Aufgerufen hatte ein breiteres Spektrum von pro-israelischen Gruppierungen, anwesend waren auch zahlreiche Mitglieder der Synagogengemeinde sowie zahlreiche vorwiegend jüngere Menschen, auch aus dem Antifa-Spektrum. Vereinzelt waren auch kurdische Vertreter aus dem Antifaspektrum dabei, wie auch acht Frauen der „Omas gegen Rechts“; diese trugen als eine der Wenigen der Demonstranten auch Plakate.
Michel Friedmann: „Wir Demokraten haben das letzte Wort!“
Unter den Rednern der von Änneke Winkel souverän moderierten Veranstaltung stach Michel Friedman hervor. Der Frankfurter Journalist hatte beruflich in Köln zu tun und kam spontan. Friedman fand die passenden, deutlichen Worte, beklagte die folgenlos gebliebenen Reaktionen auf den Rechtsterrorismus. Ohne diplomatische Floskeln beschrieb er, auch unter Verweis auf seine Familienbiografie als Sohn Überlebender, die tagtägliche Bedrohung von Juden, die Tatenlosigkeit der Mehrheitsgesellschaft und der Verantwortlichen in der Politik.
Es beklagte, dass es auch in Europa mehrere Länder gibt, die sich nicht durch demokratische Grundhaltung auszeichnen. Aber es gebe „auch in unserem Land Parteien“, die die „Prinzipien des Humanismus zerstören“ wollten. „Ich hatte noch nie Angst vor der Vielfalt der Menschen. Wenn ich Angst hatte, dann vor der Einfalt“, so Friedman unter großem Beifall. Es sei für den Menschen wichtig, dass er das Recht habe, „Rechte zu haben“, zitierte er Hannah Arendt. Und weiter: „Wir Demokratinnen und Demokraten haben das letzte Wort!“
Als Redner trat neben Helge David Gilberg von der Kölner DIG (Deutsch-Israelische Gesellschaft) auch Abraham Lehrer auf, stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden und Vertreter der Kölner Synagogengemeinde.
Auch er beschrieb die Bedrohungsgefühle bei Mitgliedern der Synagogengemeinden, sein Entsetzen, als er die Nachricht vom antisemitischen Attentat in Halle erfuhr. Er beklagte die Sinnlosigkeit des Mordens in Halle, bei dem zwei Unbeteiligte getötet wurden, darunter ein Besucher des „Kiez-Döner“: Wer frage heute noch nach der Lebenssituation der Betreibers? Inzwischen habe dieser seinen Laden geschlossen, weil schlicht keine Kunden mehr kamen. Von konkreter Solidarität der Zivilgesellschaft kann man in Halle diesbezüglich wirklich nicht sprechen.
Am Rande der Kundgebung kam es zu offenkundig gezielten Pöbeleien eines ca. 50-jährigen Deutschen, der immer wieder antisemitisch konnotierte Rufe von sich gab. Die Polizei drängte ihn zwar anfangs etwas zurück, betonte jedoch auch sein Recht auf Meinungsäußerung.
Zivilpolizist in Thor-Steinar Kleidung
Auf Twitter erregte die Anwesenheit eines Zivilpolizisten in Thor-Steinar-Bekleidung, einem Erkennungszeichen der Neonaziszene bundesweit Aufmerksamkeit.
Anmelder forderten den Mann gleich zu Anfang auf, die Kundgebung zu verlassen, da seine naziaffine Kleidung eine erneute Verhöhnung der Opfer von Halle sei. Daraufhin zeigte der Polizist seinen Dienstausweis.
Im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern sowie in zahlreichen Fußballstadien ist das Tragen von Thor-Steinar-Kleidung ausdrücklich verboten. Im Bundestag wurde das Tragen der Marke 2008 sowohl für Mitarbeitende als auch für Besucher*innen untersagt. Sogar der Verfassungsschutz von Brandenburg und Sachsen ordnet Marke als rechtsextrem ein. Der Verfassungsschutz Brandenburg schreibt, die Kleidung bediene „in Farbgebung und Schriftzügen eine als völkisch verstandene Symbolik.“ Die gotischen Lettern würden „von der Kundschaft mit dem NS-Regime in Verbindung gebracht. Rechtsextremisten fühlen sich davon angesprochen.“
Der Vorfall in Köln sorgte bei vielen Teilnehmenden für heftige Reaktionen zwischen Empörung und Entsetzen. Es fällt schwer zu glauben, dass ein verbeamteter Polizist, der in diesem sensiblen Bereich dienstlich tätig ist und in Zivilkleidung auftritt, nicht um die symbolische Bedeutung von Thor-Steinar-Kleidung weiß. Schließlich gibt es seit über einem Jahrzehnt bundesweit Proteste gegen Läden der Marke. In Dortmund, das sich über Jahrzehnte den Ruf als NRW-Neonazihochburg erworben hat, gab es noch im Herbst 2019 Proteste gegen die Eröffnung eines Ladens. In Folge musste das Geschäft schließen; zwischenzeitlich hat ein neuer Thor-Steinar-Laden geöffnet, gegen den es weiterhin regelmäßige Proteste gibt.
Seit mehreren Jahren wird bundesweit über Polizisten berichtet, die vorsätzlich in Nazikleidung auftreten, so in Thüringen, in Frankfurt sowie in Hamm. Die Liste ließe sich noch deutlich erweitern.
Zwischenzeitlich hat der Kölner Polizeipräsident Uwe Jacob reagiert: Er sei in den Medien auf den Sachverhalt aufmerksam gemacht worden. Bei dem Polizisten handele es sich um einen 54-jährigen Mitarbeiter des Personenschutzes der Polizei Köln. Jacob erklärte, dass er „kein Verständnis für ein derartiges Verhalten“ und „den Beamten unmittelbar von seinen Aufgaben entbunden“ habe. Er habe sich zwischenzeitlich auch bei Abraham Lehrer telefonisch entschuldigt. Der Staatsschutz sei mit einer „lückenlosen Aufklärung des Sachverhaltes beauftragt“
Dennoch: Parlamentarier aus NRW sowie Innenminister Reul sind gefordert, den Vorgang aufzuklären, denn der Sachverhalt als solcher ist weiterhin empörend: In Halle hatte es die Polizei vor einem Jahr, trotz mehrfachen Bittens der jüdischen Gemeinde, abgelehnt, auch nur einen Polizisten zum Schutz am höchsten jüdischen Feiertag zu schicken. In Köln erscheint ein Jahr später ein Polizist in Zivilkleidung, für Personenschutz zuständig. Als Redner sind die bedeutendsten Vertreter der Jüdischen Gemeinden der Bundesrepublik am Podium – und der Polizist trägt Neonazikleidung.
Dieser Artikel ist in längerer Form zuerst bei haGalil erschienen.