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Thüringen 2017 Die AfD um Björn Höcke verschiebt die Sagbarkeiten

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Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke zieht als Hardliner mit Kontakten in die rechtsextreme "Neue Rechte" Begeisterung und Empörung auf sich - und verschiebt die Grenzen das Sagbaren, etwa hier in den "Dresdner Gesprächen", wo er vom "Denkmal der Schande" und der "180 Grad-Wende" in der Erinnerungskultur sprach. (Quelle: Screenshot, Youtube)

Für den Belltower.News-Jahresrückblick befragen wir zivilgesellschaftlichen Initiativen und Akteur_innen über die Situation in ihrem Bundesland. Den Jahresrückblick für Thüringen schreibt Dr. Matthias Quent vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ).

Was waren die wichtigsten Ereignisse in Ihrem Bundesland 2017, bezogen auf Rechtsextremismus und Rechtspopulismus?

2017 war für extrem rechte Bewegungen in Thüringen leider ein – aus deren Perspektive – durchaus erfolgreiches Jahr. Wohl nicht zufällig kurz nach dem Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens hielt der Thüringer Landesfraktionschef Björn Höcke die viel diskutierte Dresdner Rede, mit der er sich einmal mehr jenseits des demokratischen Diskursraums platzierte. In der Folge wurde ihm unter anderem Hausverbot in der Gedenkstätte Buchenwald erteilt. In der Rede sagte Höcke Sätze wie:

„Wir Deutschen – und ich rede jetzt nicht von euch Patrioten, die sich hier heute versammelt haben – wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“

„Und diese dämliche Bewältigungspolitik, die lähmt uns heute noch viel mehr als zu Franz Josef Strauß’ Zeiten. Wir brauchen nichts anderes als erinnerungspolitische Wende um 180 Grad!“ (vgl. Tagesspiegel)

Im September erreichte die Thüringer Höcke-AfD bei den Bundestagswahlen in Thüringen knapp 23 Prozent der Stimmen.

Bisweilen etwas im Schatten des sogenannten Rechtspopulismus stehen die erschreckenden Geländegewinne der Neonaziszene vor allem – aber nicht nur – im ländlichen Raum: Dazu zählen langfristige Verankerungsprozesse durch Immobilien sowie die neonazistischen Hasskonzerte vor allem in der kleine Stadt Themar. Dort waren im Juli über 6.000 Nazis zusammengekommen – die größte Veranstaltung dieser Art in der Geschichte der Bundesrepublik (vgl. BTN)

Gegen Strukturen aus dem Umfeld dieser Organisationen kam es im Sommer in Thüringen auch zu einem Antiterroreinsatz unter Beteiligung der Spezialeinheit GSG9.

Zivilgesellschaft und Politik sind bemüht, damit einen Umgang zu finden, wirken aber ohnmächtig. Viele Menschen aus der Region haben gegen die Nazis Flagge gezeigt: Was die Bürgerbündnisse aus Themar und Umgebung an Gegenprotesten auf die Beine gestellt haben, kann sich für den ländlichen Raum mehr als sehen lassen. Dafür wurden sie Anfang Dezember auch in Anwesenheit des Bundespräsidenten mit dem Thüringer Demokratiepreis ausgezeichnet.

Wer waren wichtige Akteur_innen und was waren wichtige Themen der rechtsextremen Szene?

Teile der Thüringer AfD sind als rechtsextrem einzuschätzen. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl an Gruppen, Netzwerken, Bewegungsunternehmern, Hausprojekten und Einzelpersonen, die zum Teil partiell kooperieren oder auch miteinander konkurrieren.

Neben den Veranstaltern der Hasskonzerte, vor allem um Tommy Frenck und Patrick Schröder, sind die rechtsextremen Rocker „Turonen“, die Szene rund um die Neonaziimmobile in Ballstädt, Thügida, Überbleibsel der NPD, die Erfurter „Volksgemeinschaft e.V.“, sogenannte Reichsbürger und eine große Zahl von Klein- und Kleinstgruppen, die zum Teil nur informell organisiert sind und vor allem lokal von Bedeutung. Sie schüchtern ein und reproduzieren rechtsextreme Milieus – sie sägen von unten an den Grundpfeilern der Demokratie. Facebookanalysen zeigen, dass sich diese Leute vom gesellschaftlichen Rechtsruck und insbesondere durch die Äußerungen von Höcke bestätigt und ermuntert fühlen, noch weiter zu gehen. Die Gleichzeitigkeit einer rechten Radikalisierung in Teilen der Gesamtgesellschaft und die Gruppenprozesse innerhalb der neonazistischen Subkultur bilden eine besonders bedrohliche Gemengelage.

Wie sind die Erwartungen für 2018?

Vor allem die neuerlich angekündigten rechten Hasskonzerte fordern Politik, Zivilgesellschaft und auch die Polizei ganz akut heraus. Ich habe nicht den Eindruck, dass bisher eine angemessene Strategie für den Umgang damit gefunden wurde. Bedrohlich sind aber nicht nur diese öffentlich sehr weit wahrgenommenen Leuchtturmevents der Neonaziszene, sondern vor allem lokale Normalisierungs- und Verankerungsprozesse, die verbunden sind mit der Präsenz und den Handlungsspielräumen der neuen Nazis. Davor warnt auch die mobile Beratung in Thüringen gegen Rechtsextremismus (https://mobit.org) immer wieder und unterstützt die Aktiven vor Ort. Wenn tausende Nazis aus ganz Europa in eine ländliche Gemeinde mit 3.000 Einwohnenden reisen, ist aber noch viel mehr Unterstützung von außerhalb nötig, um effektiv dagegen vorgehen zu können.

Darüber hinaus finden Bürgermeisterwahlen statt, die auch so etwas wie eine Generalprobe sind in Hinblick auf die 2019 anstehenden Kommunal- und Landtagswahlen hinsichtlich der lokalen Verankerung der AfD. Die politischen Parteien werden sich 2018 warmlaufen für den anstehenden Wahlkampf. In diesen Zusammenhang ist mit weiteren gezielten Provokationen und kalkulierten Tabubrüchen von Rechtspopulisten sowie deren Unterstützung durch Kampagnen aus rechtsextremen Netzwerken wie „einprozent“ und der Identitären zu rechnen.

Beachtung muss auch finden, dass für einen Teil der rechtsextremen Szene Gewalt nicht nur elementarer ideologische und lebensweltlicher Bestandteil ist, sondern dass auch die Option des Rechtsterrorismus präsent ist. In diesem Zusammenhang wird auch Abschluss des Münchner NSU-Prozesses und dessen Deutung in der Öffentlichkeit und in den rechtsextremen Parallelwelten eine Rolle spielen.

 

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