Ursprung – Die Jenaer “Urburschenschaft”
Im Sommer 1815 kamen in Jena 140 Vertreter landsmannschaftlich geprägter Studentenverbindungen zusammen und gründeten die erste Burschenschaft: die “Jenaer Urburschenschaft”. Im Jahr zuvor war es Russland gemeinsam mit Österreich, Preußen und den deutschen Rheinbundstaaten gelungen, Napoleon zu besiegen. Ein großdeutsches Reich entstand jedoch nicht. Genau dies hätten sich die Burschenschafter aber gewünscht. Daher waren sie bestrebt, die verschiedenen landsmannschaftlichen Zusammenschlüsse aufzuheben und alle Studenten in einer “Allgemeinen Burschenschaft” zu vereinen. Diese patriotische Einheit im universitären Bereich sollte der erste Schritt hin zur nationalen Einheit aller Deutschen sein.
Entstehung der “Deutschen Burschenschaft”
1881 wurde in Eisenach der “Allgemeine Deputierten-Convent” von 35 Burschenschaften gegründet, 1902 in “Deutsche Burschenschaft” umbenannt. Die Mitglieder legten Gemeinsamkeiten in allgemeinen studentischen und burschenschaftlichen Belangen fest. In anderen Angelegenheiten sollten die einzelnen Burschenschaften für sich selbst entscheiden. Eine Aufnahme österreichischer Burschenschaften wurde zunächst abgelehnt. Grund dafür war, dass die Vereinigung damals “grundsätzlich die aktive Beteiligung an politischen Fragen verwerfe”, so die Erklärung auf der Website der “Deutschen Burschenschaft”. Im Jahr 1919, nachdem der Vertrag von St. Germain die Vereinigung Deutschlands und Österreichs zu einem großdeutschen Reich unmöglich gemacht hatte, fusionierte die “Deutsche Burschenschaft” schließlich doch mit der österreichischen “Burschenschaft der Ostmark”, um ihrem Verständnis vom deutschen Vaterland wenigstens in der Einheit der Burschenschaften Ausdruck zu verleihen.
Antisemitismus, Militarismus und Ablehnung der Weimarer Republik
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts war Antisemitismus in den deutschen und österreichischen Burschenschaften weit verbreitet. Ihre Mitglieder sollten sich zum Christentum bekennen. Doch eigentlich wurde das Judentum gar nicht als Religion sondern vielmehr als ‘Rasse’ angesehen. Nach vielen Konflikten, Austritten und Ausschlüssen, wurde schließlich auf dem Burschentag 1920 festgelegt, dass sowohl die Burschenschafter als auch ihre zukünftigen Ehefrauen keine jüdischen Vorfahren haben dürften.
Neben dem Rassenantisemitismus vertraten viele Burschenschaften aufgrund ihres eigenen Verständnisses von Vaterland auch eine ablehnende Haltung gegenüber der Weimarer Republik. Auf ihrer Website schreibt die “Deutsche Burschenschaft”, dass der “unglückliche Ausgang des Krieges” neben der Abneigung gegen die neue Republik auch den Willen zur Einheit des Studententums bestärkte.
Zudem hatten die Burschenschaften der “Deutschen Burschenschaft” auch die Ablehnung der im Versailler Vertrag festgeschriebenen militärischen Beschränkungen gemein. In den 1930er Jahren wurden verschiedene Vereine und Organisationen gegründet und mehr oder weniger offensichtlich die Bestimmungen des Versailler Vertrags umgangen, um der akademischen Jugend Wehrerziehung und -arbeit zu bieten.
Burschenschaften in der Zeit des Nationalsozialismus
Als “Hort der Reaktion gegen die Weimarer Republik” unterstützten einige Burschenschafter den Hitler-Putsch vom 9. November 1923. Die Führung der “Deutschen Burschenschaft” begrüßte ausdrücklich die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933. Kurze Zeit später sah sich der Verband jedoch selbst von der Gleichschaltung durch die NSDAP betroffen. So wurden die Burschenschaften der “Deutschen Burschenschaft” zur Einführung des Führerprinzips gezwungen, woraufhin österreichische und tschechoslowakische Burschenschaften aus dem Dachverband austraten.
1936 verbot Rudolf Heß Studenten der NSDAP die Mitgliedschaft in studentischen Verbindungen. Daraufhin benannten sich einige Burschenschaften in “Kameradschaften” um und traten dem “Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund” bei. Dessen Regelungen, wie der Einführung des “Führerprinzips”, unterstellt, führten sie ihre Aktivitäten fort. Andere Burschenschaften lösten sich auf. Nach dem Anschluss Österreichs 1938 wurden die dortigen verbliebenen Burschenschaften ebenfalls aufgelöst.
Verbot und Neugründung
Nach der Befreiung Deutschlands wurde das Fortbestehen bzw. die Neugründung von Burschenschaften durch das von den Alliierten erlassene Vereinsverbot verhindert. Es wurde jedoch 1950 bereits wieder aufgehoben. Noch im selben Jahr gründeten 67 Burschenschaften die “Deutsche Burschenschaft” in der BRD offiziell neu. Nach eigenen Angaben gab es aber auch davor burschenschaftliche Verbindungen, die sich dem Verbot widersetzten. Anfangs war den Burschenschaften das Farbentragen und die Mensur freigestellt. Das Farbentragen setzte sich jedoch schnell wieder durch und auch die Mensur wurde nach wenigen Jahren wieder als verpflichtend festgelegt. Seither fanden immer wieder Burschentage und auch Burschenschaftliche Wochen statt, “bei denen aktuelle Fragen, insbesondere die Lage des geteilten deutschen Vaterlands, erörtert wurden.”
In der DDR blieben Studentenverbindungen offiziell verboten.
Vereinigung aller deutschen Burschenschaften
1961 wurde die “Burschenschaftliche Gemeinschaft” von damals 42 deutschen und österreichischen Burschenschaften gegründet. Anlass dafür war, dass kurz zuvor ein Antrag auf die Vereinigung der “Deutschen Burschenschaft” und der “Deutschen Burschenschaft in Österreich” abgelehnt wurde. Die Antragsteller und -befürworter gründeten daher kurzerhand einen neuen Zusammenschluss, in dem sie dies dennoch verwirklichen konnten. 10 Jahre später erreichten sie dann doch auf die ein oder andere Weise ihr ursprüngliches Ziel: Die Aufnahme von österreichischen Burschenschaften in die “Deutsche Burschenschaft” wurde erlaubt. Daraufhin traten einige Burschenschaften aus der “Burschenschaftlichen Gemeinschaft” aus, da sie ihren Zweck als erfüllt sahen.
Abspaltung der liberaleren Flügel
Ab den 1980er Jahren wurde die “Deutsche Burschenschaft” von Burschenschaften der “Burschenschaftlichen Gemeinschaft” dominiert. Dies hatte zur Folge, dass im Jahr 1996 einige liberal-konservative Burschenschaften die “Deutsche Burschenschaft” verließen und einen neuen Dachverband gründeten: die “Neue Deutsche Burschenschaft”.
2011 sorgte die “Burschenschaftliche Gemeinschaft” auf dem Burschentag in Eisenach mit der Debatte um den “Ariernachweis” für Aufsehen. Zwei Jahre später wurde der Antrag zurückgezogen. Dennoch traten daraufhin erneut viele Burschenschaften aus dem Dachverband aus und halbierten dadurch fast seine Mitgliederzahl. Manche schlossen sich der “Neuen Deutschen Burschenschaft” an, andere gründeten schließlich im Jahr 2016 die “Allgemeine Deutsche Burschenschaft”.
Völkische Ideologie
Fast alle Burschenschaften orientieren sich an den Prinzipien und Traditionen der “Jenaer Urburschenschaft” und ihrem Wahlspruch “Ehre, Freiheit, Vaterland”. Die “Allgemeine Deutsche Burschenschaft” schreibt dazu auf ihrer Website, als Burschenschafter sei man verpflichtet, “für die Belange des deutschen Volkes unabhängig von staatlichen Grenzen” einzutreten. Hier, wie auch bei ähnlichen Definitionen auf den Seiten der “Deutschen Burschenschaft”, zeigt sich das völkische Verständnis von Nation, das viele Burschenschafter vertreten. Diese Ideologie zieht sich seit dem Ursprung der Burschenschaften durch ihre Geschichte. Bereits damals wurde von einem deutschen Volk gesprochen, dass die Trennung durch Staatsgrenzen überwinden und vereint gegen andere Völker bzw. ‘Rassen’ (z.B. die Franzosen) kämpfen müsse. Heutzutage wird immer häufiger von Ethnopluralismus und von ‘Kulturen’ gesprochen, “um den negativen Beigeschmack vor allem des ‚Rasse‘-Begriffs zu vermeiden”. Ob nun völkischer Nationalismus oder Ethnopluralismus – es geht vor allem um die Einteilung von Menschen aufgrund angeblicher gemeinsamer kultureller und biologischer Abstammung in sich voneinander stark abgrenzenden Gruppen. Der Mensch als Individuum spielt dann keine Rolle mehr, nur noch die vermeintlich homogene Gruppe – die Ethnie, das Volk, die ‘Rasse’.
Zum Thema
| Burschenschaften – Allgemeine Informationen und Kritik
| „Ehre, Freiheit, Vaterland!“ – Burschenschaften als Refugium für intellektuelle Rechtsextremisten
| Radikalisierungsgrade von Burschenschaften
| Struktur, Geschichte und Hintergründe von Studentenverbindungen
| Glossar zu Burschenschaften und Studentenverbindungen