„Super straight“ als vermeintliches Identitätsmerkmal kommt aus dem Internet. Am Anfang von #superstraight stand ein TikTok-Video in dem ein junger Mann aus Kanada erklärte, er wolle nur Frauen daten, die als Frauen geboren seinen, also keine Transfrauen, aber das sei nicht transfeindlich, sondern er gebe sich eine neue sexuelle Orientierung, er sei jetzt „Super straight“: „Yo, guys, I made a new sexuality now, actually. It’s called ‚super-straight’, since straight people, or straight men as myself –– I get called transphobic because I wouldn’t date a trans woman.“
Nun drehen jeden Tag weltweit Millionen Menschen Unfug-Videos, aber die „Super straight“-Verkündigung hat online einen Nerv getroffen, so dass das TikTok-Video nicht nur viral ging, sondern online eine weltweite „Bewegung“ ausgelöst hat. Am 21. Februar 2021 wird das Video bei hochgeladen. Innerhalb von zwei Tagen wird es über zwei Millionen mal geliked und findet auch schnell über TikTok hinaus Verbreitung. In den nächsten Tagen folgen zahlreiche TikToks, Tweets und Boardeinträge.
Schon in diesem ersten Video sind einige abwertende Ansätze gesammelt, die die Hate Communitys online begierig aufgegriffen haben:
- Die Täter-Opfer-Umkehr: Statt sich zu fragen, warum die lautstarke Verkündigung dieser Einstellung von betroffenen trans Frauen (1) als abwertend begriffen wird – um danach damit aufzuhören – wird die am wenigsten von Diskriminierung betroffene, privilegierteste Gruppe überhaupt – heterosexuelle Cis-Männer – als (z.T. „neues“) Opfer dargestellt: Sie dürften nicht mehr so sein, wie sie möchten, und müssten sogar eine neue sexuelle Orientierung ausrufen. Die Illustration oben zeigt den #superstraighten Ritter im Kampf gegen alle anderen – die allerdings gar kein Interesse haben, diese Einstellung zu bekämpfen, sondern nur diskriminierungsfrei leben wollen. Denn in Wirklichkeit geht es darum, dass die #superstraight-Anhänger:innen diskriminieren wollen, ohne sich das vorwerfen lassen zu müssen.
- Das Video erschien auch als Persiflage von Videos queerer Menschen, die über ihre sexuelle Orientierung sprechen – um sich mit dem Ausrufen einer Art Hyperheterosexualität über ihre Kämpfe lustig zu machen. Progressive Argumente werden auf queerfeindliche Weise umgekehrt. Zumal macht ein Labeling als „Humor“ Löschungen unwahrscheinlicher.
- Es enthält die Delegitimierung von trans Personen, denen abgesprochen wird, „richtige“ Frauen oder Männer zu sein, kombiniert mit der Abwehr, dass sei die „Natur“ des Videomachers, die er sich nicht aussuchen könne.
Hier kommen also bereits einige rhetorische Kniffe zum Tragen, die die rechtsextreme Alt-Right-Bewegung in den USA ebenfalls zelebriert, und so entwickelte sich #superstraight durch die Adaption des Labels auf den Hass-Foren von 4chan und Kiwifarms im März 2021. Hier wird die transfeindliche Ausrichtung von #superstraight mehr herausgearbeitet, ebenso wie die traditionalistischen Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen als Gegenpol der „Natürlichkeit“ zementiert. Auf 4chan wird am 5. März 2021 ein Thread gestartet, in dem es darum geht, „Superstraight“-Memes zu bauen und auf Social Media zu posten, um mehr junge Menschen zu radikalisieren und deren Unwissen über Transpersonen und den Prozess der Transition auszunutzen, um Ängste über die eigene Sexualität zu schüren.
Memefizierung von Queer- und Transfeindlichkeit
Die Memes bauten sich quasi von selbst: Oft werden queere Memes adaptiert und als „Super straight“-Memes umgebaut, um damit nicht nur queere Kämpfe zu verhöhnen, sondern sich sogar, als Krone der Verhöhnung sozusagen, selbst in die queere Szene einzureihen und Akzeptanz für die angebliche neue sexuelle Orientierung zu fordern. Neben Memes entstand eine „Fahne“ in schwarz und orange – inspiriert passender- und geschmackvollerweise durch die Farben der Sexseite Pornhub.
Auf 4chan fiel dann (spätestens) auch User:innen auf, dass „super straight“ nicht nur auf traditionalistische Männlichkeitsbilder zurückgreift, sondern sich auch mit den Buchstaben SS abkürzen lässt. Schon sah die #superstraight-„Fahne“ so aus:
Die rechtsextreme Szene sprang also auf den abwertenden Online-Trend auf – transfeindlich und homofeindlich sind Rechtsextreme von je her – und entwickelte ihn entsprechend weiter, um eigene „Themen“ einfließen zu lassen: Neben der Transfeindlichkeit und der NS- oder hier konkret SS-Verherrlichung gehört dazu auch Rassismus.
Denn hier fanden die Online-Nazis ein Betätigungs- und vor allem Agitationsfeld vom Feinsten: Junge Menschen – vor allem Männer – die bereits bereit zur Abwertung anderer sind, um die eigene (offenbar als fragil empfundene) Sexualität aufzuwerten. Zudem sahen sie sich ja bereits als „Opfer“ einer Gesellschaft, die sich mehr als zuvor um Minderheitenschutz bemüht, weshalb ungestörtes Hetzen gegen LGBTIQ+ und Frauen erschwert oder zumindest sanktioniert wird. So vermutete die rechtsextreme Szene richtig, dass es unter den #Superstraight-Anhänger:innen nicht zu Distanzierungen von rechtsextremen Symbolen oder Ideologie kam – sah man sich doch zumindest als gemeinsam „verfolgt“ an von LGBTIQ+- oder Demokratie-Aktivist:innen.
Hier noch einige Beispiele:
Die Verbreitung von #Superstraight-Inhalten ist riesig – TikTok, Twitter und YouTube sind voll davon, Reddit bannte entsprechende Foren im Mai 2021, weil sie so bedrohlich und menschenverachtend wurden. Neben Rechtsextremen und antidemokratischen Trollen, die vor allem das Zwietracht-Säen lieben, verbreiten auch verwirrte, unreflektierte Heterosexuelle die Ideologie – oder transfeindliche Feministinnen, die TERFs (Trans-Exclusionary Radical Feminism), die Transidentität grundsätzlich in Frage stellen und trans Frauen das Frausein absprechen. Auch der Hashtag #supergay existiert – teils, um sich über #superstraight lustig zu machen, teils aber auch, um Ablehnung von trans Männern auszudrücken – in der homosexuellen Szene.
Mit Hashtags wie #superstraightrightsarehumanrights oder #superstraightpride wird nicht nur der Kampf für Gleichwertigkeit und Menschenrechte lächerlich gemacht, sondern auch Verwirrung gestreut, um Unterstützer:innen zu akquirieren. Zum zynische Mokieren über real existente Diskriminierung und Bedrohung von trans Personen gehört die Aneignung von Argumentationen, wenn sich also „Superstraights“ beschweren, dass es „Superphobes“ gäbe, die sie und ihre „Orientierung“ nicht anerkennen wollten.
trans Personen weisen darauf hin, dass das Beharren auf einer biologistischen, vermeintlich „natürlichen“ Sexualität sie selbst immer wieder als „widernatürlich“ brandmarkt und abwertet – selbst, wenn etwa Jugendliche oder unreflektierte Männer, die sich entsprechend äußern, zugleich beteuern, das würden sie gar nicht meinen, weil sie sich nur „superstraight“ nennen würden, um ihre Heterosexualität zu betonen. Andere Memes der Szene zeigen, wohin die Biologisierung des Geschlechts wieder führt: Fortpflanzung als (einzig gültige) Rechtfertigung für Sex.
Mit Kampagnen wie #superstraight wird – auch immer gern unter der Flagge vermeintlichem „Humors“ – gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit reproduziert und verbreitet, auf Kosten von vulnerable Gruppen wie trans Menschen, deren Gefühle und Kämpfe ins Lächerliche gezogen und verächtlich gemacht werden. Und dies ist die einzige Intention von einer Kampagne wie #superstraight – denn eine Diskriminierung dieser Gruppe gibt es nicht.
Gegenstrategien?
Auf TikTok wurden sowohl der Hashtag #superstraight als auch der Song, der im Originalvideo verwendet wurde, von LGBTIQ*- Aktivist*innen genutzt, um Gegenrede zu betreiben, über Vorurteile aufzuklären und transfeindliche Inhalte zu verdrängen. Nach einer Woche wird das Phänomen auch medial berücksichtigt, TikTok reagiert und sperrt den Account des Creators und den Hashtag bzw. Suchbegriff, verhängte also einen „Search ban”. Noch finden sich auf TikTok bei genauer Suche noch Videos mit „superstraight”-Inhalten. Der Begriff wird beispielsweise leicht abgewandelt durch Buchstabendreher oder Leetspeak – wenn also Buchstaben durch ähnlich aussehende Ziffern oder Sonderzeichen ersetzt werden. Außerdem positionieren sich Profile mit schwarzen und orangenen Herzen oder anderen Emojis in den beiden Farben. Auch dagegen geht die Plattform TikTok nach und nach vor.
Auf anderen Plattformen, wie etwa Instagram oder YouTube, findet der Hashtag und Variationen weiter Verbreitung.
„Dogwhistling” im wahrsten Sinne des Wortes
Doch auch auf TikTok ließen sich die neuen Anhänger und die rechtsextreme Trollen nicht so schnell durch Hashtag-Sperren und Search Bans befrieden. Ein bereits 2012 veröffentlichtes Lied von Robert Charles mit dem gleichnamigen Titel „Super Straight” kann auf der Plattform noch immer für die eigenen Videos gefunden und genutzt werden. In den TikTok-Einstellungen gibt es die Möglichkeit, Videos mit Liedern/Sounds zu unterlegen, aber diese im eigentlichen Video auf „stumm”, also nicht hörbar zu stellen. Wahrnehmbar ist nur der Originalton der Aufnahme – trotzdem wird der Sound im veröffentlichten Video eingeblendet und das Video unter dem entsprechendem Sound angezeigt und ist somit für andere auffindbar. Das Lied „Super Straight” fungiert hier somit im wahrsten Sinne des Wortes als „Dogwhistle”, Nutzer:innen können ihre Inhalte zum Thema weiterhin verbreiten und sich somit auch weiterhin vernetzen.
Die transfeindliche ist auch eine homofeindliche Ideologie
Aus einem problematischen Video ist eine rechtsextreme Kampagne geworden. Die Verbreitung der Bezeichnung bzw. einer Fake-Bewegung und dem transfeindlichen Ressentiment dem es zugrunde liegt, erinnern an den Versuch, eine „Straight Parade” als Pendant zu „Pride Parades” zu etablieren. Die Ablehnung von trans Menschen soll, ähnlich wie Antifeminismus, als Scharnierfunktion zwischen der Mehrheitsgesellschaft und rechtsextremen Kreisen dienen. Es mag zwar nicht allen Anhänger:innen bewusst sein, dass es sich dabei um eine rechtsextreme Masche handelt – aber gerade das macht dieses Phänomen so gefährlich.
Auffällig ist, das hauptsächlich Männer den Begriff ernsthaft für sich beanspruchen. Das kommt nicht von ungefähr. „Superstraight” ist mitnichten nur transfeindlich, sondern auch homofeindlich. In der Logik, der sich als „superstraight” bezeichnenden Cis-Männer, haben sie schlussendlich Angst vor sexuellen oder romantischen Verbindungen mit Männern. Die Selbstwahrnehmung von Transmenschen wird von ihnen ja übergangen, und daher rührt die Ablehnung. Das Argument der Selbstbestimmung wird nur vorgeschoben. Eine weitere Täter-Opfer-Umkehr: Marginalisierte Menschen werden in der Logik von „Superstraight” nicht nur misgendert, also dem falschen Geschlecht zugeschrieben, sondern sogar zur potentiellen Bedrohung erklärt – während in der Realität trans Menschen unter der Gewalt von Cis-Männern leiden.
(1) Wir schreiben bewusst „trans Frauen“ statt „Transfrauen“. Bei „trans Frauen“ wird Transgeschlechtlichkeit als Eigenschaft behandelt, bei „Transfrauen“ wird dagegen signalisiert, dass es genau das ist, was die komplette Identität von transgeschlechtlichen Menschen ausmache.