*innen eine Woche vor der Wahl dazu auf, in die Kommentare zu schreiben, ob sie AfD wählen werden. Das Ganze getaggt als #wahlbetrugverhindern. Die Frau erklärt: „wenn schon ganz viele irgendwo gesagt haben, wir wählen die AfD, dann müssen ja wenigstens die irgendwo als Stimme ersichtlich sein.“ Mit Videos wie diesen werden gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Infragestellung demokratischer Wahlen plus Erhöhung des Engagements auf den eigenen Videos und damit schlussendlich auch mehr Sichtbarkeit auf der Plattform.
Wahlhilfe bei TikTok
Andere User verbreiteten im Vorfeld der Wahl die Erzählung, dass Wahlhelfer*innen angeblich AfD-Stimmen nicht zählen würden und dass online aktiv dazu aufgerufen würde. Um das zu verhindern, gibt es Ratschläge: Eigenen Kugelschreiber mitbringen, darauf achten, dass die Wahlurne verschlossen ist und ein Foto des Wahlzettels an die AfD schicken. In Paragraf 49 der Europawahlordnung heißt es übrigens: „In der Wahlkabine darf nicht fotografiert oder gefilmt werden“. Fotos von Unterlagen zur Briefwahl werden hier nicht behandelt, aber der könne man laut vielen Wahlskeptiker*innen noch weniger trauen als der Stimmabgabe vor Ort.
Auch direkt im Anschluss an die Wahl ließ der Zweifel gegenüber der Integrität des Wahlprozesses nicht nach. So verbreitete sich auf TikTok beispielsweise ein Video, welches vermeintlich Stimmzettel der Europawahl in einem Müllcontainer zeigte, und so als Beweis für Wahlbetrug herangezogen wurde. Wie Correctiv berichtete, handelte es sich tatsächlich um entsorgte – und klar markierte – Zettel der Juniorwahl, also Wahlzettel, die zur Wahlsimulation an Schulen in Nordrhein-Westfalen eingesetzt werden. Ein anderer User behauptet, er habe Beweise, dass Stimmen für die AfD von Wahlhelfer*innen geschreddert worden seien, die vermeintlichen Beweisvideos zeigt er allerdings nicht und der Wahlleitung ist von solchen Vorfällen bisher nichts bekannt. Die Bundeswahlleiterin rief auf X dazu auf, dass Bürger*innen, sollten sie in einem „konkreten Fall Unregelmäßigkeiten beobachten“ diese der Kreis- oder Stadtverwaltung melden. Gegen Wahlergebnisse könnten bis zwei Monate nach der Bekanntgabe noch Einspruch erhoben werden.
Schlechte Verlierer*innen?
Der Zweifel an der Richtigkeit der Wahlergebnisse kommt nicht von ungefähr. Die AfD stellt schon seit geraumer Zeit die demokratischen Prozesse der BRD infrage. In einem Paper von 2023 beschreibt der Sozialwissenschaftler Christian Schnaudt, dass laut Daten der „German Longitudial Election Study“ (GLES) insbesondere Kandidat*innen populistischer Parteien die Integrität demokratischer Wahlen in Deutschland anzweifelten. Dabei sei bemerkenswert, dass Parteizugehörigkeit den größten Einfluss auf die Einschätzung der Wahlintegrität habe, die meisten Kandidat*innen also die allgemeine Rhetorik der Parteien zur Integrität der Wahlen übernehmen würden. Weiterhin beobachtet Schnaudt, dass die Einschätzung der Wahlintegrität bei Politiker*innen eng verknüpft mit dem Wahlergebnis sei, die Wahl im Schnitt von Verlierer*innen als weniger legitim eingeschätzt werde. Ähnliches gilt laut Schnaudt auch für Wähler*innen: Demnach seien vor allem diejenigen gegenüber der Integrität der Wahlen skeptisch, die mehrfach hintereinander für eine Partei gestimmt haben, die in der Opposition gelandet sei.
Grundsätzlich stellte Maximilian Etzel in einer Studie zur Bundestagswahl 2021 fest, dass das Vertrauen in die Integrität der Wahlen in Deutschland auf einem relativ hohen Niveau liegt, dieses Vertrauen aber nicht ausschließlich von der tatsächlichen Integrität der Wahl abhinge. Besonders spannend im Fall der Wahlbetrugs-Narrative auf TikTok ist. Der Ergebnis-Bias, also der Umstand, dass Verlierer*innen die Wahlen als besonders illegitim einschätzen, sei enorm abhängig davon, wie Personen ihre Informationen zu Wahl beziehen. Wähler*innen, die sich über traditionelle Massenmedien informieren, also Zeitungen, Fernsehen und Radio, seien weniger vom Ergebnis-Bias betroffen, als Personen, die sich ausschließlich über soziale Medien oder das direkte persönliche Umfeld informieren.
Das Verbreiten des Narrativs vom Wahlbetrug findet meistens schon vor dem eigentlichen Wahlausgang statt. Ein Indiz dafür, dass es sich hier nicht um Fakten handelt, sondern darum geht, Misstrauen gegenüber den verantwortlichen Institutionen und der Demokratie als Ganzes zu schüren. Wie beliebt, aber auch gefährlich diese Strategie von Antidemokrat*innen ist, hat nicht zuletzt der Angriff auf das Capitol am 6. Januar 2021 in den USA gezeigt. Ex-Präsident Trump verbreitet bis zum heutigen Tag die Falschinformation der Wahlfälschung. Auch bei der kommenden US-Wahl ist damit zu rechnen, dass Trump das Narrativ weiter bedienen wird, insbesondere dann, wenn er ein weiteres Mal gegen Biden verlieren sollte.
Prebunking für die Demokratie
Um Desinformation etwas entgegenzusetzen, kann Prebunking helfen: Also das mittlerweile etablierte Wahlfälschungsnarrativ antizipieren und entkräften. Dazu gehört auch die Erklärung, wie in demokratischen Ländern sichergestellt wird, dass Wahlen fair, geheim und ohne Unregelmäßigkeiten ablaufen.
Dass es auch in Demokratien zu Fehlern beim Ablauf von Wahlen kommen kann, wurde zuletzt bei der Bundestagswahl 2021 in Berlin veranschaulicht, die schlussendlich nach einem Gerichtsentscheid in einigen Bezirke wiederholt werden musste. Nach der missglückten Wahl wurde medial viel über einen Vertrauensverlust und den Schaden, den die Kollision von Berlin-Marathon und Wahlsonntag angerichtet habe, gesprochen. Mit der gerichtlich angeordneten Wahlwiederholung wurde aber auch ein Zeichen gesetzt, dass solche Unregelmäßigkeiten eben keine Lappalie sind. So ärgerlich gerade in Anbetracht des wachsenden Misstrauens dieser Vorfall war, so zeigte er dennoch, wie intakt die Demokratie ist und kann im Prebunking dazu dienen, Misstrauen zu begegnen.
Da nach der Wahl vor der Wahl ist und prebunking nicht ohne debunking auskommt, hat das Projekt pre:bunk die Wahl davor und danach mit Videos zu der Desinformationsstrategie begleitet.
Prebunking Videos:
- Die Erzählung vom Wahlbetrug ist eine gängige Strategie antidemokratischer Akteur*innen: https://vm.tiktok.com/ZGeboBxLv/
- Die Erzählung vom Wahlbetrug kann reale Konsequenzen haben: https://vm.tiktok.com/ZGebojUkH/
- Welche Desinformationsstrategien gibt es rund um eine Wahl?: https://vm.tiktok.com/ZGeboStC3/
- Nach der Wahl ist vor der Wahl: Mal wieder kursieren Gerüchte über Wahlbetrug. So einfach ist das jedoch nicht.: https://vm.tiktok.com/ZGebofVay/