Triggerwarnung: Gewalt gegen trans und queere Personen, Schilderung massiver körperlicher und rassistischer Gewalt, Nennung sexualisierte Gewalt, Suizid
Vier Personen werden geschlagen oder getreten, zwei Personen verfolgt, zwei Personen angespuckt, eine Person wird gewürgt und eine mit Reizgas angesprüht. So sieht es aus in Berlin. Ähnliche Vorfälle in München, Düsseldorf, Frankfurt am Main. Bei Bonn erfährt ein Mann sexualisierte Gewalt.
Alle diese Angriffe richteten sich 2021 gegen trans und queere Personen, registriert in der Chronik des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) über Gewalttaten gegen LGBTIQA+. Die Attacken sind politisch motiviert. Das zeigte sich bei den Angriffen auf demonstrierende Menschen und Stände zum Christopher Street Day (CSD) in Taucha, Olpe, Stendal, Stuttgart, Gelsenkirchen und München. Auch queere Beratungsstellen und Jugendeinrichtungen wurden beschmutzt und Fensterscheiben zerbrochen. Selbst Sitzbänke mit queeren Symbolen und Regenbogenflaggen wurden zerstört und zu großen Teilen verbrannt. Dabei beinhaltet diese Auflistung nur Vorfälle, über die medial berichtet wurde. Die genaue Zahl queer- und transfeindlicher Angriffe im Jahr 2021 dürfte deutlich höher liegen.
Die Zahlen der Behörden zeigen nur ein Bruchteil
Das Bundesinnenministerium meldete für das Jahr 2020 deutschlandweit 204 transfeindliche Straftaten, 35 davon waren Körperverletzungen. Insgesamt steigt die dokumentierte Gewalt gegen LGBTIQA+ seit mehreren Jahren drastisch an, 2020 wurden 36 Prozent mehr Angriffe als im Vorjahr registriert. Der Anteil transfeindlicher Körperverletzungen ist verhältnismäßig hoch: letztes Jahr betrug er 24 Prozent der gesamten LGBTIQA+-feindlichen Angriffe. Ob Gewalt gegen queere Menschen und Organisationen wirklich zunimmt oder nur sichtbarer geworden ist, lässt sich allein von diesen Zahlen nicht ableiten. Sicher dürfte sein, dass nur ein kleiner Bruchteil der queerfeindlichen Angriffe den Behörden gemeldet oder als solche eingeordnet wird. Die Polizei ist für viele queere Menschen und vor allem für diejenigen, die Rassismus erfahren, keine sichere Anlaufstelle. Zudem gibt es nicht genügend adäquat geschulte und sensibilisierte Ansprechpersonen in den Polizeibehörden der Bundesländer. Teilweise fehlen sie ganz, wie zum Beispiel in Bayern. Außerdem befürchten queere Menschen oft noch mehr Diskriminierung von der Polizei, wie 2020 das erste vom Berliner Senat geförderte Monitoring „Trans- und Homophober Gewalt“ in Berlin von Camino berichtet. Demnach werden trans Personen und Queers of Colour besonders oft diskriminiert, vergleichsweise erfahren sie auch häufiger körperliche Gewalt als andere Personen aus LGBTIQA+-Communities.
Diese Gewalt ist lebensgefährlich. Weltweit steigt die Tendenz der Angriffe, wie das Trans Murder Monitoring (TMM) zeigt. Schon im November 2021 zählte das TMM weltweit mehr Morde an trans und queeren Menschen, als in den Jahren zuvor – 2008 nahm es seine Arbeit auf.
Transfeindlichkeit nicht nur rechtsextrem, sondern gesellschaftlich akzeptiert
Wie weit verbreitet und gesellschaftlich akzeptiert Gewalt gegen trans und andere queere Personen ist, wurde auch im diesjährigen Bundestags-Wahlkampf deutlich. Besonders die Kandidat:innen der AfD versuchten ihre Wähler:innen damit zu ködern. So forderte unter anderem die AfD-Abgeordnete Christina Baum zum wiederholten Mal, der Christopher Street Day (CSD) müsse verboten werden. Die leidigen Debatten um geschlechtergerechte Sprache und die Repräsentation von trans und nicht-binären Personen wurde über alle Parteien, Comedians und Twitter-Blasen hinweg bedient.
Auch die regierenden Parteien zeigten im Frühjahr 2021, dass sie es nicht ganz so ernst mit den Rechten von trans Menschen meinen. Neben der AfD stimmten auch CDU und SPD gegen den Gesetzentwurf der Partei Bündnis 90/die Grünen zur Abschaffung des sogenannten „Transsexuellengesetzes“. Damit entschieden sie sich wieder einmal und entgegen bestehender Rechtsprechung gegen ein Selbstbestimmungsgesetz, das mit Menschenrechten vereinbar wäre. Auch wenn Rechtsextreme besonders faschistisch gegen trans und queere Personen hetzen, handelt es sich also nicht allein um ein rechtsextremes Phänomen.
Gewalt und Bedrohungen gegen Marginalisierte ist online an der Tagesordnung
Dies zeigt sich bei einem Blick ins Internet. Neben der transfeindlichen Gewalt auf der Straße, in Innenräumen und in staatlichen Institutionen sind Hasskommentare, Beschimpfungen und Morddrohungen auch im Netz keine Seltenheit.
Wie in der Gesamtgesellschaft, sind auch in feministischen und linken Kreisen transfeindliche Stimmen vertreten. Viele TERFs – so werden abgekürzt trans-ausschließende radikale Feminist:innen genannt – sind sehr aktiv in sozialen Medien. So verbreitete Lily Cade beispielsweise transfeindliche Gerüchte und rief zur Ermordungen von trans Frauen auf.
Auch im deutschen Kontext bedienen TERFs immer wieder transfeindliche Erzählungen und verbreiten bewusst Falschinformationen. Alice Schwarzer und weitere Autor:innen der „Emma“ zum Beispiel. Anstatt für ein selbstbestimmtes Leben für alle einzutreten, frei von systematischen Diskriminierungen, inszenieren TERFs trans Menschen als Bedrohung für cis Frauen und Frauenrechte. Damit schließen sie trans und andere queere Menschen von feministischen Räumen aus und verkennen die patriarchale Gewalt, die Queers erleben. Trans Frauen sind dabei besonders oft Ziel von Online-Angriffen – ihnen wird das Frau-Sein abgesprochen, sie werden systematisch misgendert und diffamiert. Die unter TERFs verbreitete Vorstellung, trans Frauen würden Rückzugsorte bedrohen und der Warnung vor einer sogenannten „Trans-Lobby“, die angeblich übermächtig sei und nach totaler Kontrolle strebe, ähnelt dabei auch antisemitischen Verschwörungsmythen.
Auch weitere diskriminierende Ebenen sind relevant
Die Personen, die neben Trans- bzw. Queerfeindlichkeit auch andere Diskriminierungen erfahren, trifft psychische und physische Gewalt in besonderem Ausmaß. Zahlen zu Mehrfachdiskriminierung und zusammenwirkenden Benachteiligungen sind schwer zu finden. Die letzte Studie wurde 2012 von LesMigraS e.V. zu „Gewalt und (Mehrfach-)Diskriminierungserfahrungen von lesbischen, bisexuellen Frauen und Trans* in Deutschland“ durchgeführt. Weiterhin werden vielen Menschen aus rassistischen oder anti-muslimischen Gründen ihr Queer-Sein abgesprochen. Die Ursachen queerfeindlicher Gewalt wird meist bei nicht-weißen oder nicht-deutschen Personen gesucht. Dabei sind es gerade Queers und trans people of Colour, die verhältnismäßig häufiger und stärker angegriffen werden.
Zur Gefährdung durch Gewalt im öffentlichen und digitalen Raum kommen z.B. rassistische Diskriminierung und Diskriminierung aufgrund von Behinderung durch Behörden und Justiz sowie Ausschlüsse und Diskriminierung im Bildungs- und Gesundheitssystem hinzu. Auch die Asylregelungen der EU, die die Verfolgung von LGBTIQA+ als Fluchtgrund anerkennt, sind lückenhaft und oft sind Transfeindlichkeit und anti-muslimischer und anti-schwarzer Rassismus von Beamt:innen und Sprachmittler:innen einer der Gründe für die verweigerten Aufenthaltserlaubnis.
Diskriminierungen hinterlassen Spuren, auch im psychischen Wohlergehen betroffener Menschen. Am 14. September 2021 verbrannte sich Ella öffentlich auf dem Alexanderplatz in Berlin und verstarb wenig später an den Folgen. Auch wenn es schwer ist, die genauen Ursachen zum Suizid der aus dem Iran geflüchteten trans Frau zu wissen, ist davon auszugehen, dass rassistische und transfeindliche Diskriminierungen Ella das Leben erschwert haben.
Die nächsten Schritte
Wichtige Zeichen gegen Trans- und Queerfeindlichkeit sind der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung, der beispielsweise ein Selbstbestimmungsgesetz vorsieht, die Sicherheit queerer Geflüchteter verbessern will und die Antidiskriminierungspolitik auszubauen plant. Auch die Erweiterungen staatlicher und zivilgesellschaftlicher Meldestellen sind wichtige Schritte.
Trotzdem bleibt Transfeindlichkeit ein gesellschaftliches Problem. Es ist die Aufgabe aller Akteur:innen und Institutionen, Diskriminierungen gegen LGBTIQA+ im Auge zu behalten und sichtbar zu machen, um dem effektiv entgegenwirken zu können. Das Recht aller Menschen auf einen sicheren Aufenthalt und ein gewaltfreies Leben kann erst mit grundlegenden Einstellungen gegen Trans- und Queerfeindlichkeit, Rassismus und andere Diskriminierungen gewährleistet werden.
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