TikTok ist gerade Gegenstand einer aufgeheizten Debatte um Datenschutz und Spionage. Am 23. März musste sich der TikTok-CEO Shou Zi Chew den Fragen republikanischer und demokratischer Abgeordneter im US-Kongress stellen. Die Debatte ließ wenig Raum für eine sachliche Auseinandersetzung mit Datensicherheit auf der Plattform. Die Diskussion um ein Verbot veranschaulicht die Probleme im Umgang mit TikTok. Aber wie steht es tatsächlich um den Datenschutz und wo fehlt es an der nötigen Sachlichkeit?
Die Republikanische Abgeordnete aus Washington, Cathy McMorris Rodgers, eröffnet die Anhörung von Chew mit den Worten „Your platform should be banned“ – „Ihre Plattform sollte verboten werden“. Unter diesem Zeichen stellte sich der TikTok-CEO den Fragen der Abgeordneten zum Thema Datenschutz und Spionagevorwürfen. Schnell wird klar: Der Großteil der Abgeordneten hat sich ihre Meinung zu TikTok und einem möglichen Ausgang der Auseinandersetzung bereits gebildet. Die Anhörung ist der bisherige Höhepunkt der Debatte um ein Verbot der Kurzvideoplattform. Bereits seit 2021 wird TikTok von dem „Committee on Foreign Investment in the U.S. (CFIUS)“ auf Anweisung des US-Präsidenten Joe Biden genauer beobachtet.
Der Vorwurf
TikTok ist das Tochterunternehmen von Bytedance, einem chinesischen Konzern. Während TikTok selbst nicht in China operiert, besteht die Sorge, dass Bytedance die Daten – in diesem Fall – US-Amerikanischer Bürger*innen an die chinesische kommunistische Partei weitergeben könnte. Diese hatte 2017 das Nationale Nachrichtendienstgesetz erlassen, das so verstanden werden kann, dass der Nachrichtendienst von jedem Unternehmen und jeder Privatperson verlangen kann, Daten herauszugeben.
Täten Sie das im Fall von Bytedance, so könnte das US-Amerikanische Daten betreffen. Biden fordert, dass TikTok an ein amerikanisches Unternehmen verkauft und die Daten damit von einem amerikanischen Unternehmen verwaltet werden. TikTok bietet bereits an, alle Daten in den USA zu speichern. Damit müsste bei einem Versuch des Abschöpfens von Daten ein amerikanisches Unternehmen angefragt oder gehackt werden – das Risiko wäre also dem eines anderen amerikanischen Unternehmens gleichzusetzen, das Daten speichert, so Chew.
Der Status Quo
Derzeit sind die Anschuldigungen einer Verbindung zu der chinesischen Regierungspartei noch rein hypothetisch. Denn es gibt keinen Beweis für einen Missbrauch der Nutzerdaten durch die chinesische Regierung. Im Jahr 2020 arbeitete die Washington Post mit einem unabhängigen Datenschutz-Forscher zusammen, um die Datensammlung durch TikTok zu untersuchen. Das Ergebnis: Das Unternehmen sammelt nicht mehr Daten als alle anderen, amerikanischen sozialen Netzwerke. Im darauffolgenden Jahr kam Pellaeon Lin, ein taiwanesischer Researcher der Universität Toronto, bei einer technischen Analyse zu einem ähnlichen Ergebnis.
Gleichzeitig wurde im Dezember 2022 öffentlich, dass zwei chinesische Mitarbeitende bei Bytedance unerlaubt die Standort-Daten von zwei amerikanischen Journalisten genutzt hatten, um zu ermitteln, ob diese sich mit TikTok-Mitarbeitenden trafen. Diese wiederum sollen zuvor vertrauliche Informationen von TikTok geleaked haben. Die mit dem Vorfall in Zusammenhang stehenden Personen wurden entlassen. Auch zeigen Berichte immer wieder, dass chinakritische Inhalte weniger effektiv ausgespielt oder gar zensiert werden. Durch derartige Vorfälle wächst das Misstrauen der Plattform gegenüber.
https://twitter.com/cspan/status/1638946865243627523
Wenngleich es definitiv Verbesserungspotenzial in Datenschutzfragen bei TikTok gibt – das FBI und Regierungsvertreter*innen konstatieren, dass bislang noch keine Beweise für eine Datenübergabe an die chinesische Regierung vorliegen. „Keine Beweise dafür wurden jemals öffentlich dargelegt“, so Adam Segal, Experte für Cybersicherheit bei Council on Foreign Relations.
Derzeit handelt es sich also lediglich um potenzielle Risiken, die diskutiert werden. Dabei offenbart die Diskussion um ein TikTok-Verbot ganz klar auch Vorurteile gegen das Tech-Unternehmen als chinesischen Konzern sowie schlichte Unwissenheit und fehlende Medienbildung seitens vieler Politiker*innen, die sich mit einem TikTok-Verbot befassen. Das zeigt die Befragung im US-Kongress.
Man muss der Debatte zu Gute halten, dass das Thema Datenschutz zumindest oberflächlich dadurch wieder stärker in den öffentlichen Fokus rückt. Auch wenn es durch eine voreingenommene Diskussion leider bisher nicht in der nötigen Tiefe diskutiert wird.
Paternalistischer Umgang mit sozialen Netzwerken
Auf TikTok gehen derweil Ausschnitte der Befragung viral. Richard Hudson, ein Republikanischer Politiker aus North Carolina, fragt Chew, ob TikTok Zugriff auf das heimische WLAN-Netzwerk hat, wenn man die App nutzt. Chew antwortet sichtlich verwirrt, dass die App (bzw. das Smartphone) sich natürlich mit dem Netzwerk verbinde, um eine Internetverbindung herzustellen.
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Der kurze Dialog ist eines von vielen Beispielen der Anhörung, die eine fehlende Medienkompetenz im Umgang mit sozialen Netzwerken unterstreicht. TikTok-Nutzer*innen, vornehmlich zwischen 13-19 Jahre alt und medienaffin, amüsieren sich über die Fragen der Abgeordneten und kritisieren zeitgleich die Debatte, um eine Plattform, die elementarer Bestandteil ihrer digitalen Kommunikation geworden ist. Offensichtlich werden sie nicht in die Debatte einbezogen und machen ihrem Ärger auf der Plattform selbst und in Form von Protesten gegen ein Verbot von TikTok Luft. Für einige reichweitenstarke Creators übernahm TikTok dabei die Reise- und Übernachtungskosten nach Washinton DC. Der Tenor auf der Plattform selbst ist aber eindeutig pro TikTok.
Auch hierzulande führen Politiker*innen, Lehrer*innen und Eltern Debatten über ein soziales Netzwerk, dessen Mechanismen sie selbst kaum verstehen. Die 2021 durchgeführte Studie „Quelle: Internet?“ der Stiftung Neue Verantwortung (SNV) zeigt: Nur 22 Prozent der über 18-Jährigen Menschen verfügen über eine hohe Medienkompetenz. Maximal ein Viertel der Befragten konnte eine Desinformation trotz Kennzeichnung richtig einordnen. Die Studie offenbart auch: Jugendliche mit hoher Schulbildung weisen die besten Ergebnisse im Medienkompetenz-Test vor. Die Medienkompetenz nimmt mit dem Alter rapide ab. Wie also können wir sachlich über soziale Netzwerke sprechen und so zu Lösungen gelangen, die Jugendlichen wirklich zu Gute kommen?
Umgang in der Jugendarbeit mit TikTok
Ein erster Schritt: Nutzen Sie die Plattform! Oftmals scheitert es schon an der Auseinandersetzung mit dem neuen Medium. Verstehen wir nicht die grundlegenden Funktionsweisen und Eigenarten der Plattform, so wird auch eine praxisnahe Auseinandersetzung mit dieser unmöglich. Klar ist: Eine gewisse Art des Humors und eine eigene Art der Vernetzung und Kommunikation, wird jüngeren Nutzer*innen vorbehalten bleiben. Und das ist auch gut so. Es geht nicht darum, die Plattform in jedem Detail zu erschließen. Aber Debatten zeigen, dass ältere Generationen versuchen, die Deutungshoheit und auch regulatorisch Kontrolle über die Kommunikationsräume junger Menschen zu erhalten – ohne sich tiefergehend damit auseinandergesetzt zu haben.
Im US-Amerikanischen Beispiel sagt Jenna Leventoff, Senior Policy Counsel ACLU, dazu: „Der Kongress darf nicht ganze Plattformen zensieren und den Amerikaner*innen ihr verfassungsmäßiges Recht auf Redefreiheit und freie Meinungsäußerung nehmen.“ Wir sprechen über einen möglichen massiven Eingriff in einen relevanten Kommunikationsraum für alle Amerikaner*innen, der vor allem von Jugendlichen genutzt wird. Während die Anschuldigungen derzeit noch in keiner Weise belegt sind.
So ergibt sich für ältere Generationen – vor allem in der Jugendarbeit – die uneingeschränkte Pflicht, zu versuchen ein ganzheitliches und tiefergehendes Bild der Plattform zu erlangen, das nicht durch Stereotype geprägt ist. Denn die aktuelle Debatte zeigt: So bleibt kaum Raum, um wichtige Datenschutzfragen zu diskutieren, die es definitiv gilt zu thematisieren. Aber dafür müssen Menschen, die die Plattform nicht habitualisiert nutzen, sie richtig verstehen. Ein erster Schritt kann der Austausch mit Jugendlichen auf Augenhöhe sein, die gehört werden müssen. Denn sie sind nicht nur Nutzer*innen der Plattform, sondern gestalten sie als Content Creators maßgeblich selbst.
Auseinandersetzung mit TikTok in der Jugendarbeit
Für eine Annäherung an die komplexe Auseinandersetzung mit digitalen Medien und deren Logiken ist das „Dagstuhl-Dreieck“ praktisch, das in schulischen oder außerschulischen Kontexten genutzt werden kann. Ausführlich haben wir darüber bereits in der Ausgabe 9 unseres Newsletters geschrieben.
Auch bietet sich an, Datenschutzfragen konkret zu besprechen. Dazu gehört der Austausch darüber, was (fehlender) Datenschutz für Nutzer*innen bedeuten kann. Aber auch eine Betrachtung und Nachbesserung der möglichen Einstellungen. TikTok selbst bietet eine ausführliche Beschreibung der möglichen Datenschutzeinstellungen an.
In der Mediendidaktik sind gute Kenntnisse im Umgang mit digitalen Medien unabdingbar. Sie werden benötigt, um Medieninhalte jugendgerecht zu thematisieren, gesprächsrelevante Themen zu identifizieren und selbst Medieninhalte zu produzieren, die bspw. im Unterricht verwendet werden können. Es braucht also nicht nur ein Verständnis der Plattformen, sondern auch eine kreative Gestaltungs- und Produktionskompetenz. Dazu muss auch das eigene mediale Handeln kritisch reflektiert werden, um eigene Wissenslücken zu identifizieren und bestmöglich zu schließen. Der erste Schritt ist in jedem Fall das Ablegen von Stereotypen und Berührungsängsten mit der Plattform – nur so kann eine fachgerechte Auseinandersetzung mit TikTok als wichtigstes soziales Medium der Gen Z gelingen.
Lizenz zur Abbildung des Dagstuhls Modell: CC BY-SA 3.0 DE