Immer wieder sieht man auf Pegida-Demonstrationen oder anderen extrem rechten Demonstrationen in dem Meer aus Deutschland-Flaggen, auch verkehrt herum gehisste Fahnen, also statt von oben nach unten schwarz-rot-gold, gold-rot-schwarz. Schnell kann man bei solch einem Anblick in Versuchung kommen, zu denken, die verwirrten Patriot*innen wüssten manchmal nicht so genau, wo oben und unten ist. Doch ganz so einfach ist es nicht. Die Farbkombination gold-rot-schwarz dient besonders in der Reichsbürger-Szene als Erkennungszeichen.
Verkehr herum gehisste Flagge als internationales Notfallsignal
International bedeutet eine umgekehrt gehisste Flagge eine Notfallsituation. Ursprünglich kommt dieses Signal aus der Seefahrt. Einem breiten Publikum mag diese Bedeutung vielleicht aus der US-Serie „House of Cards“ bekannt sein. Im Vorspann dieser Serie, in der es um Macht, Intrigen und Mord in höchsten politischen Ebenen der USA geht, wird die US-Flagge auf dem Kopf stehend gezeigt. Die US-Flagge wird in dieser Form nur gehisst, wenn sich US-Soldaten in einer Notlage befinden.
Diese Symbolik ist besonders für Verschwörungsideolog*innen reizvoll, wenn sie beispielsweise daran glauben, Deutschland sei ein im geheimen besetztes Land, dessen Bevölkerung von (zumeist jüdischen) dunklen Mächten ausgetauscht werden solle.
Hambacher Fest: schwarz-rot-gold oder gold-rot-schwarz?
Die Farbkombination schwarz-rot-gold steht für einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat. Diese Farbkombination geht auf das Hambacher Fest von 1832 zurück. Dieses historische Ereignis markierte die größte Massenkundgebung in der Epoche des Vormärz. Vom 27. Mai bis zum 1. Juni 1832 trafen sich auf dem Hambacher Schloss knapp 30.000 Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Gesellschaftsschichten. Sie verbündeten sich und forderten Freiheit, nationale Einheit und politische Rechte und übten damit scharfe Kritik an der Kleinstaaterei des Deutschen Bundes und der absolutistischen Regierungsform der Fürsten.
Doch genau auf dieses Ereignis beziehen sich auch rechtsextreme Selbstverwalter*innen und Rechtsextreme. Sie behaupten, die Farbkombination gold-schwarz-rot entspreche dem der ganz ursprünglichen Flagge, wie sie 1832 auf dem Hambacher Schloss gezeigt wurde. Als Belege hierfür ziehen sie Zeichnungen aus jener Zeit heran. Historiker*innen sind sich jedoch einig, dass hier schlicht Fehler bei der Kolorierung passiert sind. Original Fahnen, die heute auf dem Schloss ausgestellt sind, zeigen eindeutig, dass bereits damals die Reihenfolge schwarz-rot-gold gewesen war. Eine Fahne enthält den Schriftzug „Deutschlands Wiedergeburt“, der nur bei der heute gängigen Reihung lesbar ist, andernfalls stünde die Schrift auf dem Kopf.
Dennoch hält sich in jenen rechtsextremen Kreisen hartnäckig die Meinung, die gold-rot-schwarze-Flagge sei die wahre deutsche „Nationalflagge“. Eines der bekanntesten Projekte in diesem Zusammenhang ist wohl „Aufbruch Gold-Rot-Schwarz“, ein von dem antisemitischen Verschwörungsideologen Jo Conrad 2012 gegründeter, mittlerweile jedoch nicht mehr existenter, konservativ-esoterischer Verein der Reichsbürger-Szene. Ziel des Projektes war es, jene Gruppen zu vereinen, die Existenz, Souveränität und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland bestreiten, heißt es auf dem Watch-Blog „Psiram“. So wurde bei „Aufbruch Gold-Rot-Schwarz“ beispielsweise diskutiert, ob das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gültig sei.
„Antisemitisches Statement“
Nationalsymbole sind Symbole mit hoher Aussagekraft. Sie absichtlich umgedreht zu benutzen verkehrt ihre Aussage ins Gegenteil. Und genau das macht den nun bekannten Fall der falsch herum gehissten Flagge am Holocaust-Gedenktag so brisant. Denn mit der verkehrt herum auf Halbmast gehissten Flagge wird die Aussage ins Gegenteil gedreht.
Hier findet also eine Täter-Opfer-Umkehr statt. Jan Rathje, Experte für Verschwörungsideologien der Amadeu Antonio Stiftung, meint daher: „Sollten die entsprechenden Polizeibeamt*innen mit Absicht gehandelt haben, muss man das ganz klar als antisemitisches Statement werten.“ Schließlich geschah dieser Vorfall nicht an irgendeinem Tag, sondern am Holocaust-Gedenktag am 27. Januar, an jenem Tag also, an dem bundesweit Fahnen aus Trauer um die Opfer der Shoa auf Halbmast gehängt werden. Wenn die Beamt*innen in Absicht gehandelt haben, ist dies ein Akt der Holocaust-Relativierung. Mittlerweile wurden die verantwortlichen Beamt*innen versetzt und das Fachkommissariat für Staatsschutzdelikte ermittelt nun wegen des Verdachts einer Straftat nach Paragraf 90a (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole) und nach Paragraf 130 im Strafgesetzbuch (Volksverhetzung).
Nach all den rechtsextremen Vorfällen in der Polizei in Hessen, lässt sich nur schwer hoffen, dass der nun ermittelnde Staatsschutz diesen Fall nicht kleinredet, sondern ernsthaft darum bemüht ist, Klarheit zu schaffen.