Der Verfassungsschutz beobachtet die AfD jetzt als Verdachtsfall. Mehrere Medien berichten das übereinstimmend, während die Behörde sich nicht öffentlich äußert. Für die rechtsradikale Partei könnte die Beobachtung schwere Konsequenzen haben. Ihre Umfragewerte könnten weiter fallen und sie könnte ausgerechnet im Superwahljahr 2021 noch mehr Stimmen verlieren. Aber auch das Führungspersonal gerät weiter unter Druck. Parteichef Meuthen ist schon lange im Visier der Rechtsaußen-Fraktion der Partei, dass er es nicht geschafft hat, die Beobachtung zu verhindern, könnte zur Zerreißprobe werden.
Besonders überraschend ist die Entscheidung nicht. Seit ihrer Gründung 2013 hat sich die Partei immer weiter radikalisiert. Hetze gegen Migrant*innen, LGBTQ*-Menschen, Holocaust- oder NS-Relativierungen gehören zum Standardrepertoire der rechtsradikalen Partei. Und auch das Personal der AfD fällt seit Beginn immer wieder durch Nähe zu rechtsextremen Organisationen auf. Der Verfassungsschutz beobachtet bereits die Landesverbände in Thüringen, Brandenburg und seit Beginn 2021 auch den in Sachsen-Anhalt. Seit Januar 2019 ist die Bundespartei „Prüffall“, der Verfassungsschutz hat seitdem öffentliche Äußerungen und Verbindungen von Mitgliedern beobachtet. Zeitgleich wurden die Rechtsaußen-Parteiorganisation „Flügel“ und die Jugendorganisation „Junge Alternative“ zu Verdachtsfällen. „Flügel“-Chef Björn Höcke folgte einem Beschluss des Bundesvorstands und kündigte via Interview auf dem Blog des rechtsradikalen Kleinstverlegers Götz Kubitschek die Auflösung der Gruppierung an. Dabei sprach er von einer „Historisierung“ des „Flügels“ innerhalb der Partei. Offenbar glaubte Höcke – nicht zu Unrecht – dass die AfD die Positionen des Flügels mittlerweile zu ihren eigenen gemacht hat, sich also in den letzten Jahren immer weiter radikalisiert hat. Dadurch braucht es den Flügel in der Partei nicht mehr. Jörg Müller, Chef des Verfassungsschutzes in Brandenburg, sprach mit Bezug auf die Landespartei dann auch von einer „erkennbaren Verflügelung“.
Das hat sich offensichtlich auch für die Gesamtpartei bestätigt. Schon im Januar wurde bekannt, dass der Verfassungsschutz die Partei als Verdachtsfall einstufen will. Dabei beruft sich die Behörde offenbar auf ein 800-seitiges Gutachten, das in den letzten zwei Jahren erstellt wurde. Damit dürfen jetzt auch nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden – V-Leute, Obvervationen, Speicherung der Daten von Personen, Überprüfung von Telekommunikation. Die AfD hatte unter anderem gegen die Einstufung als Verdachtsfall geklagt, das bedeutet vorerst eine Beobachtung im begrenzten Umfang. Abgeordnete auf Bundes-, Länder- und Europaebene und Kandidat*innen für Abgeordnetenmandate werden nicht überwacht, solange noch zwei Eilanträge der Partei vor dem Verwaltungsgericht Köln geprüft werden. Das ist auch der Grund, warum der Verfassungsschutz die Beobachtung nicht offiziell bekannt gibt. Dem Spiegel sagte eine Sprecherin: „Mit Blick auf das laufende Verfahren und aus Respekt vor dem Gericht äußert sich das BfV in dieser Angelegenheit nicht öffentlich.“
Mindestens seit Beginn der Corona-Pandemie sinken die Umfrageergebnisse der Partei. Aktuell sehen die meisten Meinungsforschungsinstitute sie nur noch bei etwa neun Prozent bei der Bundestagswahl. Ein Verlust gegenüber den 12,6 Prozent, mit denen die Partei 2017 zum ersten mal ins Parlament einzog. Diese Zahlen stehen vermutlich auch mit den unklaren Positionierungen der Rechtsradikalen zur Krise in Zusammenhang. Mal wollte die Partei den Lockdown, dann wieder nicht und auch ihr Verhältnis zu den rechtslastigsten und verschwörungsdominierten „Querdenken“-Demonstrationen bleibt wechselhaft.
Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz dürfte keine große Hilfe sein, vielmehr könnte sie Wähler*innen abschrecken und womöglich auch Parteimitglieder vergraulen. Die dürften zwar mittlerweile gemerkt haben, dass sie Mitglied in einer rechtsradikalen Partei mit guten Verbindungen zum Rechtsextremismus sind, eine Beobachtung könnte aber Konsequenzen für Angestellte im öffentlichen Dienst und Beamt*innen haben. Ohnehin hat die Partei 2020 zum ersten mal seit 2015 Mitglieder verloren. Von 34.750 Anfang des Jahres waren am Ende nur noch etwa 32.000 übrig.
Ein ganz persönliches Problem dürfte die Beobachtung für Parteichef Jörg Meuthen sein. Von rechtsaußen gibt es schon lange Druck gegen Europaabgeordneten. Als er im April 2020 in einem Interview mit Tichys Einblick mit der Idee vorwärts preschte, aus dem „Flügel“ eine eigene Partei zu machen, hagelte es Kritik. Der Bundesvorstand veröffentlichte nach einer Telefonkonferenz eine Pressemitteilung, die einer öffentlichen Demütigung gleichkam.
Meuthen habe „eingeräumt mit seinem Interview in Tichys Einblick einen großen Fehler gemacht zu haben“ und „erklärt, die Diskussion nicht weiter zu führen“. Meuthen würde sich „zur Geschlossenheit der AfD als einheitlicher Partei“ bekennen und bekräftigen „ausschließlich in diesem Sinne gemeinsam vorzugehen.“ Gesicht wahren sieht anders aus. Meuthen wird offensichtlich zurechtgewiesen.
Und auch der Parteitag im November 2020 war nur bedingt erfolgreich für den Parteichef. Er konnte zwar seine Kandidat*innen für den Parteivorstand durchsetzen, aber das nur knapp. Ein Zeichen für die prekären Machtverhältnisse zwischen vorgeblich gemäßigten und radikalen und extremen Positionen in der Partei.
Meuthen versuchte bisher mit allen Mitteln eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu verhindern. Auch auf dem Parteitag hatte er „Provokateure“ kritisiert und zur „Disziplin“ und vor zu großer Nähe zur „Querdenken“-Bewegung gemahnt. Er erntete Buhrufe. Alexander Gauland nannte Meuten Rede „spalterisch“ und ließ wissen, dass er nicht „irgendwelche Zensuren von Jörg Meuthen für die Fraktionsführung“ brauche. Der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner wandte sich direkt an Meuten und sagte, „Dieser Weg ist ein Irrweg, dieser Weg ist falsch. Du spaltest die Partei. Komm zu uns zurück, Du hilfst nur den Altparteien.“
Jetzt ist klar: Meuthens Taktik ist nicht aufgegangen. Seine verzweifelten Versuche, die AfD als demokratische Partei zu verkaufen, die auf dem Boden des Grundgesetzes steht, hat ihm der Verfassungsschutz nicht abgenommen. Was das für die Zukunft des Noch-Parteichefs bedeutet, bleibt abzuwarten. Der Parteitag hat gezeigt, dass die angeblich gemäßigten Kräfte in der Partei nur eine haudünne Mehrheit bilden. Sollten sich jetzt noch weitere Mitglieder aus diesem Spektrum abwenden, könnten sich die Mehrheitsverhältnisse schnell zu Gunsten der Rechtsextremen wenden. Mittelfristig könnte die Partei unwählbar werden.
Es hat Jahre gedauert, bis es zur Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz gekommen ist. Das zeigt auch, dass es mehr braucht, um gegen die Bedrohung vorzugehen, die die rechtsradikale Partei für die Demokratie in Deutschland darstellt. „Wer von wehrhafter Demokratie spricht und damit nur staatliche Institutionen meint, denkt zu kurz. Eine Demokratie wird geschützt durch Demokrat*innen, Menschen mit klarer Haltung, die die Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen verweigern – in den Parlamenten ebenso wie in der gesamten Gesellschaft“, sagt Timo Reinfrank, Vorstandsvorsitzender der Amadeu Antonio Stiftung. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist höchstens ein Instrument, ein weitaus wichtigeres ist die Zivilgesellschaft, die sich eindeutig gegen Menschen- und Demokratiefeindlichkeit positionieren muss.
Foto: Flickr / vfutscher / CC BY-NC 2.0