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US-Wahl 2020 Welchen Einfluss hat die „Black Lives Matter“-Bewegung?

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"Black Lives Matter"-Protest in Washington, Juni 2020 (Quelle: Flickr/ Victoria Pickering / CC BY-NC-ND 2.0)

Die “Black Lives Matter”-Bewegung hat 2020 weltweit besondere Beachtung gefunden – doch ihre Geburtsstunde liegt viel früher, im Juli 2013 (vgl. Guardian). Kurz nach dem Freispruch des selbsternannten „Nachbarschaftswächters“ George Zimmerman, der den 17-jährigen Schwarzen Jugendlichen Trayvon Martin erschossen hatte (vgl. DW). Nach dem Freispruch schrieb die schwarze Aktivistin Alicia Garza auf Facebook: „Our lives matter“. Unsere Leben sind wichtig. Inspiriert von diesem Beitrag verwendete ihre Freundin und Mitaktivistin Patrisse Cullors erstmals den Hashtag #BlackLivesMatter. Damit wurde eine Bewegung wurde ins Leben gerufen, die leider stets an Aktualität gewann in den kommenden Jahren. Ein Jahr später, 2014, erschoss die Polizei in Ferguson Michael Brown, einen unbewaffneten Schwarzen 18-Jährigen (vgl. DW). Als es daraufhin zu Protesten und Unruhen kam, wurde statt einer Deeskalation die Nationalgarde nach Ferguson entsandt (vgl. DW). Leider kam seitdem US-weit zu einer großen Zahl ähnlicher Fälle tödlicher Gewalt gegen Schwarze US-Amerikaner*innen.

Die dezentral organisierte Bewegung konnte mittlerweile Anhänger*innen weltweit mobilisieren (vgl. HuffPost). Von der „National Football League“ in den USA bis zur Bundesliga in Deutschland hat die Bewegung auch die Welt des Sports für Rassismus sensibilisiert (vgl. Spiegel, AP). Im Sommer 2020 erreichte die Bewegung ihren vorläufigen Höhepunkt: Ende Mai tötete der Polizeibeamte Derek Chauvin bei einer Verhaftung den Schwarzen Mann George Floyd in Minneapolis. Der Polizist drückte sein Knie auf Floyds Hals.  Floyd schrie: „I can’t breathe“ – Ich kann nicht atmen (vgl. DW). Die qualvollen 8 Minuten und 46 Sekunden, die zu Floyds Tod führten, wurden gefilmt: Das Video schickte Schockwellen um die ganze Welt und löste eine globale Bürgerrechtsbewegung aus. In den Tagen nach Floyds Tod kam es zu massiven Demonstrationen weltweit. Die US-weite Demonstration am 6. Juni in den USA war eine der größten Straßenproteste aller Zeiten im Land (vgl. NYT).

Unabhängig vom Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen am 3. November 2020 wird die „Black Lives Matter“-Bewegung vermutlich nicht so schnell wieder verschwinden, sondern mit Aktionen und Protesten weitermachen. Doch welche Auswirkungen wird die Bewegung auf die Wahlen selbst haben – sowohl für das Amt des Präsidenten als auch für den Kongress?

Die Präsidentschaftswahl

Trump kritisiert die „Black Lives Matter“-Bewegung oft und gerne. Er nennt die Demonstrierende abwechselnd „ein Symbol des Hasses“, Anarchist*innen, Randalierer*innen und Marxist*innen (vgl. CNN). Menschen aus seinem engsten Umfeld behaupten, die Proteste würden von George Soros finanziert – eine übliche antisemitische „Dog Whistle“, also ein Versuch, über die Andeutung Antisemitismus zu verbreiten. Die „Black Lives Matter“-Bewegung dient somit vielen als  Projektion und Verkörperung von Trumps  realen und imaginären Feinden. Gleichzeitig behauptet Trump, er habe „mehr für die schwarze Community getan als jeder Präsident seit Abraham Lincoln“ (vgl. Trump auf Twitter)(Präsident Lincoln beendete die Sklaverei in den USA). Was natürlich nicht stimmt, vgl. NYT.

Das heißt jedoch nicht, dass Trumps demokratischer Herausforderer, Joe Biden, der gesetzte Kandidat der Wahl für die „Black Lives Matter“-Bewegung ist. Die meisten Menschen kennen Biden als Obamas Vizepräsident – eine Karte, die Biden gerne spielt, um schwarze Wähler*innen zu mobilisieren. Mit Erfolg: So konnte er sich gegen Sanders in den Vorwahlen durchsetzen und die demokratische Nominierung sichern. Aber Biden wurde von Obama wahrscheinlich als Vizepräsident gewählt, weil er ein weißer Mainstream-Politiker ist, der Obamas Schwarzsein und damaligen Status als relativ progressiver politischer Außenseiter ausgleicht (vgl. NYMag). Bidens Unterstützung für die „Black Lives Matter“-Bewegung war zudem bislang eher halbherzig: So hat er beispielsweise auch die jüngsten Proteste in Philadelphia verurteilt, bei denen die Polizei einen schwarzen Mann erschoss. Biden wollte auf dieser Weise vermutlich auf eine „Law and Order“-Politik setzen (vgl. NPR).

So war aber Bidens Ernennung von Kamala Harris als Vizekandidatin strategisch klug. Harris, Tochter eines jamaikanischen Vaters und einer indischen Mutter, könnte bei dieser Wahl Geschichte schreiben, nicht nur als erste nicht-weiße Amtsinhaberin in dieser Position im Weißen Haus, sondern auch als erste Frau (vgl. CNN). So ist Harris‘ Ernennung als Vizekandidatin ein deutliches Zeichen für den Einfluss der „Black Lives Matter“-Bewegung auf die Wahl. Harris war allerdings auch die ehemalige selbsternannte „Top-Cop“ (zu Deutsch: „Oberbulle“) Kaliforniens, wo sie von 2011 bis 2017 als Generalstaatsanwältin diente – eine Amtszeit, für die sie von Linken und der „Black Lives Matter“-Bewegung schon heftig kritisiert wurde (vgl. Mother Jones).

Weder die Republikanische noch die Demokratische Partei wären also eine ideale Wahl für die „Black Lives Matter“-Bewegung. Biden wird wahrscheinlich dennoch von der starken Anti-Trump-Haltung der Bewegung profitieren – solange Schwarze Wähler*innen auch zahlreich wählen. Bisher lässt sich festhalten, dass Schwarze Wähler*innen haben in diesem Jahr in vielen sogenannten „Swing States“, also in der Wahl umkämpften Bundesstaaten, bisher häufiger abgestimmt haben als in vergangenen Jahren (vgl. NBC). Gleichzeitig befürchten viele Schwarze Wähler*innen, dass ihre Stimmen für ungültig erklärt werden (vgl. CBS).

Kongress- und Kommunalwahlen

Am Dienstag, den 3. November 2020, wird auch über alle 435 Sitze des Repräsentantenhauses sowie 35 der 100 Sitze im US-Senat abgestimmt. Es gibt bereits einige Abgeordnete auf Bundesebene, deren politischer Aktivismus im Rahmen der „Black Lives Matter“-Bewegung sie dazu motivierten, für das Amt zu kandidieren – wie die 2019 gewählte Abgeordnete für den Bundesstaat Georgia, Lucy McBath. McBath beschloss, sich zur Wahl zu stellen, nachdem ein Mann ihren Sohn erschossen hatte, weil er sich über die „laute Musik“ des Sohnes empört hatte. Die Bewegung hat sich auch auf die lokale Politik ausgewirkt: In Minneapolis, der Stadt, in der George Floyd ermordet wurde, stimmte der Stadtrat einstimmig für die Auflösung ihrer Polizeikräfte – auch wenn die Umsetzung dieser Entscheidung bislang auf mehrere Hürden gestoßen ist (vgl. Bloomberg).

Nach der Wahl

Bei den Wahlen 2020 könnte die „Black Lives Matter“-Bewegung eine Schlüsselrolle spielen – nicht nur bei der Mobilisierung der Anti-Trump-Wähler*innen, sondern auch, um Demonstrationen für eine faire und vollständige Auszählung der abgegebenen Stimmen zu organisieren. Trump hat den Obersten Gerichtshof, das Supreme Court, schon mehrmals unter Druck gesetzt, eine weitere Stimmenauszählung nach dem Wahltag einzustellen, obwohl die Briefwahl wahrscheinlich zu einer Verzögerung der Ergebnisse führen wird und die USA noch nie endgültige Ergebnisse schon am Wahltag hatten (vgl. Buzzfeed, BBC, NYT).

Sollte Trump in der Wahlnacht den Sieg verkünden, könnten massive pro-demokratische Proteste genug Druck ausüben, um sicherzustellen, dass alle Stimmen ausgezählt werden – anders als beim „Brooks Brothers Riot“ nach der Wahl 2000, als Republikaner versuchten, eine Nachzählung der Wahl in Florida mit Gewalt zu verhindern. Nach einem Sommer des Protests hat die „Black Lives Matter“-Bewegung die Kapazitäten und das Mobilisierungspotential, neue Proteste zu organisieren – sollten sie nötig sein.

Ganz gleich, wer die Wahl gewinnt: Die gesellschaftlichen Bedingungen, die zur Begründung der „Black Lives Matter“-Bewegung führten, werden weitgehend gleich bleiben. Schließlich wurde die Bewegung während der Amtszeit Obamas ins Leben gerufen, nachdem Trayvon Martin und Michael Brown erschossen wurden. Selbst wenn Biden gewinnt, wird der strukturelle Rassismus in den USA und innerhalb ihrer militärisch bewaffneten Polizei nicht über Nacht verschwinden. Vier weitere Jahre Trump jedoch wären für die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA eine politische Katastrophe, die wahrscheinlich zu beispielloser Gewalt führen würde. Wer auch immer nach dem Wahltag als Sieger hervorgeht: Für die „Black Lives Matter“-Bewegung ist dies erst der Anfang. Für sie geht es nicht um Sieg oder Niederlage: Es geht um das Überleben in einem Land geprägt von systemischem Rassismus.

 

English Version of this text: /CC

https://www.belltower.news/us-election-2020-the-black-lives-matter-movement-105987/

 

Das Foto wurde unter der Lizenz CC BY-NC-ND 2.0 veröffentlicht.

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