Vor drei Jahren machten Neonazis aus dem Umfeld des NPD-Kaders Thorsten Heise in Thüringen Jagd auf zwei Journalisten und verletzten sie schwer. Seit drei Jahren warten die Betroffenen nun schon darauf, dass das Verfahren endlich beginnt und die beiden mutmaßlichen Täter sich vor Gericht verantworten müssen. Bisher vergeblich. Für die Journalisten ist die Situation „eine enorme psychische Belastung“, erzählt uns einer der beiden.
Am 29. April 2018 waren zwei 26-jährige Journalisten vor dem Grundstück des NPD-Funktionärs Thorsten Heise in Fretterode, im Landkreis Eichsfeld, um Fotos zu Recherche-Zwecken zu machen. Zu jenem Zeitpunkt fand gerade ein Treffen bei Heise statt, wegen des bevorstehenden NPD-Aufmarsches am 1. Mai in Erfurt. Als die beiden Göttinger Journalisten bemerkt wurden, stürmten zwei Neonazis aus Heises Haus auf die beiden zu.
Neonazis jagen Journalisten mit dem Auto
Es begann eine wilde Verfolgungsjagd mit dem Auto durch die Region. Bis die Angreifer den Wagen der Journalisten zum Stehen brachten. Die Neonazis gingen bewaffnet mit einem Baseballschläger, einem Messer, einem etwa 40 Zentimeter großen Schraubenschlüssel und Pfefferspray direkt zum Angriff über. Einem der beiden Journalisten gelang es gerade noch, sich eine Speicherkarte aus der Kamera in den Socken zu stecken, bevor die Heckscheibe des Autos nach einem wuchtigen Schlag mit dem Schraubenschlüssel zerbarst. Die Angreifer sprühten Pfefferspray in das Fahrzeuginnere. Ein Angreifer schlug mit einem Schraubenschlüssel auf den Kopf eines Journalisten, der erlitt eine blutende Platzwunde. Der andere Journalist trug eine Stichverletzung am Oberschenkel davon, als er vergebens versuchte, seine Kamera von den Rechtsextremen zu schützen. Vielleicht war es nur Glück, dass die Journalisten nicht noch schwerer verletzt wurden.
Erst als die Neonazis die Kamera zu fassen bekamen, ließen sie von den beiden Verletzten ab und fuhren mit ihrem Auto wieder Richtung Fretterode. Die beiden Journalisten wurden in einem Krankenhaus ambulant behandelt.
„Fatales Zeichen an die Neonazi-Szene“
Drei Jahre liegt dieser brutale Angriff nun zurück. Was hat sich bisher getan? Nicht viel. Ein Gerichtsverfahren wurde in diesem Jahr schon zweimal verschoben. „Das ist eine extrem belastende Situation“, erzählt einer der betroffenen Journalisten gegenüber Belltower.News. „Wir bereiten uns immer wieder auf den Prozess vor, durchleben die Tat noch einmal, und immer wieder wird der Prozess verschoben.“ Die Verschleppung des Prozess sei auch „ein fatales Zeichen an die Neonazi-Szene“, meint der Journalist, der anonym bleiben möchte, wenn selbst ein so brutaler Überfall auf Pressevertreter nach Jahren noch nicht vor Gericht verhandelt wurde.
Die mutmaßlichen Täter kommen aus dem engsten Umfeld von Thorsten Heise
Und was ist mit den mutmaßlichen Tätern? Die Staatsanwaltschaft Mühlhausen hatte erst zehn Monate nach der Tat, Anfang Februar 2019, Anklage gegen die damals 18 und 25 Jahre alten Tatverdächtigen erhoben. Die Vorwürfe: schwerer gemeinsamer Raub, gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung. Beide mutmaßlichen Täter sind bis heute auf freiem Fuß. Keiner von ihnen saß bisher wegen der Tat in U-Haft. Das ist ungewöhnlich für eine Tat dieser Schwere.
Bei den beiden mutmaßlichen Tätern handelt es sich um Gianluca B. und um Heises Sohn, N. Gianluca. B., er gilt als politischer Ziehsohn von Thorsten Heise, hatte 2016 als Kandidat der NPD für den niedersächsischen Kreistag in Northeim kandidiert, zudem ist B. Mitglied im Vorstand der NPD Niedersachsen. In der vergangenen Woche wurde B. vom Leipziger Amtsgericht zu einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung verurteilt. 2016 soll er sich am Überfall auf den alternativen Stadtteil Connewitz beteiligt haben. Die Freiheitsstrafe wurde wegen der langen Verfahrensdauer verkürzt.
Heises leiblicher Sohn N. zog kurz nach dem Überfall 2018 in die Schweiz. Dort machte er eine Ausbildung.
„Ich habe mehr Herzrasen“
Und wie geht es mit den angegriffenen Journalisten weiter? Einer der beiden hat aufgehört, extrem rechte Veranstaltungen zu dokumentieren. Der andere versucht sich nicht in seiner Arbeit einschüchtern zu lassen, erzählt er uns. Weiterhin beobachtet und dokumentiert er Veranstaltungen der extremen Rechten. „Das ist die Arbeit, die die Neonazis immer wieder stört“, erzählt er. Doch besonders seit dem Überfall haben die Bedrohungen aus der rechten Szene gegen ihn zugenommen. Seither treffe er immer ausreichend Sicherheitsvorkehrungen, wenn er seinen Job macht. „Ich habe mehr Herzrasen als vor dem Angriff, wenn ich Neonazi-Veranstaltungen dokumentiere.“
„Tatort Fretterode“
In der Nacht auf Mittwoch, den 28. April, erinnerten Engagierte am Tatort kurz vor Hohengandern, an den brutalen Übergriff. Entlang der L 1002 hängten sie Banner auf. „Tatort Fretterode“ und „3 Jahre kein Prozess“ ist darauf zu lesen. Die Bilder zeigen auch die Gesichter und Namen der beiden mutmaßlichen Täter. Wenige Stunden nach der Aktion veröffentlichte Thorsten Heise ein Video, in dem er den Aktivist*innen droht. Offenbar war er nicht erfreut darüber, die Gesichter seines Sohnes und Gianlucas auf den Plakaten zu sehen.
„Thorsten Heise ist nicht ohne Grund eine Führungsfigur in der deutschen Neonazi-Szene“, erzählt der Göttinger Journalist. Er wisse ganz genau, wie er sich ausdrücken muss. „Auch wenn seine Aussagen nicht justiziabel sind, in der Szene kommen sie sehr wohl an“. Umso erstaunlicher ist es, dass sich auch drei Jahre nach diesem brutalen Überfall auf zwei Pressevertreter aus dem engsten Umfeld von Thorsten Heise noch keine Verantwortlichen einem Verfahren stellen mussten.
Das Justizwunder Heise
Für viele Beobachter*innen der rechtsextremen Szene ist Thorsten Heise ein Justizwunder. Trotz eines riesigen Vorstrafenregisters, wegen schwerer Körperverletzung, Landfriedensbruchs, Nötigung und Volksverhetzung sowie Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, kam er im Großen und Ganzen stets glimpflich davon. 1989 beispielsweise versuchte Heise einen Menschen libanesischer Herkunft mit seinem Auto zu überfahren. Wegen des drohenden Verfahrens wegen versuchten Totschlags tauchte Heise in den Untergrund ab. 1991 wurde er gefasst und ihm wurde der Prozess gemacht – allerdings nicht mehr wegen versuchten Totschlags, sondern wegen einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Unter Einbeziehung einer Jugendstrafe aus dem Jahr 1988 und einer positiven Sozialprognose des Gerichts wurde er zu zwei Jahren Haft, die auf Bewährung ausgesetzt wurden, verurteilt.
Und wie geht es im Fall Fretterode weiter?
Man kann nur hoffen, dass das Verfahren um den Überfall in Fretterode nicht noch weiter verschleppt wird. Diese Art der „Bummeljustiz“ sendet ein fatales Signal an rechtsextreme Täter*innen, nämlich dass sie machen können was sie wollen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.
Am 7. September soll das Verfahren gegen Gianluca. B. und N. Heise nun beginnen. Angesetzt sind zwölf Verhandlungstage.