Dabei enden mit Rot-Rot-Grün doch gerade erst fünf Jahre zähen Regierens aus einer Minderheit hinaus. Der Bedarf an mehr davon ist bei Noch-Ministerpräsident Ramelow jedenfalls gedeckt. Die Minderheitsregierung sei ein „schwieriges Konstrukt. Ich kann nur allen abraten” so Ramelow gegenüber der dpa. Selbst seinen Gegner*innen wünsche er nicht solche Verhältnisse. Und doch deuten sie sich wieder an. Denn die Mehrheiten lassen nicht einmal ein Blind Date zwischen CDU, SPD und BSW zu.
Apropos BSW: Angetreten, mit dem Ziel, die Stimmen der AfD zu dezimieren, kann sich das Wagenknecht-Bündnis nun eher die Zerstörung der Linken in Thüringen auf die Fahnen schreiben. Fast achtmal mehr Wähler bewegten sich von der Linken zum BSW. Zumindest bleibt die Thüringer Spitzenkandidatin Katja Wolf, die selbst mehrfach Opfer rechtsextremer Angriffe in Eisenach war, auf Distanz zum Wahlsieger, rückt dafür aber umso näher an die CDU.
Deren Spitzenkandidat Mario Voigt lässt sich als demokratischer Wahlgewinner feiern, obwohl er von vielen als das kleinere Übel gewählt wurde. 55 Prozent gaben an, dass sie die CDU nur wählten, damit die AfD nicht zu viel Einfluss bekommt. Voigt, der in die direkte Konfrontation mit Höcke ging, versuchte, dessen geringe Sympathiewerte als Hebel zu nutzen. Wie so viele Ansätze gegen die AfD gingen solche Angriffe ins Leere.
Die Rechtsverschiebung schreitet voran
Die AfD hat in den vergangenen Jahren nämlich eine Stammklientel aufgebaut, die immun zu sein scheint, für Argumente außerhalb des eigenen Lagers. So verstetigte sich die Macht der Rechtsextremen in allen Wahlkreisen, in denen sie bereits 2019 gute Ergebnisse einfuhren; flächendeckend keine Verluste. Und auch im Vergleich zur Europawahl konnte die AfD noch einmal 2,1 Prozent zulegen. 29 von 44 Direktmandaten gingen an Höckes Landesverband. Die Landkarte färbt sich blau.
Besonders abräumen konnte die AfD bei den Erstwählern (38 Prozent). Hier spielen die von der AfD dominierten sozialen Medien eine Rolle, die Einfluss auf die Präferenzen junger Menschen nehmen. Von TikToks, Reels und filmischen Inszenierungen bis zu Höckes Moped-Spritztour durch seinen Wahlkreis in Ostthüringen – die AfD konnte unter Jungwähler erfolgreicher mobilisieren als alle anderen Parteien. Hierbei konnte sie sich auf ihr faschistoides Vorfeld verlassen, das ganz frei Haus den Wahlkampf unterstützte.
Eine weitere Auffälligkeit ist die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Lage im Freistaat. Während 79 Prozent der Thüringer*innen ihre persönliche wirtschaftliche Lage positiv einschätzen, beurteilen zugleich 66 Prozent, dass die wirtschaftliche Lage in Thüringen schlecht sei. 2019 waren es nur 31 Prozent. In der Tat ist die Wirtschaftskraft in Thüringen im bundesdeutschen Vergleich geringer, was allerdings nur bedingt an der letzten Landesregierung liegt, sondern eher an jahrzehntelangen Verwerfungen und den typischen Problemlagen der ostdeutschen Transformationsgesellschaft.
Doch solche Diskrepanzen schlagen sich in niedrigen Zufriedenheitswerten und geringem Regierungsvertrauen nieder. Und seit geraumer Zeit lassen sie sich an einer eingeübten Fundamentalopposition festmachen, die sich am stärksten in der Ablehnung des Zuzugs von Migrant*innen ausdrückt. Als Kapitän des „Abschiebeflugzeugs” ließ sich Höcke sodann auch auf Plakaten darstellen. Dass er nicht nur ‚straffällige Ausländer’ abschieben will, daran ließ er nicht zweifeln.
Zugleich hat die AfD keine Lösungen, wie die alternde Bevölkerung versorgt werden soll. Es ist das Thüringer Paradox: Die benötigten ausländischen Fachkräfte aus dem Ausland werden durch rassistische Politik vergrault und die Wirtschaft geht gleich mit, weil sie ihre Stellen nicht besetzen kann und einen Imageschaden befürchtet. Es droht ein wirtschaftlicher und sozialer Kahlschlag – und eine ganz konkret gesteigerte Bedrohungslage für die Menschen in Thüringen, die von Rassismus und anderen Ungleichwertigkeitsvorstellungen betroffen sind.
Polarisierung nützt der AfD
Unversöhnliche TV-Duelle, Handgreiflichkeiten, Ausschlüsse der Öffentlichkeit: Der Thüringer Wahlkampf war wohl der polarisierteste seit der Wiedervereinigung. In vielen Gegenden hielten Menschen aus der Zivilgesellschaft dagegen und auch erste Berechnungen des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) zeigen, dass dort, wo die Wahlbeteiligung besonders hoch war, demokratische Parteien tendenziell mehr Boden gutmachen konnten.
Und doch gibt es wenig Grund für Lichtblicke. In 56 Gemeinden in Thüringen wählten mehr als 50 Prozent der Einwohner die AfD, was die lokale Dominanz und auch die dahinterliegende Spaltung erahnen lässt. Gefragt, ob er nachvollziehen könne, dass seine politischen Gegner Angst haben vor einer Machtübernahme der AfD, konnte Höcke nur lächeln. Es deutet an, dass auf Menschen, die die AfD nicht unterstützen, schwere Zeiten zukommen.
Umso mehr lässt es viele Menschen in der Thüringer Zivilgesellschaft erschaudern, dass sich nun Stimmen aus der CDU mehren, mit der AfD Zweckbündnisse einzugehen, ein Umstand, der bisher zumindest auf Landesebene deutlich abgelehnt wurde. Für die kommenden Jahre gilt es, jene zu stärken, die vor Ort die Demokratie verteidigen und sie mit Leben füllen. Das wird viel Kraft und Mühe kosten. Aber Aufgeben ist keine Option.
Maik Fielitz ist Bereichsleiter für Demokratie- und Rechtsextremismusforschung am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena.