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„Verbrannte Orte“ Ein Fotoprojekt zu Bücherverbrennungen von 1933

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Greifswalder Marktplatz, 2012 (Quelle: Jan Schenck)

Im Interview mit Belltower.news erläutert Schenck, wie in seinem Projekt Gegenwart und Vergangenheit aufeinandertreffen.

Am Anfang stand das Buch. „Das Buch der verbrannten Bücher“ führte bei dem freien Fotografen Jan Schenck zu großer Überraschung. Es thematisiert und beschreibt die Geschichten, in denen vor allem Studenten, Universitäts- wie Bibliotheksmitarbeiter und SA-Mitglieder vor 80 Jahren Bücher zu Scheiterhaufen aufschichteten und diese vernichteten. Zu den Tatorten gehörte etwa Hamburg, die Heimatstadt Schencks. Die in dieser Hinsicht großen und bekannten Plätze der Stadt waren ihm aufgrund von Gedenktafeln und öffentlichem Interesse schon vorher ein Begriff. Der Geschichte eines Ortes seiner eigenen Vergangenheit musste er aber einen Eindruck hinzufügen:

„Mich haben in der Recherche der Bücherverbrennungen viele der Plätze überrascht, an denen diese stattfanden. Aber die Alster-Schwimmhalle, in der ich als Kind selber geschwommen bin, packte mich wirklich persönlich. Im Zuge dessen wurde mir bewusst, wie einfach man die Orte und Akteure des damaligen Unrechts und vor allem den geringen bis fehlenden gesellschaftlichen Widerstand der damaligen Zeit vergisst.“

93 Plätze an 70 verschiedenen Orten

Anlass für Schenck, ein Projekt zu starten, das mit Hilfe einer Online-Karte die 93 Plätze in 70 verschiedenen Städten thematisieren will, an denen vor 80 Jahren Literatur flammend vernichtet wurde. Fotografien sollen darin durch Informationen zu Vergangenheit und Gegenwart ergänzt werden, um ein umfassendes Bild der damaligen Tatorte zu zeichnen. Schenck dazu:

„Die historischen Plätze, die ich betrachte, tragen eine besondere Bedeutung in sich. Der Titel ‚Verbrannte Orte‘ spitzt den Untersuchungsfokus zu und kann polemisch verstanden werden. Es geht mir allerdings nicht darum, die Wahrnehmung der Orte auf ihre historische Bedeutung bezüglich der Bücherverbrennungen zu beschränken. Das Ziel des Online-Atlas ist es, an diese Taten zu erinnern. Erneut einnehmen sollen sie die Plätze aber nicht. In Hamburg befindet sich am Platz einer Bücherverbrennung von 1933 aktuell ein Kinderspielplatz auf dem eine Informationstafel über die Vergangenheit des Ortes informiert. Das finde ich klasse. Wenn mein Projekt zur Folge hat, dass diese Aufklärung auch an anderen Plätzen passiert, die bisher noch nicht beleuchtet werden, bin ich sehr zufrieden.“

Finanzielle und inhaltliche Unterstützung durch die Crowd

Zur Verwirklichung des Projekts bedient er sich der Crowdfunding-Plattform krautreporter.de, mit deren Hilfe er die Grundlegung und Programmierung der Atlas-Website schaffen möchte und die Fotografien der ersten acht Orte finanzieren will.

Herzstück Schencks künstlerischer Umsetzung des Themas sind interaktive Panoramen und ausgewählte Großformataufnahmen:

„Inspirierend für die Arbeit war ein Buch der US-amerikanischen Vorstadt- und Landschaftsfotografie, das ich vor einiger Zeit durchblätterte. Die dargestellten Fotos mir typisch erscheinender Suburbans  und ihrer Bewohner wie Bewohnerinnen ließen mich erst ziemlich kalt. Am Ende des Bandes fand sich allerdings der Hinweis, dass alle gezeigten Bilder die Wohnorte und –Umgebungen der Menschen thematisierte, die an der ersten Wasserstoffbombe der Welt mitarbeiteten. Daraufhin schaute ich den Band mit anderen Augen erneut durch. In meinem Projekt verhält es sich ähnlich.“

Rostock

„Bei den Betrachtern sollen Bilder losgehen“

Zu sehen ist beispielsweise eine fast menschenleere Aufnahme des Greifswalder Markts, über den eine nur schemenhaft erkennbare Person geht. Sie wirkt wie der Abdruck eines Abziehbildes der aktuellen Lebhaftigkeit an diesem Ort. Schencks grundlegendes Motiv, das hier durchscheint, ist es, die Betrachtenden anzustoßen. Die aktuell aufgenommenen Bilder sollen Schablonen dafür liefern und die Betrachtenden zu visuellen Ideen und Eindrücken provozieren, die sich dann mit den gegebenen Aufnahmen verbinden:     

„Ich stelle den Bildern der aktuellen Orte den historischen Zusammenhang voran. Vergangenheit und Gegenwart sollen daraufhin in den Köpfen der Betrachter zusammenkommen, wobei sie die Möglichkeit haben sich interaktiv an den Plätzen zu bewegen und damit zu beobachten oder von mir ausgewählten Perspektiven zu folgen. Ich hoffe, dass bei den Betrachtenden dann Bilder losgehen, die die fanatische Menge von 1933 in eine aktuelle Umgebung herüberziehen und die Bedeutung der Plätze damit eine zumindest partiell andere wird.“

Vielleicht kann man von einem Bühnenbild sprechen, welches Schenck, der über vielzählige Erfahrungen in der Theaterfotografie verfügt, den Interessierten zur Verfügung stellen möchte. Die Grundlage seines Motivs ist allerdings vollkommen der Realität entlehnt.

Hamburg

Das Gestern im Heute

Bisher hat das Projekt große, aber noch nicht genügend Aufmerksamkeit zur Freischaltung der kompletten Fördersumme erfahren. Darüber hinaus hofft Schenck auf inhaltliche Unterstützung bei der Recherche der rahmenden Informationstexte. Großes Interesse, mit ihm dabei zu kooperieren, signalisierten bisher vor allem Bibliothekskreise. Die offensive Aufarbeitung deren eigener Geschichte überraschte den Projektinitiator, ist ihm nichtsdestotrotz aber sehr willkommen. Das Anliegen, an die Orte der Bücherverbrennung von vor 80 Jahren zu erinnern, teilen aber nicht nur sie:

„Ich bekomme jeden Tag positives Feedback, Bestärkungen und Unterstützungsangebote. Diese zeigen mir, dass es eine breite Öffentlichkeit gibt, die an dem Thema interessiert ist und mit mir die Lücke, die gegenüber den Orten der Bücherverbrennungen von 1933 bestehen, schließen möchte.“  

Neben dem Erinnern thematisiert das Projekt Schencks, wie auch seine letzten Worte, Vernunft und Reflektion:

„Ich möchte an die grässlichen Taten der Bücherverbrennungen und damit an die Radikalisierung der deutschen Bevölkerung in den 1930er Jahren erinnern. Das ist sicherlich unbequem. Die heutige Bedeutung der jeweiligen Orte möchte ich darauf aber nicht reduzieren. Mir liegt das Wissen um die Vergangenheit am Herzen. Dieses hilft ungemein dabei, sich ideelle Verknüpfungen zu erschließen und eine Meinung zu bilden. So dass die Vergangenheit keine Zukunft in sich trägt.“

Das Interview führte Roger Grahl.

Hinweis: Die Bildrechte für die dargestellte Grafik und die verwendeten Fotos liegen bei Jan Schenck.

Mehr Infos:

verbrannte-orte.de

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