Der folgende Artikel ist im Rahmen einer unbezahlten Kooperation zwischen Volksverpetzer und Faktenstark entstanden und wurde hier zum ersten mal veröffentlicht. Faktenstark ist ein Team der Amadeu Antonio Stiftung, Bertelsmann Stiftung und der gemeinnützigen Organisation codetekt, die Informationen, Aufklärung und Analysen rund um Desinformation vor den Landtagswahlen 2024 für Volksverpetzer erstellen.
Kriege. Krankheiten. Klimakrise. Wir leben in einer turbulenten Zeit mit einer nie dagewesenen Informationsflut, die uns täglich im Internet in Form von Artikeln, Tweets und Textnachrichten erreicht. Dabei sind vor allem in Krisenzeiten Desinformationen allgegenwärtig: falsche Informationen, die mit der Absicht zu täuschen oder zu schaden bewusst gestreut werden, um so ein politisches oder ökonomisches Ziel zu erreichen. Durch das Dickicht an Informationen in den sozialen Medien sowie im Internet zu navigieren, wird zunehmend herausfordernd.
Als bewährtes Mittel, um die Spreu vom Weizen zu trennen, gilt das Fact-Checking, bei dem akribisch jede einzelne Behauptung von Expert*innen und/oder Journalist*innen auf ihre Richtigkeit geprüft wird. So wichtig das Fact-Checking ist, um die manipulative Wirkung von Desinformationen einzudämmen: Es ist oft langwierig und erfordert viel Expertise. Doch wie kann jede*r von uns schnell Informationen einschätzen? Und kann vielleicht eine Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit der Informationen bereits Aufschluss geben?
Hier setzt die von codetekt entwickelte Methode des Trust-Checkings an, die vor allem auch in der Bildungsarbeit von faktenstark – angewandt wird. faktenstark ist ein siebenköpfiges Team von der Amadeu Antonio Stiftung, Bertelsmann Stiftung und der gemeinnützigen Organisation codetekt. Bei der Konzeption und Umsetzung unserer Bildungsangebote arbeiten wir zudem eng mit erfahrenen Referent*innen der politischen Bildung und Medienpädagogik sowie mit unterschiedlichen Partner*innen aus Bildung, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zusammen.
So wendest du den Trust-Check an!
Das Trust-Checking – das Prüfen der Vertrauenswürdigkeit von Informationen – ist ein Ansatz, um einer möglichst breiten Öffentlichkeit Nachrichtenkompetenz zu vermitteln. Doch wie unterscheidet sich Trust-Checking vom traditionellen Fact-Checking?
Beim Fact-Checking werden einzelne Fakten von Expert*innen, wie Journalist*innen, oder Wissenschaftler*innen geprüft. Dieser Prozess erfordert viel Erfahrung, Zeit und oft eine spezifische (journalistische) Ausbildung. Ziel ist es, Informationen auf ihre Richtigkeit zu prüfen: Am Ende soll eindeutig hervorgehen, ob eine Information wahr, falsch oder teilweise falsch ist. Das Problem? Dieser Prozess ist sehr zeitaufwendig, erfordert viel Expertise, wird häufig einer wahrgenommenen Elite zugeordnet und ruft bei vielen Menschen durch den Wahrheitsanspruch eine Abwehrhaltung hervor. Im Gegensatz dazu prüft das Trust-Checking Informationen anhand festgelegter Kriterien auf ihre Vertrauenswürdigkeit statt Richtigkeit. Diese Trust-Checking-Kriterien basieren auf journalistischen Qualitätsstandards und beurteilen die Information als Ganzes, ohne jede einzelne Behauptung zu überprüfen. Dieser Ansatz ist so konzipiert, dass ihn jede*r anwenden kann.
Dadurch wird die Nachrichten- und Informationskompetenz der Nutzer*innen gestärkt und ein gesunder, kritischer Umgang mit Medien gefördert. Beim Trust-Checking geht es nicht darum, die absolute Wahrheit zu bestimmen, sondern eine allgemeine Einschätzung über die Vertrauenswürdigkeit einer Information zu geben. Solche Vertrauenseinschätzungen machen wir jeden Tag in verschiedensten Situationen, warum nicht auch bei unserer Mediennutzung?
Die Kombi macht’s! Mehrere Kriterien gleichzeitig checken!
Die Trust-Checking-Kriterien oder Qualitätsmerkmale reichen dabei von einer Sichtung der Quellen, Zitate und Autorenschaft bis hin zur Einschätzung verwendeter Medien, der Sprache sowie zum Hintergrund des Mediums und der Online-Präsenz. Denn: Fehlende Quellenangaben, falsche Zitate, aus dem Kontext gerissene Bilder und emotionalisierende Sprache machen eine Information auch ohne umfangreiches Prüfen aller Behauptungen weniger vertrauenswürdig.
Beispiel: Lügen über „Wahlbetrug” in Bad Reichenhall, nur ein kleines Versehen
Nehmen wir das folgende Beispiel zum angeblichen Wahlbetrug im bayerischen Bad Reichenhall:
Ein rechtes, alternatives Medium berichtete auf Telegram, dass es im bayerischen Bad Reichenhall einen systematischen Wahlbetrug durch Briefwahlen gegeben hätte, was die Manipulierbarkeit des Briefwahlsystems und einen potenziellen systematischen Wahlbetrug aufzeige. Zur Feststellung der allgemeinen Vertrauenswürdigkeit wenden wir in diesem Beispiel ausgewählte Trust-Checking-Kriterien an.
Beim Überprüfen der Quellen und einer möglichen Übereinstimmung mit anderen Berichten stellen wir fest, dass vom Medium selbst keine Quellen genannt werden, außer einem Link, der direkt zum Medium selbst zurückführt. Bei weiterer Recherche wird deutlich, dass es tatsächlich vorausgefüllte, an Bürger*innen verschickte Briefwahlunterlagen in Bad Reichenhall gab: allerdings nur DREI!
Diese drei Unterlagen waren bereits mit einem Kreuz bei der FDP versehen. Es handelte sich hierbei um Wahlunterlagen aus dem Jahr 2019 und um einen menschlichen Fehler eines Mitarbeitenden, der transparent aufgearbeitet wurde.
Clickbait: Hält nicht, was es verspricht
Der Inhalt und die Überschrift der Nachricht sind sehr kurz. Die reißerische Überschrift „Geplanter Wahlbetrug aufgedeckt?” ist ein Beispiel von Clickbaiting: Nutzer*innen sollen über emotionalisierende Überschriften zur Interaktion in Form eines Klicks geködert werden, damit die Betreiber der Website über platzierte Werbungen mehr Geldeinnahmen erhalten.
Das für die Nachricht genutzte Bild ist eine Collage aus verschiedenen Elementen, die nichts mit der Berichterstattung zu tun haben und für manipulative Zwecke zusammengeführt wurden. Die Darstellung der Symbole wie Nebel, Marionettenfäden und das Foto von der Präsidentin der Europäischen Kommission – Ursula von der Leyen – soll die Betrachtenden emotionalisieren und eine mysteriöse Atmosphäre beschwören.
Es soll die Verschwörungserzählung darstellen, dass hochrangige Politiker*innen „die Fäden in der Hand haben”. In der Collage befindet sich ein Bild eines Stimmzettels mit Kreuz bei der SPD und damit der Kanzler stellenden Partei – obwohl der eigentliche Vorfall mit Kreuzen bei der FDP zu tun hatte. Es werden also weder Fotos von Bad Reichenhall, noch die echten Stimmzettel abgebildet. Andere Medien berichten umfangreicher, und zwar so darüber:
Kein seriöses Medium
Aus der Online-Präsenz des Desinformations-Mediums wird schnell deutlich, dass sich das österreichische Medium mit politischen Themen im deutschsprachigen Raum beschäftigt. Dabei greift es auf reißerische Schlagzeilen und emotionalisierende Bilder zurück, um wie auch im vorliegenden Beispiel manipulierende Informationen zu verbreiten.
Trust-Checking-Frage: „Wer steckt hinter dem Medium?”
Ein Blick ins Impressum hilft dabei und gibt erste Hinweise.
Eine weitere Recherche auf Grundlage der Infos ergibt: AUF1 ist ein Projekt von Stefan Magnet, gegründet 2021 in Linz und seit 2022 auch in Berlin tätig. Magnet bewirbt über Telegram die „Medienrevolution” in Deutschland. Der Sender ist mittlerweile ein wichtiges Medium der verschwörungsideologischen Szene. Magnet war früher im Bund freier Jugend (BfJ) aktiv, einer Jugendorganisation der rechtsextremen östereichischen Partei ADP. Fotos von 2004 zeigen ihn mit Michael Scharfmüller beim „Pressefest” der neonazistischen NPD.
Niedrigere Vertrauenswürdigkeit der Nachricht
Aus der rechtspopulistischen Szene taucht der Vorwurf des systematischen Wahlbetrugs, wie im Beispiel Bad Reichenhall, immer wieder auf, vor allem rund um anstehende Wahlen. Die Trust-Checking-Kriterien helfen dabei, relativ schnell über journalistische Qualitätsmerkmale und Rahmenbedingungen die allgemeine Vertrauenswürdigkeit einer Nachricht einzuschätzen – auch ohne Expertise im jeweiligen Thema. Die Tatsache, dass das rechte Medium (generell) stark emotionalisierende Sprache, Überschriften und teils falsche Bilder für die Berichterstattung verwendet, deutet bereits auf eine niedrigere Vertrauenswürdigkeit der Nachricht – selbst ohne Überprüfung einzelner Behauptungen.
Mit diesen und weiteren Kriterien können alle in die Lage versetzt werden, selbst die Vertrauenswürdigkeit von Informationen schnell und möglichst objektiv einzuschätzen. Keines dieser Kriterien allein macht die Vertrauenswürdigkeit einer Nachricht aus, erst die Kombination der Trust-Checking-Kriterien gibt Auskunft. Genaueres zu den einzelnen Kriterien findest du auf der Website von codetekt. Auf der faktenstark-Website kannst du diesen Ansatz im sogenannten „Trust-O-Mat” (TOM) einmal durchspielen.
Trust-Checking stärkt die Demokratie
Das Trust-Checking soll und kann das Fact-Checking nicht ersetzen. Vielmehr stellt es eine ergänzende Alternative dar, die zugänglicher ist und von jedem und jeder selbstständig angewendet werden kann, ohne dabei Abwehrreaktionen hervorzurufen. Indem mehr Menschen befähigt werden, die Vertrauenswürdigkeit von Informationen schnell und effektiv einzuschätzen, können sie aktiv zur Verbreitung verlässlicher Nachrichten beitragen und die Verbreitung von Falschinformationen eindämmen.
Gerade in unserer heutigen Zeit geprägt von etwaigen Krisen und auch angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, sowie der Bundestagswahl 2025, ist es entscheidend, dass wir alle in der Lage sind, fundierte und vertrauenswürdige Informationen zu erkennen und zu teilen, um damit die Verbreitung von Desinformationen zu unterbinden. Das Trust-Checking bietet ein wertvolles Werkzeug, das es ermöglicht, die Flut an Informationen besser zu bewältigen und gemeinsam für eine informierte Gesellschaft und resiliente Demokratie beizutragen.
faktenstark ist eine gemeinsame Initiative von Bertelsmann Stiftung, Amadeu Antonio Stiftung und codetekt e.V. Unser Ziel ist es, die Nachrichtenkompetenz von Bürger*innen zu stärken und ihnen Strategien an die Hand zu geben, um Desinformationen zu erkennen und entgegenzutreten. Das Trust-Checking wird in den faktenstark Bildungsangeboten angewandt. Ebenso kannst du das Trust-Checking auf der faktenstark Webseite ausprobieren und trainieren. Klicke dafür auf diesen Link und spiele unseren faktenstark Trust-O-Mat durch.