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Urteil zum Übergriff in Bernburg Wird Rassismus weniger rassistisch, wenn er sich spontan und ungeplant äußert?

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Der Bahnhof von Bernburg, Aufnahme von 2009. (Quelle: wikipedia/Joeb07/cc)

Die Tat

Es war ein Angriff von herausragender Brutalität am 21. September 2013 im sachsen-anhaltinischen Bernburg. Für Abdurrahman E. und seine Freundin Anne S. war der Arbeitstag fast geschafft. Sie waren kurz nach 21 Uhr gerade dabei, den Dönerladen „Alibaba“ im Bahnhof von Bernburg  zu schließen.  Da kam eine Gruppe von neun Männern zwischen 24 und 33 Jahren vorbei, ein Junggesellenabschied, alle alkoholisiert. Die Männer pöbeln E.s Freundin an, beschimpfen sie als „Fotze“ und „Türkenschlampe“. Wie sie dazu kommen?  Sie gehören, das sagen auch die Ermittler des Falles, zur rechtsextremen Szene. Rassismus gehört zu ihrem täglichen Leben, jetzt schlägt er in Gewalt um.

Abdurrahman E. kommt seiner Freundin zur Hilfe, fasst den Pöbler am Arm  und sagt, so rede man nicht mit einer Frau.  Der Angreifer ruft: „Fass mich nicht an, du Scheißvieh!“ und schleudert E. eine Bierflasche ins Gesicht. Dann stürzt die ganze Gruppe auf E., schlägt auf ihn ein, beschimpft ihn als „Scheißtürken“. Vier Angreifer treten laut Staatsanwalt auf E. ein, auch noch, als dieser bereits bewusstlos ist, auf den Oberkörper, auf den Kopf des Opfers. Auch seine Freundin und ein Gast des Dönerladens, der zu Hilfe kommen wollte, werden getreten und  verletzt. Anne S. beschreibt vor Gericht: „Am Ende hat er nur noch gezuckt, sein Kopf war ein Matsch. Ich dachte, er ist tot.“ Sie schafft es schließlich, die Peiniger von ihrem bewusstlosen Freund abzudrängen. Die Angreifer ziehen weiter. Feiern weiter.

Die Folgen

Im Krankenhaus stellen die Ärzte eine eingetretene Schädeldecke und gebrochene Gesichtsknochen fest. Ärzte versetzen den 34-jährigen Vater von drei Kindern zwei Wochen lang in ein künstliches Koma. Er überlebt nur knapp, nur eine Notoperation rettete sein Leben. Noch heute leidet er unter den körperlichen und psychischen Folgen des Übergriffs. Auf einem Auge hat er durch die Attacke Teile der Sehkraft verloren, dazu kommen Gedächtnisverlust und Kopfschmerzen. Den Imbiss hat er aufgegeben, er ist jetzt arbeitslos.

Die Angeklagten

Angeklagt waren für diesen Übergriff die neun beteiligten Rechtsextremen.  Fünf der neun werden zu jedem Prozesstag mit Handschellen in den Saal geführt, sie sitzen bereits in Haft.  Fast alle sind vorbestraft, für Schlägereien, Nötigung, Volksverhetzung. Einer trägt „Thor Steinar“, einer hat einschlägige Tattoos – Runen, Wehrmachtssoldaten, ein Hakenkreuz. Einer, Franceso L. (28), ist bereits dafür verurteilt worden, 2006 in Pömmelte mit zwei Freunden einen 12-jährigen schwarzen Deutschen mit einer Gaspistole bedroht, erniedrigt, auf ihn uriniert und ihn mit Zigaretten gequält zu haben.

Die Anklage

Vor dem Landgericht Magdeburg lautete die Anklage auf versuchten Totschlag. Die Staatsanwaltschaft am Landgericht Magdeburg hatte den Angriff also nicht als politisch motiviert angeklagt – denn dann wäre es „versuchte Mord“ gewesen. Die Staatsanwaltschaft war der Meinung, dass sich ein rassistisches Motiv „nicht mit notwendiger Sicherheit“ feststellen lasse.  Opfer beim brutalen Mordversuch rassistisch zu beschimpfen reicht also offenbar nicht aus. Auch nicht in Deutschland im Jahr zwei nach der Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrundes“. Die Opferanwälte beantragten die Eröffnung des Verfahrens wegen versuchten Mordes aus rassistischen Beweggründen und die Übernahme des Falls durch die Bundesanwaltschaft. So hat er der NSU-Untersuchungsausschuss de Bundestages empfohlen. Dazu kam es nicht.

Das Urteil

Und so kommt nach rund zwei Monaten Verhandlung auch der Vorsitzende Richter Dirk Sternberg zum gleichen Schluss wie die Staatsanwaltschaft: Es seien rassistische Sprüche gefallen, aber es sei nicht zweifelsfrei feststellbar gewesen, dass es das tragende Motiv war. Es sei doch ein Streit um die Freundin gewesen. Die Neonazis haben zudem ausgesagt, das Opfer habe einen Stock oder Knüppel geschwungen. Das bestreitet E. zwar und auch eine Zugführerin, die das Geschehen aus ihrem Zug beobachtet hat und als Zeugin im Prozess aussagte, hatte keinen Stock gesehen. Auch wurde keiner am Tatort gefunden. Trotzdem sei diese Entlastung nicht ausreichend. Der Anwalt der Rechtsextremen plädiert auf Notwehr. Der Richter meint: Es sei doch eine spontane, nicht geplante Tat gewesen, und auch Alkohol sei ja im Spiel gewesen. Wird Rassismus weniger rassistisch, wenn er sich spontan und ungeplant äußert? Wird Rassismus weniger rassistisch, wenn er sich vom Alkohol enthemmt Bahn bricht?

Fünf Angeklagte wurden am 02.05.2014, nach rund zwei Monaten Verhandlung, sogar komplett freigesprochen, weil ihnen eine Tatbeteiligung nicht nachgewiesen werden konnte – sie hatten „nur“ mit zu Hilfe eilenden Personen gekämpft. Darunter ist auch Francesco L. Vier Täter wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt, wegen Todschlags in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung und in einem Fall auch wegen Beleidigung. Der Hauptbeschuldigte Maik R. (31) wurde zu acht Jahren und zwei Monaten Gefängnis verurteilt, Michel M. (24) zu sieben Jahren, Marco L. (30) zu fünf Jahren. Ronny B. (28) muss für fünf Jahre und sechs Monate ins Gefängnis.  Die „brutale, menschenverachtende Tatausführung“ wurde gesondert hervorgehoben. Die Staatsanwaltschaft hatte immerhin noch ein arbeitsteiliges Vorgehen erkannt: Während die vier Hauptangreifer das Opfer fast totschlugen, hielten ihnen die anderen fünf den Rücken frei.

Nach dem Urteilsspruch kritisierte die Mobile Opferberatung Sachsen-Anhalt den Spruch des Gerichts: „Das Urteil ist ein gutes Beispiel dafür, dass wir in der Justiz von Sachsen-Anhalt ein Wahrnehmungsproblem haben“, sagte Sprecherin Antje Arndt. Eine Verurteilung wegen versuchten Mordes aus rassistischen Beweggründen wäre in diesem Fall richtig gewesen. So sei es „ein doppelter Schlag ins Gesicht der Opfer: Das Gericht hat ihnen nicht geglaubt und ein rassistisches Motiv negiert.“

Revision eingelegt

Nach einer Woche haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Opferanwalt Revision eingelegt, berichtet am 09. Mai 2014 der Tagesspiegel. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft meinte, die Argumentation des Gerichts habe nicht überzeugt. Die Behörde kritisiert die Freisprüche und hält bei den verurteilten Angeklagten höhere Strafen für notwendig. Der Berliner Anwalt des kurdischen Imbissbetreibers, Sebastian Scharmer, will vor allem erreichen, dass die Tat als versuchter Mord gewertet wird.

Bitte spenden Sie!

Da die Revision für Abdurrahman E. ein enormes Kostenrisiko bedeutet, bittet die Magdeburger „Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt“ um Spenden. Die Beratungsstelle ist Teil des Vereins „Miteinander e.V.“. Im Falle einer erfolgreichen Revision sollen die Spenden dem Betroffenen zugute kommen. (Kontoinhaber: Miteinander e.V., Bank für Sozialwirtschaft Magdeburg, IBAN: DE84 8102 0500 0008 4734 01 SWIFT / BIC: BFSWDE33MAG Verwendungszweck: Bernburg/Revision)

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