Als Richter Manfred Götzl im NSU-Prozesses am 11. Juli 2021 das Urteil gegen den Unterstützer André Eminger verkündet, bricht unter den anwesenden Neonazis auf der Besuchertribüne Jubel aus. Die Angehörigen der türkischen Botschaft verlassen sofort den Saal. André Eminger, der angeklagt war, den NSU von 1998 bis 2011 unterstützt zu haben, wurde damals freigesprochen von der Beihilfe des versuchten Mordes, und kam sofort frei. Während des NSU-Prozesses war er der Einzige, der schwieg, ganz nach dem in Emingers rechtsexremen Kreisen beliebtem SS-Wahlspruch „Meine Ehre heißt Treue“ – und seine Strategie ging auf. Er wurde nur zu 2,6 Jahren Haft verurteilt, und das, obwohl die Staatsanwaltschaft 12 Jahre wegen Beihilfe zu den Morden gefordert hatte.
Der Bundesgerichtshof (BGH) soll den Teilfreispruch für den engen NSU-Helfer André Eminger aufheben. Das forderte die Bundesanwaltschaft am Donnerstag in der ersten und einzigen Revisionsverhandlung zum NSU-Komplex. Der Verurteile hofft hingegen auf einen Freispruch.
NSU-Terror – ein Werk von mehr als drei Personen
Bundesweit ermordete der sogenannte „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) unter Mithilfe eines breiten rechtsextremen Netzwerkes im Zeitraum von 2000 bis 2007 zehn Menschen in ganz Deutschland. Hinzu kamen 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle.
1998 tauchte das Kerntrio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhard unter, nachdem die Polizei ihre Bombenwerkstatt in Jena ausgehoben hatte. Nur kurze Zeit später lernten die drei André Eminger und dessen Frau Susann Eminger kennen. Zschäpe, Mundlos und Böhnhard lebten danach untergetaucht unter falschen Identitäten in Chemnitz und Zwickau, von wo aus sie ihre rechtsterroristischen Anschläge und Morde planten. Diese Mord- und Raubserie hätte das Trio nicht so lange im Untergrund weiterführen können, wenn sie nicht ein großes Unterstützer:innen-Netzwerk gehabt hätten. Die NSU-Mitglieder Mundlos und Böhnhardt sind seit 2011 tot. Mit Zschäpe standen bis 2018 daher nur Helfer wie Eminger vor dem Oberlandgericht in München.
Die gemeinsame Geschichte
André Eminger lernt das zu diesem Zeitpunkt bereits untergetauchte Trio 1998 in Chemnitz kennen. Chemnitz ist damals eines der deutschen Zentren von „Blood & Honour“ (B&H „Blut und Ehre“), einem europaweiten Netzwerk militanter Neonazis, die bereit sind, für ihre Ideologie zu töten. Der bewaffnete und mittlerweile verbotene Arm der Gruppe, „Combat 18“, bekämpft Migrant:innen, Homosexuelle und politische Gegner:innen nach dem Zellenprinzip des „führerlosen Widerstandes“, das sich später auch der NSU aneignet. Seit 2000 hatte der Verfassungsschutz André Eminger auf dem Schirm, will ihn 2003 sogar als V-Mann anwerben. Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen zählte André und dessen Zwillingsbruder Maik zum Kreis der Kameradschaft „Weiße Bruderschaft Erzgebirge“ (WBE). Deren erklärtes Ziel es war, die „14 Words“ zu verwirklichen, („We must secure the existence of our people and a future for white children“, „Wir müssen die Existenz unseres Volkes und die Zukunft weißer Kinder schützen“). Die Zwillinge brachten ein eigenes Szene-Magazin heraus.
Menschenverachtung auf der Haut: „Die Jew Die“
André Eminger trägt seine menschenverachtende Gesinnung direkt und unmissverständlich auf dem Körper. Quer über seinen Bauch steht in dicken Buchstaben „Die Jew Die“ (stirb Jude stirb), darüber offensichtlich das Symbol der Totenkopfverbände der SS, die im „Dritten Reich“ maßgeblich am Holocaust beteiligt waren. Auf seinem rechten Oberarm steht „Blut und Ehre“. Um seinen Bauchnabel herum steht in Runen der Programmspruch der Nationalsozialisten: „Du bist nichts, dein Volk ist alles“, dazu zwei Achten (Code für „Heil Hitler“). Auf seiner Brust prangert das Konterfei von Horst Wessel, Sturmführer der paramilitärischen NSDAP-Kampftruppe.
Die Emingers unterstützen das Trio für den Schein eines bürgerlichen Lebens
Bis zur Selbstenttarnung 2011 blieb das NSU-Kerntrio mit dem Ehepaar Eminger in Kontakt. Susann wurde zur engsten Freundin Zschäpes und stellte ihr unter anderem Ausweispapiere zur Verfügung. Verblüffenderweise wurde sie nicht einmal angeklagt. André verschaffte den Untergetauchten Wohnungen und mietete mindestens drei Mal Wohnmobile für das Trio an. Die Terroristen nutzten die Fahrzeuge für zwei Raubüberfälle in Chemnitz und einen Sprengstoffanschlag in Köln.
Eminger nur ein naiver Bekannter?
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe wird sich nun mit der Frage befassen: War Eminger in die Taten eingeweiht und wusste er von den Verbrechen des NSU? War er ein Mordgehilfe oder ein ahnungsloser Bekannter, der den netten neonazistischen Freund:innen einen Gefallen getan hat?
2018 hatte das Münchner Oberlandesgericht Eminger in seinem Urteil von wesentlichen Anschuldigungen freigesprochen. Eminger habe lange Zeit nichts von den Taten des NSU gewusst. Das Gericht glaubte, dass der heute 42-Jährige lange nicht in die Terrorpläne eingeweiht war.
Bis 2006 habe Eminger, nach Ansicht des Richters, geglaubt, dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe nur deshalb im Untergrund lebten, weil sie wegen Sprengstoffbesitzes von der Polizei gesucht wurden. Erst Anfang 2007 habe sich das geändert. Damals wurde Beate Zschäpe wegen eines Deliktes in der Nachbarwohnung als Zeugin von der Polizei vorgeladen. Eminger begleitete sie auf das Revier, gab sie als seine Ehefrau aus und stellte Ausweisdokumente von Susann zur Verfügung. Erst ab diesem Zeitpunkt sei Eminger Eingeweihter, so das damalige Urteil. Weil er dem NSU-Trio 2009 drei Bahncards unter falschem Namen besorgte, wurde er schließlich wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Diese Begründung verkennt vollkommen die Funktion die Eminger, in der Neonazi-Szene inne hatte und die Funktion und Wirkweise von Neonazi-Strukturen.
Eminger, der enge Vertraute des NSU
Keiner soll dem mordenden Trio im Untergrund so nahe gestanden haben wie André Eminger und seine Frau Susann. Mit ihrer Hilfe konnten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos die Fassade für ein unauffälliges Leben in der Illegalität erst so lange aufrecht halten. Ihre Wohnung und die des NSU-Trios in Zwickau trennten keine 8 Kilometer. Meist donnerstags kam Susann mit den Kindern zu Beate Zschäpe, gegenüber Nachbarn gaben sich die Frauen als Schwestern aus. Vor Gericht beschrieben diese einen familiär-zugeneigten Umgang miteinander. Zschäpe kam zu Aufführungen der Eminger-Kinder in Schule und Kindergarten.
Nach der Selbstenttarnung ruft Zschäpe als erstes Eminger an
Als am 4. November 2011 Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot im Wohnmobil entdeckt wurden und ihr geheimes Leben aufflog, rief Beate Zschäpe als erstes André Eminger an, der wie sie in Zwickau lebte. Um 15.27 Uhr sprachen die beiden eine Minute und 27 Sekunden lang miteinander. Bevor André Eminger sich auf den Weg macht, schreibt er seiner Frau Susann eine SMS. Der Inhalt muss wohl so brisant gewesen sein, dass beide die Kurznachricht später wieder löschen. Eminger holt Zschäpe ab. Die beiden fahren ins Umland und wieder zurück in die Stadt. Eminger setzt Zschäpe schließlich am Hauptbahnhof ab. Vier Tage später stellte sie sich der Polizei in Jena, in der Kleidung von Susann Eminger.
Tief vernetzt in die rechtsextreme Szene
Es ist naiv zu glauben, Eminger sei einfach nur ein unwissender Bekannter des mordenden Trios gewesen, der glaubte, die Drei lebten wegen eines Sprengstoffdeliktes im Untergrund. Eminger war schon zur Zeit des Abtauchens des NSU eine zentrale Figur der lokalen Neonazi-Szene. Mit seinem Bruder gründete er eine eigene Kameradschaft und veröffentlichte ein Szene-Magazin. Ab 2008 wurde Eminger Stützpunktleiter der Potsdamer Jungen Nationaldemokraten (JN), der Nachwuchsorganisation der NPD. Er veranstaltete wöchentlich ideologische Lesezirkel, um Kamerad:innen in NS-Theorie zu schulen.
Im April 2013 durchsuchte das Bundeskriminalamt die Wohnung von Emingers Familie. Die Ermittle:innen fanden eine aufwendige Kohlezeichnung in einem braunen Rahmen. Lächelnd abgebildet: Die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Die Zeichnung trägt den Schriftzug „Unvergessen“ und ist mit einer Todesrune unterlegt.
Es ist naiv zu glauben, er hätte von den Taten seiner Freunde, den Uwes und Beate nichts gewusst. Wir hoffen, dass sich das Gericht in Karlsruhe intensiv mit der Funktions- und Wirkweise neonazistischer Strukturen auseinandersetzt – und Eminger noch einmal für einige Jahre hinter Gittern wandert, weil er Beihilfe am rechtsextrem motivierten Mord zu zehn Menschen geleistet hat. .
Am 15. Dezember will der BGH seine Entscheidung verkünden.