Stop the Steal
Unter dem Hashtag und Motto #StopTheSteal gab es eine Reihe von Protesten gegen die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl 2020. Laut der Website der Bewegung organisierten sie Demos in fast allen 50 Bundesstaaten der USA. Ali Alexander, ein rechtsgerichteter politischer Funktionär, gründete die Bewegung 2018, um gegen eine Neuauszählung der Stimmzettel beim Senatswahlkampf in Florida 2018 zu demonstrieren (vgl. Right Wing Watch). Die aktuelle Kampagne fußt auf der falschen Behauptungen, bei der Präsidentschaftswahl läge Wahlbetrug vor, der Sieg sei gestohlen worden.
Präsident Donald Trump verwendet die Erzählung vom angeblichen Wahlbetrug seit seiner ersten Wahl. Nach der Präsidentschaftswahl im November 2020 twittert er fast täglich noch mehr falsche Behauptungen und Verschwörungserzählungen über den angeblichen Wahlbetrug, der ihn seinen imaginierten Sieg gekostet hätte. Am Mittwoch, den 6. Januar 2021, sollte der US-Senat abstimmen, um die Ergebnisse des Wahlmännerkollegiums zu bestätigen. Vizepräsident Mike Pence ist Vorsitzender des Senats und war deswegen ebenfalls vor Ort.
Der Tag
Der Tag begann wie andere Protesttage nach der Wahl 2020. „Proud Boys“ (vgl. Belltower.News), Milizionäre (vgl. Belltower.News), „Groypers“ (vgl. ADL) und auch ganz gewöhnliche Trump-Anhänger*innen waren beim „MAGA“-March dabei. „MAGA“ steht für „Make America great again“, Trumps Wahlkampfslogan. Die bisherigen Protesttage in Washington, DC hatten bereits zu Gewalt geführt, und es wäre wahrscheinlich noch mehr geworden, wenn DC keine strengen Waffengesetze hätte.
Doch am 6. Januar gab es einen entscheidenden Unterschied: An diesem Tag sprach Donald Trump direkt zum Publikum. Vor einem geplanten Marsch zum US-Capitol, sprach Trump zur MAGA-Menge und sagte, „Und danach werden wir dorthingehen, und ich werde mit Euch gehen, wir werden hinuntergehen … zum Kapitol und wir werden unsere tapferen Senatoren und Kongressabgeordneten anfeuern“. (Original: „And after this, we’re going to walk down there, and I’ll be there with you, we’re going to walk down … to the Capitol and we are going to cheer on our brave senators and congressmen and -women.“) Ob das als Aufhetzung gemeint war, ist unklar. Aber die Menge verstand es als solche.
Die Masse der Protestierenden marschierten zum Kapitol – direkt nach Trumps Ansprache. Sie sprangen über Barrikaden, schoben sich an der Polizei vorbei, schlugen Fenster ein und betraten das Gebäude, in dem der Senat tagte. Alle Mitarbeiter*innen und anwesende Presse wurden evakuiert, als die Aufständischen im Gebäude herumliefen. Senatsbüros wurden geplündert. Eine Frau, die zu den Protestierenden gehörte, wurde erschossen, wahrscheinlich von der Polizei. Es dauerte mehrere Stunden, bis die Sicherheitskräfte die Lage wieder im Griff und die Aufständischen wieder aus dem Gebäude entfernt hatten.
Immer wieder kam es dabei zu Übergriffen auf Medienvertreter*innen. Demonstrierende stürmten dabei auch in einen abgesperrten Medienbereich und zerstörten das Equipment der Journalist*innen.
Die Aktion kam mit Ansage. Bereits im Vorfeld kursierten Gewaltfantasien von einem Umsturz oder Bürgerkrieg online. Manche Trump-Anhänger*innen hatten aber auch schon das entsprechende Merchandising für den Protesttag bereit.
Wer sind die Menschen, die das Kapitol stürmten ?
Natürlich lassen sich keine Aussagen über alle Teilnehmenden der großen Proteste fällen, doch einige Teilnehmende ließen sich leicht identifizieren.
Viele „Proud Boys“ waren mindestens in der Nähe, inklusiv des Gründer Gavin McInnes. Der aktueller „Proud Boys“-Anführer, Enrique Tarrio, war nicht dabei, weil er bereits am 4. Januar 2020 in Washington DC verhaftet wurde.
Mitglieder der rechtsextremen Gruppe „NSC 131“ waren vor Ort (vgl. Belltower.News).
Der antisemitische Alt-Right Streamer „Baked Alaska“, mit bürgerlichem Namen Tim Gionet, war ebenfalls im Gebäude, wie im Tweet unten zu sehen. Holocaustleugner und „Groypers“-Anführer Nick Fuentes war bei der Demonstration dabei und es gibt Bilder von ihm auf den Stufen des Kapitols, auf Bildern ist allerdings zu sehen, dass er dabei einen Anzug trägt. Es ist also fraglich ob er tatsächlich hier neben Gionet zu sehen ist, wie im Tweet behauptet.
Jemand, der einen „Camp Auschwitz“ Pulli trägt, war ebenfalls im Gebäude. Unter dem Totenkopf steht der Schriftzug: „Work brings freedom“, eine Übersetzung des NS-Spruchs „Arbeit macht frei“.
Und es waren sehr viele QAnon-Anhänger*innen dabei. Der sogenannten „Q Shaman“ aka Jake Angeli, ein QAnon-Influencer, war prominent in Bildern aus dem Inneren des Kapitols zu sehen. Er ist bekannt dafür, sich das Gesicht in den Farben der amerikanischen Flagge zu bemalen und einen Helm mit Fell und Hörnern zu tragen (vgl. Vice).
Auch die Frau, die im Capitol erschossen wurde, war ein QAnon-Anhängerin (vgl. The Daily Beast). Ihr Twitter-Konto ist voll mit Retweets von QAnon-Influencern und Verschwörungserzählungen. Ihr letzter Tweet enthält zwei Verweise auf QAnon: „the storm is here“ und „dark to light“, beides Phrasen, die zum festen Kanon der Q-Gläubigen gehören, die sich auf der Seite des „Lichtes“ wähnen und einen reinigenden Sturm herbeisehnen – oder der Sturm sein wollen.
Am Ende des Tages gab es laut Angaben der Polizei in Washington 4 Tote und 52 Verhaftete.
Rechtsextreme Akteure behaupten bereits, dass die Antifa schuld ist an der Gewalt.
QAnon-Anwalt Lin Wood beschuldigte den „Q Shaman“ sogar, Teil der Antifa zu sein.
Auch der Neonazi Jason Tankersley ist in zahlreichen Fotos neben dem „Q Shaman“ Jake Angeli zu sehen:
Auf seinem Telegram-Kanal behauptete der „Querdenken“-Anwalt Markus Haintz, der Sturm auf das Kapitol sei „gestellt“. „Von der Antifa inszeniert?“, fragt Haintz skeptisch. Sein Beweis dafür: Der Name und ein Foto von Jason Tankersley sind auf der Webseite der Philadelphia Antifa zu finden. Doch der Kontext ist hier, wie immer, wichtig: Recherche der „Philly Antifa“ zufolge ist Tankersley Gründer der „Maryland Skinheads“ und langjähriger Neonazi. Er pflegt auch Verbindgunen zu den „Keystone State Skinheads“. Laut der „Philly Antifa“ habe er in Vergangenheit an Demonstrationen der „National Alliance“, der „Aryan Nations“ und des „KKK“ teilgenommen. Auf seiner Brust sind ein Hakenkreuz und SS-Runnen tätowiert. Daher taucht sein Foto auf ihrer Webseite auf.
Was bedeutet das für Deutschland?
Was jenseits des Atlantiks passiert, hat auch Konsequenzen für Deutschland. Die QAnon Verschwörungsideologie hat sich in Deutschland weit verbreitet (vgl. Belltower.News). Die Szenen aus den USA erinnern an den sogenannten „Reichtags-Sturm“ der „Querdenker“ in Berlin, die ebenfalls mit QAnon und „MAGA“-Fahnen posierten (vgl. Belltower.News).
Lesen Sie hier mehr zu den Reaktionen in der deutschen verschwörungsideologischen Szene.