Der Fall Thomas Rauscher enthält viel, was Debatten in Deutschland derzeit beschäftigt. Rauscher ist seit 1993 Jura-Professor in Leipzig, spezialisiert auf europäisches Recht, er war lange Auslandsbeauftragter der Universität und aktuell auch Erasmus-Beauftragter. Von einem Menschen mit so einer Biographie, einem, der offenbar auch mit Menschen aus internationalen Kontexten zu tun hat, erwartet man nicht, dass er rassistisches Gedankengut in sich trägt, aber noch weniger, dass er dieses auch explizit verbreitet.
Thomas Rauscher allerdings tut dies, in gepflegten Worten, schon seit Jahren und vor allem im Internet und dort speziell bei Twitter. In einem Interview mit dem Magazin „student!“ erzählte er 2016: „Ich bin ein Mensch, der den politischen Diskurs sucht. Mein Twitter Account stammt aus einer Zeit vor drei Jahren, als ich für die FDP um ein Mandat im Bundestag kandidiert habe. Große Zeitungen, etwa die FAZ oder die Süddeutsche, haben in ihren Diskussionsforen unter Artikeln, die sich mit Flüchtlingen oder Asylsuchenden befassen die Kommentarfunktion ausgeschaltet und damit Leser mundtot gemacht. Ich habe mir dann ein anderes Format gesucht.“
Es gibt kein Recht auf Leserkommentare, wie die Formulierung „mundtot gemacht“ vielleicht vermuten ließe, aber Rauschers Schlussfolgerung, sich eine andere Austauschform zu suchen, ist so pragmatisch wie legitim. Auf seinem Twitter-Account, den er stets als „privat“ bezeichnete, twitterte er dann Dinge wie
„Nein zur Adoption für gleichgeschlechtliche Paare. Toleranz ja, aber keine Selbstverwirklichung auf Kosten des Kindeswohls. Un père une mère“ (11.09.2013)„
„Islamterror in Dresden. Je suis Pegida!“ (2015, vgl. ZEIT)
„Es gibt keinen friedlichen Islam. Dschihad ist der Auftrag dieser Leute.“ (01.01.2016)
„Nein zu dieser Art von Zuwanderung. Deutschland soll kein Dritte-Welt-Land werden wie große Teile der USA.“ (29.01.2016)
„Es fügt sich nicht, was nicht zusammen gehört. Europa den Europäern, Afrika den Afrikanern, Arabien den Arabern. Was ist denn daran falsch?“ (11.01.2016)
„Es ist natürlich, sich zu wehren, wenn die eigene Kultur untergeht. Die ‚Angst des weißen Mannes‘ sollte wehrhaft werden!“ (2016, vgl. ZEIT)
„Wenn man Illegale nicht mehr ausweisen kann, ohne dass Gutmenschen sich inszenieren, ist das die Besetzung der EU durch Roma und ‚Flüchtlinge‘. (2016, vgl. Tagesspiegel)
Oder jüngst:
„Polen: ‘Ein weißes Europa brüderlicher Nationen’. Für mich ist das ein wunderbares Ziel“ (13.11.2017)
(stand auf dem Plakat eines rechtsextrem dominierten Aufmarsches in Polen, vgl. BTN, Spiegel).
„Wir schulden den Afrikanern und Arabern nichts. Sie haben ihre Kontinente durch Korruption, Schlendrian, ungehemmte Vermehrung und Stammes- und Religionskriege zerstört und nehmen uns nun weg, was wir mit Fleiß aufgebaut haben.“ (14.11.2017)
Mehr Beispiele auf http://adieurauscher.blogsport.de/
Es sind islamfeindliche, homofeindliche und rassistische Äußerungen, die mit groben Verallgemeinerungen und Abwertungen arbeiten, „Wir-Die-Konstruktionen“, die als naturgegeben und unveränderlich geäußert werden.
Rauscher selbst benennt dieses Weltbild auch außerhalb von Twitter deutlich. So sagt er etwa der „Huffington Post“, er „stehe zum ethnopluralistischen Ansatz“. Ihm zufolge heiße das, „jede Kultur hat ihren gleichen Wert, sie sollte aber keine andere majorisieren und dieser die Räume wegnehmen.“ Der Ethnopluralismus ist ein Konzept der rechtsextremen „Neuen Rechten“, mit der biologisch basierter Rassismus gesellschaftlich akzeptabler gestaltet werden sollte, indem nicht mehr von biologischen, sondern von kulturellen Differenzen gesprochen wird (vgl. BTN). Aber auch diesen „Kulturen“ werden feste „Räume“ zugeordnet, in denen sie sich entfalten sollen. Entsprechend lehnt Rauscher eine multikulturelle Gesellschaft ab.
Interessant sind hierbei auch die Begründungen seiner Thesen: So sagt er etwas zum Magazin „student!“ im Interview 2016: „Nein, die Fiktion eines Weltbürgertums möchte ich mir nicht vorstellen. Ich halte multikulturelle Zielsetzungen für außerordentlich schädlich, weil sie von einer Idee der gänzlichen Vereinheitlichung der Kulturen ausgehen. Diese Vereinheitlichungen führen in aller Regel zu einem kleinsten gemeinsamen Nenner. (…) Eine echte, gelebte Kultur braucht auch einen klar definierten Raum. Das schließt Weiterentwicklungen nicht aus, aber einen radikalen Austausch von Bevölkerungen.“
Die hier geäußerten Ideen entsprechen rechtsextremen Argumentationen, wie sie etwa in der „Neuen Rechten“ und bei der „Identitären“ zu finden sind: Warum sollte ein Kontakt zwischen Menschen aus verschiedenen Ländern zu einer „Vereinheitlichung der Kulturen“ führen? Wer sollte diese „Vereinheitlichung“ betreiben wollen? Warum sieht Rauscher einen „radikalen Austausch von Bevölkerungen“, wenn eigentlich von Migration die Rede ist? Dies erinnert nicht nur an die Idee des „Großen Austausches“ der „Neuen Rechten“, es ist diese Idee (vgl. BTN).
Es ist entsprechend folgerichtig, dass ein Interview zu den jüngsten Vorfällen auf dem „Identitären“-nahen „alternativen“ Medium „Info direkt“ am 19.11.2017 erscheint (das hier nicht verlinkt wird, da BTN nicht auf Rechtsaußen-Websites verlinken). Hier sagt Thomas Rauscher unter anderem, das „weiße Europa“ sei für ihn eine Chiffre für die „kulturellen und christlichen gemeinsamen Wurzeln – „Ohne jeden Ansatz einer Diskriminierung des Anderen.“ Rauscher meint weiter: „Die kulturelle Identität Europas steht selbstverständlich nicht einem weltoffenen Dialog, Austausch und wechselseitigem Lernen in Kultur, Wissenschaft und Lebensgewohnheiten entgegen. Sie steht aber einer unkontrollierten Völkerwanderung entgegen, die nicht Austausch, nicht Weltoffenheit, sondern bloß eine unverschlossene Türe bedeutet.“
Immerhin ermöglicht ihm der ethnopluralistische Ansatz den problemlosen Kontakt mit internationalen Studierenden – so lange die nicht dauerhaft in Deutschland bleiben wollen (Huffington Post). Studierende, die bento befragt hat, bestätigen, dass Rauscher Rassismus aus dem Hörsaal und dem universitären Alltag heraushalte – was seine Tweets und Äußerungen noch schwerer fassbar macht. Interessant allerdings, dass die befragten Studentinnen seine sexistischen Kommentare im Unterricht als unangenehm beschreiben.
Und nun?
Thomas Rauscher beruft sich zwar immer wieder auf den Dialog, dessen Teil er sein möchte – wenn der aber kommt, sieht er sich von einer anderen als seiner Meinung stark attackiert. Studierenden, die ihre Kommilitonen zu Vorlesungsbeginn über Rauschers Tweets in Kenntnis setzen wollen, mussten sich von ihm anhören, sie sprächen im „Ton der UdSSR“, als läsen vom Blatt als wären es Ankündigungen „von Eduard von Schnitzler“– die klassische rechtspopulistische Diskreditierung eines demokratischen Widerspruchs als undemokratisch, diktatorisch, zensierend. Mehr noch: Rauscher spricht im Video der Aktion fortwährend von „körperlicher Gewalt“, die ihm angetan würde, während deutlich zu sehen ist, dass die Studierenden lediglich argumentieren. Die Studierenden finden, Rassismus repräsentiere ihre juristische Fakultät nicht, sehen durch Rauschers Tweets seine Neutralität als Beamter des Staates nicht mehr gewährleistet.
Das Video gibt es auf Facebook: https://www.facebook.com/sdsleipzig/videos/1564949400264965/?fref=ts
Die Universitätsleitung ist auch nicht amüsiert, sieht offenbar ebenfalls eine Verschärfung gegenüber ersten Vorfällen 2016, die noch als „privat“ eingeordnet wurden. Damals sagte Uni-Rektorin Beate Schücking: „Solange Universitätsangehörige sich als Privatperson äußern, werden wir aber damit leben müssen. Zum Glück sieht unser Grundgesetz die freie Meinungsäußerung vor. Wir müssen das aushalten, ohne es zu ignorieren“. Nun sagt das offizielle Statement von 2017: „Die Universität Leipzig verurteilt die neuerlichen Äußerungen von Prof. Rauscher ausdrücklich. Wir stehen für Weltoffenheit und Toleranz und stellen uns gegen intolerantes und fremdenfeindliches Gedankengut. Das haben wir in den vergangenen Jahren durch Statements und universitäre Aktionen immer wieder deutlich gemacht und werden das auch in Zukunft tun. Wir werden nun Untersuchungen einleiten und dienstrechtliche Schritte gegen Herrn Prof. Rauscher prüfen.“
Allerdings war es bisher wenig erfolgreich, verbeamtete Professoren zu entlassen; denkbar sind eher Geldstrafen oder Abmahnungen (vgl. Spiegel Campus). Nichtsdestotrotz sieht Rauscher sich attackiert, sagte gegenüber dem „identitären“ „Info Direkt“: „In den letzten Tagen habe ich erfahren, dass in der Tat die systematische berufliche Vernichtung als Waffe gegen andere Meinungen in einer Weise eingesetzt wird, wie ich sie bislang nur totalitären System zugetraut habe.“ Wie gesagt, hat er bisher gar keinen Job verloren und wird dies mutmaßlich auch nicht tun. Rauscher weiter: „So definiere ich übrigens den ‘Gutmenschen’, also jene, die ihre eigene moralische Überlegenheit feiern. Sie merken dabei nicht, dass sie sich fremder Meinung gegenüber verhalten, wie Rassisten gegenüber fremden Ethnien; nicht im Austausch diskutierend und um Erkenntnisse ringend, sondern mit dem Ziel der Majorisierung, der Vertreibung, der Vernichtung. Und was sie selbst tun, trauen sie gerne anderen zu.“ Hier wird also gesagt: Wer rassistische Äußerungen kritisiert, strebt damit die Vernichtung des Äußernden an? Nein. Der möchte über Rassismus an der Universität sprechen, und darüber, warum rassistische Äußerungen einer Universität vielleicht nicht gut zu Gesicht stehen.
Der Knackpunkt ist allerdings, dass Rauscher nicht diskutieren möchte, denn das würde ein Zuhören, einen Austausch von Meinungen voraussetzen. Übrigens hat die Universität genau dies nach ersten Vorwürfen 2016 versucht, mit einem öffentlichen Podium (vgl. student!). Gebracht hat das aber offenbar wenig, Rauscher machte weiter wie bisher. Und nun sagt er im Interview: „Wer nicht die verordneten Götter verehrt, dem wird, wie Sokrates, der Schierlingsbecher angeboten.“ Gleichgesetzt mit einem der größten Philosophen der Antike, der sterben musste, weil er den Obrigkeiten suspekt vorkam – was könnte gebildeter und ehrenvoller klingen? Und was könnte größerer Unfug sein, wenn eigentlich davon die Rede ist, dass Studierende sich argumentativ dagegen zur Wehr setzen, dass ihr Professor islamfeindliche und homofeindliche Tweets absetzt und einen rechtsextrem dominierten Aufmarsch in Polen feiert – wohl wissend, dass ihm aller Wahrscheinlichkeit nach keine Konsequenzen drohen. Außer, dass er nun seinen Twitter-Account abgeschaltet hat, mit dem letzten Tweet: „Die Anfeindungen, vor allem aber die an Dritte gerichteten Versuche des Rufmordes, veranlassen mich, meinen Account zu beenden. Es steht schrecklich um die Meinungsfreiheit in diesem Land. Ich danke allen, die offen und ehrlich mit mir diskutiert haben.“
Nächste Proteste gegen die Rechtsaußen-Aussagen des Professors am 21.11.2017 im 12.45 Uhr im Innenhof des Campus der Universität Leipzig.