Es ist eine der großen Tragödien emanzipatorischer Kämpfe, dass diese immer wieder mit reaktionärer Gewalt beantwortet werden. Menschen, deren Identität auf ihrer politischen Vorherrschaft – ob diese sich nun weiß, goyisch, patriarchal, bourgeois oder anderweitig geriert – fühlen sich durch die Emanzipation Marginalisierter bedroht. Denn: wer seine Persönlichkeit auf dem Potenzial zur Unterdrückung anderer aufgebaut hat, begreift deren Befreiungskämpfe auch immer als direkten, persönlichen Angriff: „Die wollen mir das Recht wegnehmen, sie weiter diskriminieren zu dürfen. Die wollen, dass ich nicht mehr das N-Wort ausspreche, die Musik eines Mannes höre, der systematischer sexueller Gewalt bezichtigt wird, Witze über dicke Menschen mache. Aber wie sonst, außer anderen gegenüber gewalttätig zu sein, soll ich die im Spätkapitalismus permanent erfahrene eigene Gewalt und Ohnmacht kompensieren?”
Die Angst um den Verlust der Vorherrschaft ist eine mächtige Triebfeder rechter Propaganda. Propaganda funktioniert, weil sie „rechte Gefühle“ bedient, wie der Kulturwissenschaftler Simon Strick in seinemgleichnamigen Werk analysiert. Reaktionäre Akteur*innen, gerade wenn sie – politisch, finanziell oder auch persönlich und emotional, aus Sadismus und Hass heraus – profitieren, geben sich alle Mühe, gesellschaftlich unterschwellige Ressentiments weiter anzufachen, auf dass diese sich in einen ausgewachsenen Kulturkampf verwandeln. Zentrales Schlachtfeld dieses Kulturkampfes sind gerade die Kämpfe transgeschlechtlicher Menschen. Obwohl – oder: gerade weil – diese nach wie vor eine extrem vulnerable Minderheit sind, deren Sichtbarkeit und Anerkennung erst langsam und nach intensiven Kämpfen beginnen zu Normalität zu werden, fungieren sie momentan als primäres Feindbild von Konservativen bis Neonazis.
Julian Reichelt: irgendwo zwischen Ben Shapiro, Tucker Carlson und Matt Walsh
Die Zeiten, in denen Deutschland in Sachen Faschismus maßgeblich als Pionier fungiert hat, sind weitestgehend vorbei. Die meisten Talking Points, zumindest wenn es um Kulturkämpfe geht, kommen heute aus den Vereinigten Staaten, so auch die Panikmache über eine „Trans-Agenda”. Als also der selbsternannte „theokratische Faschist“ Matt Walsh im Juni 2022 auf der vom dauerempörten Alt Right-Kommentatoren Ben Shapiro betriebenen Plattform The Daily Wire den transfeindlichen Film „What is a Woman?” veröffentlichte, muss die deutsche Szene nachziehen. Wer ist dafür besser geeignet als Julian Reichelt, ehemaliger Bild-Chefredaktuer, der gerade dabei ist, sich sein eigenes rechtsalternatives Medienimperium aufzubauen. Reichelt, gemeinsam mit den als Sprecher:innen auftretenden Journalist:innen Judith Sevinc-Basad und Jan A. Karon produzieren also den Film „Trans ist Trend“. Veröffentlicht wird das ganze auf Reichelts Daily Wire-Abklatsch NIUS, finanziert von Milliardär Frank Gotthard. Sevinc-Basad hatte sich 2022 von Springer verabschiedet, nachdem sich der Verlagsvorstand nach der vehementen Kritik zu einem queerfeindlichen und strukturell antisemitischen Artikel über die vermeintliche LGBTQ-Indoktrination durch den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk von diesem distanziert hatte. Derkonservative Verlag sei ihr zu „woke“ geworden, so die Begründung. Karons Karriere rechts der Mitte begann mit einem Artikel, in dem er behauptete, als ehemaliger Linker die Szene verlassen zu müssen, da diese ihm zu „woke“ geworden sei. Und in ihrem Hass auf dieses gemeinsame Feindbild, das beliebig auf jedes ansatzweise progressive Thema projiziert werden kann, finden sich Sevinc-Basad und Karon nun nicht nur ideologisch, sondern eben auch beruflich bei Reichelt zusammen. „Trans ist Trend“ folgt thematisch den gleichen Kulturkampf-Punkten wie „What is a woman?“, ist jedoch ein gutes Stück schlechter produziert – dies wird aber durch eine Niedertracht in der Berichterstattung ausgeglichen, die sogar einen beispiellosen Frauenfeind und Faschisten wie Walsh in den Schatten stellt.
Beide Filme strotzen nur so vor Falschinformationen, die an anderen Stellen bereits akribisch aufgearbeitet worden sind: Walshs Machwerk von der Videoesayisstin Jessie Earl, der von Reichelt auf queer.de.
In diesem Text soll es nun um grundlegenderes gehen: was die Filme politisch und ideologisch erreichen wollen, und wie sie es tun, welche Rhetorik, Bildsprache und Narrative sie verwenden. Er wird sowohl „What is a woman?“ als auch „Trans ist Trend“ gleichermaßen beleuchten, da Reichelts Machwerk zweifelsohne von Walshs Film inspiriert ist, und auch die Narrative weitestgehend die gleichen sind. Auch die ideologische Grundlage ist deckungsgleich. Es geht um Panikmache, um antimodernes Unbehagen, um Intellektuellenfeindlichkeit, um die Entmündigung von Kindern und Jugendlichen, um die Dämonisierung von trans Personen, um Täter-Opfer-Umkehr, und letztendlich: die Legitimation transfeindlicher Gewalt.
Involvierte
Zahlreiche Interviewpartner*innen beider Filme haben sich in der Regel die Propaganda gegen trans Personen zur Karriere gemacht – es sind also mitnichten neutrale Akteur*innen. Dass Matt Walsh Jordan Peterson bei sich sprechen lässt, sagt eigentlich schon genug aus. Weitere Sprechende sind ein genderkritischer trans Mann als Token, die transfeindliche Wissenschaftlerin Debra Soh, die trotz einer Buchveröffentlichung und eines erfolgreichen Podcasts darüber lamentiert, von trans Menschen mundtot gemacht worden zu sein. Des Weiteren lässt Walsh neben einer Psychiaterin, die sich entsetzt über „Frühsexualisierung“ äußert, einen christlichen Fundamentalisten sprechen – und gibt diesem Mann, dessen Ideologie inhärent patriarchal ist, uneingeschränkt recht.
Reichelts Machwerk gibt sich hingegen nicht einmal Mühe, Neutralität vorzutäuschen. Dass Karon und Sevinc-Basad Sprecher*innen sind, ist schon bezeichnend genug. Ergänzt werden sie durch das deutsche Who is Who der „genderkritischen“ Bewegung: Fischbiologin Marie-Luise Vollbrecht, die polemische Angriffe gegen trans Menschen zu ihrem Hobby, und das Narrativ wegen Kritik an ihrer Transfeindlichkeit „gecancelt“ worden zu sein zu einer lukrativen Karriere gemacht hat, ist prominent vertreten. Außerdem die Antifeministin Birgit Kelle, der Medienanwalt Ralf Höcker (CDU), der rechtsradikale und transfeindliche Troll Bijan Tavassoli, und die Detransitioniererin Sabeth Blank.
Gerade Tavassoli und Blank sind interessante Gäste: Ersterem wurde wegen zunehmend untragbarem Verhalten die Mitgliedschaft bei der Linksjugend entzogen und hat sich seitdem zunehmend der Rechten angenähert. Tavassoli erhielt Bekanntheit darüber, dass er sich unter der Behauptung, er sei eine trans Frau, in eine Frauensauna gesetzt hatte, um so Ressentiments gegen trans Personen zu schüren. Blank spricht auf Twitter über ihre Erfahrungen mit einer Detransition. Es passiert hin und wieder, dass Menschen geschlechtsangleichende Maßnahmen rückgängig machen, der Prozentsatz ist jedoch äußerst gering und häufig in transfeindlicher Ablehnung des eigenen Umfelds verortet. Blank vermittelt jedoch, dass sie quasi das Opfer von Indoktrination gewesen sei. Es gibt übrigens auch Detransitionierer*innen, die ihre Transition nicht bereuen, sondern als einen von vielen Schritten in ihrer Geschlechtsfindung begreifen, zum Beispiel die Aktivis*in Eli Kappo. Blank als Teil der genderkritischen Bewegung wurde also weniger eingeladen, um einen Einblick in eine Detransition zu geben, sondern die reaktionäre Grundhaltung des Films zu bedienen.
Techniken
„Ich stelle doch nur Fragen!“ – diese vermeintlich unschuldige Behauptung zahlreicher Alt Right-Akteur*innen hat Matt Walsh zur Prämisse seines Films gemacht. Die Strategie: Progressive Menschen vorführen. Matt Walsh nutzt in den Gesprächen mit transsolidarischen Ärzt*innen oder Wissenschaftler*innen in seinem Film aus, lange nicht so bekannt zu sein, wie er es gerne wäre. Die Interviewpartner*innen gehen also von offenen, interessierten Gesprächen aus. Das Ziel von Männern wie Walsh – oder auch seinen geistigen Verwandten wie Ben Shapiro oder Steven Crowder – ist es, anhand von gezielt manipulativen Fragen Gesprächspartner*innen in Widersprüche zu verwickeln und in ein schlechtes Licht zu rücken. Ben Shapiro hat eine Karriere darauf aufgebaut, junge antirassistische oder feministische Studierende durch rhetorische Tricks bloßzustellen und dies dann online zu veröffentlichen – zur Unterhaltung seiner Fans.
Walsh sucht also gezielt das Gespräch mit durchaus transsolidarischen und –geschlechtlichen Menschen: Zum Beispiel dem Geschlechterforscher Patrick Grzanka. Diese wurden jedoch unter falschen Vorwänden in die Interviews gelockt, Walsh hatte sich als Person ausgegeben, die eine Dokumentation über Geschlechterfragen drehen wollte, ohne jedoch den transfeindlichen Tenor des Films offen zu legen. Es ist bezeichnend, dass Grzanka, genau wie andere transsolidarische Gesprächspartner*innendas Gespräch beendet haben, nachdem ihnen Walshs Intention aufgefallen ist. Dass Walshs Interviewpartner:innen alle recht schnell die Intention des Filmemachers erkannt und souverän reagiert haben, ist vermutlich auch primär darin begründet, dass es sich bei den Befragten um theoretisch versierte Fachleute handelt, die schon oft genug mit manipulativen und feindseligen Gesprächspartner:innen in Kontakt waren. Ihre Inszenierung im Film ist ausnahmslos negativ: zu intellektuell, zu irrational, zu ideologisch. Grzanka und sein Team, und mutmaßlich andere transsolidarische Interviewpartner:innen, erfuhren nach dem Film zahlreiche Belästigungen, der Wissenschaftler hat seinen Twitter-Account inzwischen auf privat stellen müssen.
Sowohl Walsh, als auch Karon und Sevinc-Basad filmen sich dabei, wie sie auf Demonstrationen versuchen, feministische und transsolidarische Teilnehmer*innen anzusprechen. Sie inszenieren sich als neugierig und naiv, und reagieren gekränkt und empört, wenn Leute ihnen – verständlicherweise – das Gespräch verweigern, oder sie im Falle von Walsh der Demonstration verwiesen werden. Die Videos der Demonstrationen, die verwendet werden, zeigen queere Aktivist*innen als wütend, aufgebraucht und potenziell gefährlich, die Gegner*innen hingegen als gelassen. Dieses Bildmaterial unterschlägt jedoch, dass gerade in den USA queere Demonstrant*innen immenser Gefahr ausgesetzt sind, einerseits durch Polizei, andererseits durch oftmals bewaffnete, aggressive Gegendemonstrant*innen. Es ist eine klassische Strategie der Alt-Right und von Transfeind*innen, Demonstrationen kapern zu wollen, und sich dann darüber zu beschweren, aufgrund ihrer menschenfeindlichen Positionen der Veranstaltung verwiesen zu werden. Das obligatorische Videomaterial dieser Vorfälle wird immer wieder verwendet, um zu sagen: „Schaut, wie friedlich wir sind! Und schaut mal, wie laut und wütend die uns angehen!“ Ziel dieser Aktionen und Videos ist es, aus dem Kontext gerissenes Material zur Delegitimierung von queeren und antifaschistischen Kämpfen und zur Opferinszenierung von Transfeind*innen zu verwenden. In der eigenen Blase bedient dies bereits präsente Vorurteile, und weniger radikalisierte Menschen sollen beginnen, sich zu fragen, ob diese „ganze Trans-Sache nicht zu weit geht“. Oftmals leider mit Erfolg, was auch in einer mangelnden Medienkompetenz zu verorten ist.
Besonders hervorzuheben sind die Aktionen von Bijan Tavassoli. Er läuft mit Karon und Sevinc-Basad über feministische Demonstrationen und gibt sich als „trans Muslima“ aus, obwohl er sich männlich präsentiert. An einer Stelle beschwert er sich darüber, mit dem Pronomen „er“ angesprochen worden zu sein. Dieses Verhalten, genau wie die Aktion in der Frauensauna, soll vermitteln: Queere Aktivist*innen setzen durch ihre naive Gutmütigkeit und Bereitschaft, die Geschlechtsidentität anderer zu akzeptieren, Frauenräume aufs Spiel! Dabei ist nicht die Akzeptanz queerer Menschen das Problem, sondern die Niederträchtigkeit von Trollen wie Tavassoli.
Die konkrete Realität ist: Viele trans Personen, die noch keine geschlechtsangleichenden Maßnahmen durchgeführt haben, outen sich zuerst in einem engen, privaten Kreis. Sie ertragen über Monate oder Jahre hinweg aus Angst vor Angriffen und Diskriminierung, mit den falschen Pronomen angesprochen und als das falsche Geschlecht wahrgenommen zu werden. Die unmittelbare Akzeptanz von trans Menschen, die noch nicht passen – also ihrem eigentlichen Geschlecht optisch entsprechen – ist ein Akt der Solidarität in einem eigentlich sicheren Raum. Und dieser Raum wird von einem Troll wie Tavassoli bewusst zerstört.
Bildsprache
Trans Menschen sind irrational, bedrohlich, und vor allem: sie lauern überall. Das zumindest suggeriert der geschickt eingesetzte Schnitt der Filme. Beide Produktionen zeigen Schnipsel aus Filmen mit trans Repräsentation, TikToks und YouTube-Videos, in denen trans Menschen in unterschiedlichen Situationen nebeneinander gestellt werden: Influencer*innen wie DylanMulvaney, Jugendliche, die freudig erklären, dass sie nichtbinär sind und neutrale Pronomen benutzen. Dann: aggressive trans Personen, die scheinbar harmlose Kritiker*innen anschreien! Und dabei, wenn es sich um trans Frauen handelt, so gar nicht zart und weiblich erscheinen wollen, sondern, so will die Bildsprache vermitteln, wie wütende Männer. Walsh untermalt diese Videoschnipsel mit einem bedrohlich klingenden Soundfilter, um den Punkt, dass trans Menschen gefährlich seien, auch noch akustisch zu unterstreichen. Reichelts Video endet mit dem Bild einer älteren, queeren Person in hohen Schuhen und knapper Kleidung, mutmaßlich aufgenommen auf einem CSD. Bei beiden Clips, die mit den TikToks von queeren Jugendlichen beginnen, ist die Botschaft eindeutig: Die sind eine auf Social Media und in Hollywood omnipräsente Macht an Perversen – und sie sind hinter deinen Kindern her!
Andere Videozusammenschnitte zeigen geschlechtsangleichenden Operationen. Auch Bilder aus Foren für trans Menschen werden verwendet – für das Bildmaterial wurde also in Safe Spaces eingedrungen, um Auseinandersetzungen zwischen trans Menschen, die nicht für die Außenwelt bestimmt sind, in einem negativen Kontext zu verwenden. Karons Kommentar trieft vor Entsetzen und Abscheu. Ignoriert wird: Operationen von cisgeschlechtlichen Menschen sehen ähnlich blutig aus. Und über geschlechtsspezifische Operationen bei cis Menschen, wie Brustvergrößerungen, Haartransplantationen oder Kieferimplantate echauffiert sich Karon nicht – obwohl diese wesentlich häufiger vorkommen als geschlechtsangleichende OPs bei trans Menschen.
Diese Taktiken und Strategien sind keine Erfindung von Matt Walsh, Judith Sevinc-Basad oder Jan A. Karon. Es sind seit Jahren eingeübte Techniken in einem Kulturkampf von rechts, und sie werden seit 2015 intensiv von der Alt-Right genutzt, um politische Gegner*innen zu diskreditieren und zu verhöhnen. Deswegen ist es umso wichtiger, dass sie direkt erkannt und unterbunden werden. Der zweite Teil der Analyse wird anhand der Filme von The Daily Wire und NIUS die gängigen Narrative der transfeindlichen Bewegung erläutern und dekonstruieren.