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Urteil im Prozess gegen Marvin E. Bombenbauen und Anschlagspläne aus dem Kinderzimmer

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Marvin E. soll unter anderem Anschläge auf Politiker:innen und staatliche Einrichtungen geplant haben. (Quelle: Pixabay, Screenshot, BTN)

Mitte September 2021 entdeckte die Polizei bei einer Hausdurchsuchung im hessischen Örtchen Spangenberg 13 selbstgebastelte Bomben. Schreinerlehrling Marvin E. hatte die Sprengsätze in seinem Kinderzimmer gebaut. Kurz vor seiner Festnahme kandidierte E. noch für die örtliche CDU bei der Kommunalwahl. Im April 2022 wurde gegen den Azubi Anklage wegen der Gründung einer terroristischen Vereinigung sowie Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat erhoben. Ein Jahr später, am 8. Mai, fällt das Urteil im Oberlandesgericht Frankfurt. Der mittlerweile 21-Jährige wird nach Jugendstrafrecht zu drei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt.

Wer ist Marvin E.?

Marvin E. habe fest geplant, einen tödlichen Anschlag im Sinne der neonazistischen Terrororganisation „Atomwaffen Division“ zu verüben. Dafür suchte er Waffen zusammen und beschaffte sich Material zum Bombenbau über Amazon. Sprengsätze, die der Schreinerlehrling selbst gebastelt hat und in einem Aluminiumkoffer verwahrte, hätten, wenn sie gezündet worden wären, tödliches Potenzial entfalten können, heißt es. Von der international agierenden rechtsextremen Terrororganisation „Atomwaffen Division“ (AWD) habe er Anfang des Jahres 2021 erfahren. Wenig später, im Sommer 2021, habe E. seine Anschlagspläne konkretisiert. Innerhalb von drei Jahren wollte er einen „Rassen“- und Bürgerkrieg nach AWD-Ideologie herbeiführen. Ziel der Anschläge sollten Schwarze Menschen, Juden*Jüdinnen und Politiker*innen sein. Seine Pläne hielt er in einer Art Manifest unter dem irritierenden Titel „Operation RanzKacke“ fest. Er suchte im Internet nach dem Grundriss des Bundestags und Schulen. Endstation Rechts berichtet, dass er sich dabei nicht nur auf Hessen beschränkte, sondern auch nach Zielen in Essen googelte, wo wenige Monate später ein damals 16-jähriger Gymnasiast einen rechtsextremen Anschlag verüben wollte. Zur Tat kam es nicht, da der Täter vorher festgenommen wurde. Ein Umstand, der im Laufe des Prozesses im Fall Marvin E. nicht weiterverfolgt wurde.

Neben dem großen Arsenal an unkonventionellen Sprengsätzen, die E. teilweise mit Stahlkugeln umwickelt hatte, fanden die Ermittelnden auch selbst gestickte Abzeichen mit dem Logo der AWD. Marvin E. hatte auch Werbeaktionen für die, eigentlich nur aus ihm bestehende hessische Version der Terrorgruppe geplant. Im digitalen Raum jedoch konnte er sich im Austausch mit Rechtsextremen rund um den Globus in der Rolle des hessischen Terroranführers wähnen.

Urteil und Prozess

Unmittelbar im Gerichtssaal nimmt der 21-Jährige das Urteil an. Die Aufmerksamkeit, die ihm während des Prozesses zuteilwurde, habe Marvin E. regelrecht genossen. „Ich habe in 20-jähriger Richtertätigkeit noch nie einen Angeklagten erlebt, der so fröhlich und gutgelaunt herkam“, sagt der Vorsitzende Richter Christoph Koller laut Endstation rechts. Die einzelnen Gerichtstermine seien „eine Art Therapiesitzung“ gewesen.  Im Urteil spricht das Gericht davon, dass E. einem „fremdgesteuerten, dynamischen Prozess“ und der online Propaganda der AWD zum Opfer gefallen wäre. Die Anwendung des milderen Jugendrechts begründet das Gericht mit der schwierigen Familiensituation, die von emotionaler Vernachlässigung geprägt gewesen sei. Auch lägen „Reife- und Entwicklungsverzögerungen“ vor. Marvin E. sei bereits Teil des Aussteigerprogramms „Ikarus“ und gelobt vor Gericht, sich von rechtsradikalen Ideologien trennen zu wollen. E. habe sich im Verlauf des Prozesses bereits glaubhaft von rechtsextremem Gedankengut abgewendet, so das Gericht.

Verwirrter Jugendlicher als Opfer des Internets?

Marvin E. mag zwar bis zuletzt kein analog gut vernetzter Neonazi gewesen sein. Das hätte ihn aber nicht zum Einzeltäter gemacht und die potenziellen Morde, die er vorhatte, nicht zum Einzelfall. Er agierte nicht im luftleeren Raum, sondern im Internet. Der Ort, an dem moderner Rechtsterrorismus organisiert wird. Dort vernetzte er sich mit Gleichgesinnten, fand zur AWD, bestellte das Material für die geplanten Anschläge und baute schließlich Sprengkörper. Dabei machte er sich keine Sorgen, um die Spuren, die er damit hinterlassen hatte. Aufgeflogen ist er jedoch erst, als er über einen AWD Chat an einen verdeckten Ermittler des Verfassungsschutzes geriet.

Wie sich Marvin E. radikalisierte, vom Kinderzimmer aus, erinnert an die Attentäter von Halle und dem OEZ in München. Aktuell läuft ein ähnlicher Prozess wie der im Fall Marvin E. in Potsdam, wie Zeit Online berichtet. Der 18-jährige Lutias F. soll ebenfalls rechtsterroristische Anschläge geplant haben. Auch seine Radikalisierung habe via Chatgruppe stattgefunden.

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