Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Terror in Hanau 13 SEK-Polizisten unter Rechtsextremismus-Verdacht waren im Einsatz

Von|
Statt Aufklärung neue Fragen: Welche Rolle spielte das SEK in der Tatnacht, dass jetzt unter Rechtsextremismus-Verdacht steht? (Quelle: Initaitive 19. Februar Hanau)

Wenn die Polizei versagt, wäre der beste Grund: menschliches Versagen. Denn das ist nicht gut, aber irgendwie schicksalhaft, verkraftbar. Am 19. Februar 2020 erschoss ein Attentäter neun Menschen, die er als Migrant:innen identifizierte und deshalb tötete, danach seine Mutter und sich selbst. Die Website des Täters und ein Schriftstück zur Tat lassen eine rassistische, antisemitische, rechtsextreme und verschwörungsideologisch basierte Weltsicht erkennen. Die Polizeiermittlungen zuvor, in der Nacht selbst und auch danach werfen bei den Angehörigen der Opfer, aber auch in Presse und Zivilgesellschaft Fragen auf.

Dokumentiert z.B. hier:

Nun gibt es eine neue Information, und die muss für die Angehörigen herzzerreißend sein: In der Nacht des rechtsterroristischen Anschlags von Hanau waren 13 Polizeibeamte im Einsatz, die nun unter Rechtsextremismus-Verdacht stehen und wegen denen (und weiteren) das SEK Frankfurt vom hessischen Innenminister Peter Beuth aufgelöst wurde. Beuth sprach von „Verrohung“, von einem „Korpsgeist“, der „nach Einschätzung unserer polizeipsychologischen Experten einem Neuanfang nicht dienlich“ sei, und solche Worte wählt ein Innenminister nicht nur wegen eines rechtsextremen Chats, den die Polizei im Zuge von Ermittlungen entdeckte, die eigentlich wegen des Verdachts der Verbreitung pornografischer Inhalte von Kindern erfolgten. Es wird interessant, wie viel die Öffentlichkeit noch erfahren wird.

Die Initiative 19. Februar Hanau jedenfalls hört nicht auf zu fragen – auch wenn es schmerzt. „Es ist noch weitaus schlimmer als wir schon befürchtet hatten“, formuliert Newroz Duman von der Initiative 19. Februar Hanau ihr Entsetzen über den neuen hessischen Polizeiskandal in einer Pressemitteilung der Initiative. Denn am gestrigen Abend ist in der Innenausschuss-Sitzung im hessischen Landtag nicht nur bekannt geworden, dass insgesamt sogar 49 Polizisten aus verschiedenen Bereichen in rechten Chats beteiligt waren. Innenminister Beuth bestätigte zudem, dass 13 der 19 rechtsextremen Polizeibeamten aus der aufgelöstem SEK-Einheit in der Tatnacht am 19. Februar 2020 in Hanau im Einsatz waren. „Es muss nun zügig geklärt werden, wie sich diese Beteiligung auf das Einsatzgeschehen in der Tatnacht ausgewirkt hat und ob Rechtsextreme gar in leitender SEK-Position in Hanau das polizeiliche Versagen am Täterhaus zu verantworten haben“, betont Newroz Duman. SEK-Beamte waren zumindest bei der Beobachtung und Stürmung des Täterhauses maßgeblich beteiligt.

„Bis heute haben wir keine befriedigenden Antworten darauf bekommen, warum fünf Stunden zwischen Identifizierung des Täters und der Stürmung des Hauses vergangen sind,“ sagt Newroz Duman von der Initiative 19. Februar. „Wir fragen uns jetzt natürlich, ob rechtsradikale SEKler in Hanau im Einsatz waren und das dortige Geschehen mitbestimmt haben.“

Die Initaitve 19. Februar hat all ihre Zeugenaussagen aus der Nacht und Fragen an die Behörden schon zum Jahrestag des Attentats veröffentlicht.

Dazu gehören:

  • Der Notausgang der „Arena Bar“ war verschlossen. Er hätte Menschen zur Flucht vor dem Attentäter verhelfen können. Stammgäste erzählen der Presse, der Notausgang sei immer verschlossen gewesen, denn die Polizei soll angeordnet haben, dies zu tun, um die Flucht von Gästen bei Razzien zu verhindern. Die Polizei beginnt zu diesem Punkt nicht einmal mit Ermittlungen – erst, als Hinterbliebene Anzeige wegen fahrlässiger Tötung erstatten, sind sie dazu gezwungen (bisher ohne Ergebnis).
  • Vili Viorel Păun wurde in seinem Auto ermordet, nachdem er den Täter aus der Hanauer Innenstadt bis nach Kesselstadt verfolgt hatte. Er hatte seine Papiere dabei. Trotzdem informierte die Polizei seine Eltern nicht über den Tod ihres Sohnes. Sie erfuhren erst, dass Vili zu den Opfern gehörte, als sie am nächsten Tag mittags selbst zur Polizei gingen und nachfragten.
  • Die Familie von Mercedes Kierpacz wartete in ihrem Auto am Tatort, um mehr Informationen zum Tod von Mercedes zu erfahren. Um zwei Uhr nachts wird das Auto von einer Einheit des SEK umstellt und die darin Sitzenden – auch Kinder – mit Waffen im Anschlag zum Aussteigen aufgefordert. Sie reagierten nicht auf die Aussage von Filip Goman, er sei der Vater von Mercedes Kierpacz. Erst nach Minuten kommt die Ansage, es sei „falscher Alarm“.
  •  Etris Hashemi erlitt beim Attentat einen Schuss in Hals und wurde von Sanitäter:innen und Polizist:innen versorgt, als der Täter zurückkam. Er berichtet: „Da waren Autos, da waren Steine, da war genug, um sich zu irgendwo in Sicherheit zu bringen. Was die Rettungskräfte gemacht haben, ist, meine Trage Richtung Arena Bar zu drehen und alle haben sich hinter mir versteckt. Ich war dann der Schutzschild gewesen. Ich bin mitten im Winter, wir haben Februar, ich wurde mehrfach angeschossen und liege nackt auf einer Trage und ich wurde als Schutzschild benutzt. Da denkt man sich erstmals man ist im falschen Film.“ Später darf der Krankenwagen auf Polizeianweisung nicht losfahren, obwohl die Sanitäter:innen das anmahnen.
  • Piter Minnemann, Überlebender des Anschlags, informierte die bereits anwesende Polizei über den ersten Schusswechsel, bat um Hilfe für Verletzte. Die Polizist:innen habe aber nicht zugehört, zumindest nicht reagiert. Erst nach zehn Minuten kam Verstärkung. Piter wurde aufgetragen, zur Aussage zu Fuß zu der zwei Kilometer entfernten Wache zu laufen.
  • Die Hausdurchsuchung: Die Identität des Täters war der Polizei nach einer Zeugenaussage zum Nummernschild ab etwa 22 Uhr bekannt, ab 22.40 Uhr parkte er vor seinem Wohnhaus. Eine Hausdurchsuchung begann erst um 3 Uhr nachts mit der Sprengung der Haustür. Die Mutter des Täters wurde zwischen 22:40 Uhr und drei Uhr ermordet. Sie könnte vermutlich noch leben, wenn die Polizei beherzter eingegriffen hätte. Den Schuss will niemand gehört haben.
  • Nach der Tat wurden die Opfer obduziert, ohne die Angehörigen zu informieren oder ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Söhne und Töchter noch einmal vor der Obduktion zu sehen. Die Sinnhaftigkeit der Obduktion ist außerdem in Frage zu stellen, da der Täter klar zu ermitteln war und es sich ja um die Opfer handelte.
  • Alle Angehörigen beklagen die mangelhafte Informationspolitik der Polizei. So ist etwa bis heute unklar, wie lange Ferhat Unvar ohne Hilfe und Notversorgung im Kiosk lag und ob er mit Hilfe hätte überleben können.
  • Dazu erhielten alle Angehörigen eine Gefährderansprache, als der Vater des Täters an seinen Wohnort zurückkehrt. Der Vater des Täters erhält keine Gefährderansprache, als er Waffen und Munition seines Sohnes von der Polizei zurückfordert.

Wurden die Angehörigen schlechter behandelt, die Ermittlungen schludriger geführt, weil die Opfer und Angehörigen einen Migrationshintergrund haben, Muslime oder Roma sind? Dies ist der bittere Verdacht, wenn unter Rechtsextremismus-Verdacht stehende Polizist:innen den Fall bearbeitet haben. Es ist ein Offenbarungseid für die Polizei, jedes Mal wieder, wenn sie die Menschen diskriminiert, die sie eigentlich schützen soll.

Weiterlesen

Eine Plattform der