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Türkischer Nationalismus Der offene Antisemitismus der Grauen Wölfe in Deutschland

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Der "Wolfsgruß" (Quelle: picture alliance / dpa | Peter Kneffel)

Mitte Mai dieses Jahres fanden, anlässlich der Reaktionen Israels auf Angriffe der Terrororganisation Hamas, deutschlandweit zahlreiche israelfeindliche und antisemitische Demonstrationen statt. Das ist erstmal nichts Neues, denn ähnliche Proteste gab es immer wieder in den vergangenen Jahren. Neu war in diesem Jahr die deutlich sichtbare Präsenz von Personen aus dem Spektrum der türkisch-faschistischen Grauen Wölfe.

Am 12. Mai etwa, fand vor einer Synagoge in Gelsenkirchen eine nicht angemeldete antiisraelische Demonstration statt, die bundesweit für mediale Aufmerksamkeit gesorgt hat. An diesem Tag wehten dort Türkei-Flaggen, Parolen wie „Scheiß-Juden” wurden in Sprechchören skandiert und auch hier waren zahlreiche Graue Wölfe unter den Teilnehmer:innen. Inzwischen ermittelt der Staatsschutz. Ebenfalls im Mai griff in Dortmund ein Sympathisant der Grauen Wölfe einen kurdischen Demonstranten an, weil er eine Flagge der kurdischen Volksverteidigungseinheit YPG trug.

Die Mitglieder und Sympathisant:innen auf zahlreichen antiisraelischen Demonstrationen waren deutlich am „Wolfsgruß” erkennbar, eine Handhaltung, die einen Wolfskopf visualisieren soll. Der Name der Gruppierung sowie das Handzeichen gehen zurück auf eine Figur in der türkischen Mythologie, eine graue Wölfin, die als Retterin des Türkentums verehrt wird. Dieses Symbol wird von den rechtsextremen Anhänger:innen genutzt, um die Stärke und Militanz der Bewegung zu versinnbildlichen. Neben zahlreichen Türkei-Flaggen waren Flaggen mit drei Halbmonden auf den Demonstrationen allgegenwärtig. Sie symbolisieren die angestrebte Einheit der Turkvölker in einem Nationalstaat („Turan”) und sollen die Überlegenheit gegenüber anderen Nationen verdeutlichen.

Woher kommt nun die starke Präsenz der Grauen Wölfe bei diesen Kundgebungen und geht es dabei wirklich um die Bevölkerung im Gaza-Streifen? Nein.

Die türkisch-rechtsextremistische „Ülkücü-Bewegung“ ging aus den Turkisten- bzw. Turanisten-Bewegungen des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts hervor. In den 1970er Jahren wurde die nationalistische Ideologie durch das Element des Islam erweitert. Die „Türkisch-Islamische Synthese” ist die Idee der Untrennbarkeit von türkisch-nationalen und islamischen Bestandteilen in der türkischen Geschichte. Die Ülkücü-Bewegung verfolgt seit jeher eine klar antisemitische Propaganda. Professor für Sozialwissenschaften Kemal Bozay weist in einer für das AJC Berlin erstellten Studie deutlich auf den antisemitischen Charakter der Ideologie der Grauen Wölfe hin. Auch Extremismusexpertin Claudia Dantschke betont in ihrem Buch zum Thema, dass antisemitische Verschwörungsmythen zum festen Kanon der Grauen Wölfe gehören. Zentrales antisemitisches Stereotyp ist in ihrem Weltbild, dass Jüdinnen und Juden übermäßigen wirtschaftlichen Einfluss haben und hinter einer globalen Verschwörung stecken. Besondere Bedeutung kommt dem israelbezogenen Antisemitismus zu. Dass auf den Kundgebungen im Mai antisemitische Hetze seitens der Grauen Wölfe verbreitet wurde, ist also nicht überraschend, sondern Ausdruck eines tief sitzenden Hasses gegen Jüdinnen und Juden sowie den Staat Israel.

Will man die sichtbarere Präsenz auf oben genannten Demonstrationen erklären, kommt ein wesentlicher Faktor hinzu: Recep Tayyip Erdoğan und seine Unterstützer:innen. Immer wieder hat der türkische Präsident in der Vergangenheit gegen Jüdinnen und Juden sowie Israel Stimmung gemacht. Auch im Zuge der Corona-Pandemie schürten türkische Medien und Politiker:innen Hass auf Israel, indem sie das Gerücht verbreiteten, Corona sei ein zionistisches Komplott. Anlässlich der Eskalation im Mai dieses Jahres in Israel und dem Gazastreifen warf Erdoğan Jüdinnen und Juden eine mörderische Natur vor und reproduzierte das klassische antisemitische Kindermörder-Stereotyp. Neben Iran und Katar ist es zudem die türkische Regierung, die die Hamas im Gazastreifen maßgeblich finanziert. Die antiisraelischen Ausschreitungen in Deutschland sind also auch als Konsequenz der antisemitischen Rhetorik und Politik des türkischen Präsidenten zu verstehen. Dass die Grauen Wölfe mit der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) und der Partei der Großen Einheit (BBP) in der Türkei an der Regierung beteiligt sind, stärkt das Selbstbewusstsein der Grauen Wölfe hierzulande zusätzlich. Die innere und äußere Destabilisierungsagenda Erdoğans trägt also auch in Deutschland Früchte und spornt die Bewegung an, stärker öffentlich in Erscheinung zu treten.

Expert:innen warnen seit Jahren vor den Gefahren, die von den Grauen Wölfen ausgehen. Anhänger:innen sind in nahezu allen westdeutschen Bundesländern – mit Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen – vertreten. Die Zahl der aktiven Mitglieder wird auf 18.000 geschätzt, die Zahl ihrer Sympathisant:innen dürfte deutlich höher liegen. Zahlenmäßig sind sie eine der mitgliederstärksten rechtsextremen Gruppierungen in Deutschland. Sie organisieren sich in hunderten lokalen Vereinen sowie in den Dachverbänden der Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V. (ADÜTDF/Türk Federasyon), der Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e. V. (ATIB) oder des Verbandes der türkischen Kulturvereine in Europa (ATB). Weder die Vereine, noch die Symbole und Propaganda der Grauen Wölfe sind in Deutschland bisher verboten. Anhänger:innen versuchen, insbesondere in der Kommunalpolitik an Einfluss zu gewinnen. Doch es bleibt dabei nicht bei Vereinsaktivitäten und Lokalpolitik: Sie hetzen gegen alle, die sie nicht zur türkischen Herrenrasse zählen und haben ein großes Gewaltpotential. Die Mitglieder stellen eine ernstzunehmende Bedrohung für Minderheiten dar, schüchtern neben Jüdinnen und Juden vor allem Kurd:innen, Armenier:innen, Alevit:innen und türkische Dissident:innen ein und gehen zum Teil gewaltsam gegen sie vor. Zudem versuchen sie gezielt, Politiker:innen wie den grünen Politiker Cem Özdemir oder die Linken-Politikerin Helin Evrim Sommer, die gegen ihre Propaganda  vorgehen, mundtot zu machen.

Am Beispiel des in Nordrhein-Westfalen lebenden Bilgili Üretmen, Szenengröße der Grauen Wölfe, lässt sich nachvollziehen, wie erfolgreich die Gruppierung ihre Propaganda verbreiten kann: Er konnte in den letzten Jahren ungehindert Einfluss auf Tausende Menschen in Deutschland nehmen und wurde zu einem äußerst erfolgreichen Blogger. Auf YouTube folgen ihm 32.000 Personen, auf Instagram über 37.000 und auf Facebook geschätzt 50.000. Seine Beiträge sind zumeist auf Deutsch, er hetzt gegen die deutsche Türkeipolitik, spielt antisemitische Vorfälle im Zuge der antiisraelischen Proteste herunter und zeigt sich offen mit dem Wolfsgruß. Diese politischen Meinungsmacher erreichen dabei vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, die nicht auf die klassischen Medien zurückgreifen, um sich über Politik zu informieren.

Die Parallelen zum deutschen Rechtsextremismus liegen auf der Hand: Die Grauen Wölfe vertreten eine antidemokratische Haltung. Ihre Gewaltbereitschaft, ihr Rassismus, Antisemitismus, ihr Hass auf Frauen und Homosexuelle sowie die Verbreitung von Verschwörungsmythen stehen anderen rechtsextremen Gruppierungen in nichts nach. Die Ignoranz, die der Gruppierung und ihrem Gefahrenpotential in den letzten Jahrzehnten entgegengebracht wurde und immer noch wird, ist unverständlich. Nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Europäischen Union ist ihr Mobilisierungspotential enorm. Der Einfluss auf hier lebende türkeistämmige Menschen wächst kontinuierlich an und je extremer die Demokratieverachtung Erdoğans sowie die Radikalisierung seiner Politik wird, desto deutlicher bekommen wir die Konsequenzen in der Gesellschaft hierzulande zu spüren.

Der Einfluss türkischer Staatspropaganda durch Influencer:innen wie Üretmen ließe sich durch konsequentes Deplatforming zurückdrängen. Bemühungen in diese Richtung bleiben bisher aber aus.

Bis heute gibt es kaum Präventions- und Deradikalisierungsprojekte, die sich dezidiert an Sympathisant:innen und Mitglieder der Grauen Wölfe richten, obwohl die Forderung von Expert:innen an die Bundesregierung, Angebote zu schaffen und langfristig geförderte Projekte zu finanzieren, seit längerem erhoben wird.

Es gibt keine einfachen Lösungen im Kampf gegen Rechtsextremismus – und erst recht keine schnell wirksamen. Gerade deshalb müssen jetzt vielfältige und langfristig angelegte Strategien erarbeitet und umgesetzt werden, mit denen dem Einfluss der Grauen Wölfe in Deutschland begegnet werden kann. Wer ein Vereinsverbot als nicht umsetzbar zurückweist, muss sich um andere Lösungen bemühen. Das bisherige Schulterzucken gegenüber dem Phänomen ist jedenfalls zu wenig und ist für all jene unerträglich, die im Fokus der menschenverachtenden Ideologie türkischer Faschist:innen stehen.

 

Mona Flaskamp ist Assistant Director for Political Affairs beim American Jewish Committee in Berlin und arbeitet zu den Themen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Islamismus.

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