Bei den Pandemieleugner*innen von „Querdenken“ und Co. haben Monitoring-Gruppen und Journalist*innen von Anfang an alles dokumentiert: Antisemitische Ausfälle, wahnhafte Verschwörungsideologien, Gewaltaufrufe mit Galgen auf Demos und Bedrohungsaufrufe auf Telegram, Gewalt gegen Journalist*innen und Polizist*innen, Reichsflaggen und Reichsbürger-Ideologie, rechtsextreme Teilnehmer*innen in kompletter Kampfsportgruppenmontur oder mit offener rechtsextremer Symbolik – und dazwischen biedere Bürger*innen, empörte Eltern oder hippieske „Menschheitsfamilien“-Anhänger*innen, die genau dasselbe verbreiten und glauben oder zumindest kein Problem haben mit Aufrufen zu Gewalt, Staatsstreich, Abschaffung der Demokratie oder ähnlichem.
Jetzt hat der Verfassungsschutz beschlossen, dass dies bundesweit in seinen Beobachtungsbereich fällt und beobachtet nun pandemieleugnende Gruppen zumindest in Teilen als Verdachtsfall und in Teilen als erwiesen extremistisches Beobachtungsobjekt. In den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg und Berlin war mit der Beobachtung schon in den letzten Monaten begonnen worden.
Was bedeutet die Beobachtung?
Konkret heißt das, dass der Verfassungsschutz nachrichtendienstliche Mittel einsetzen darf: das Speichern von persönlichen Daten, die Anwerbung von V-Leuten, Observieren von Treffen und in begründeten Fällen auch Kommunikationsüberwachung, also z.B. Abfangen von Emails. Auch die Durchleuchtung der Finanzen und Kontobewegungen gehört dazu – bei der dubiosen Finanzierung der „Querdenken“-Veranstaltungen sicherlich aufschlussreich.
Interessant ist dabei die Einordnung des Verfassungsschutzes: Die „Querdenken“-Bewegung gilt nun als „Sammelbeobachtungsobjekt“. Denn der Verfassungsschutz findet auf den Demonstrationen nicht nur Rechtsextreme beobachtenswert, sondern auch die Menschen, die Belltower.News in Artikeln als „Demokratiefeind*innen“ beschreibt: nicht explizit rechtsextreme Akteur*innen, die aber Menschenfeindlichkeit verbreiten und/oder den Sturz der Demokratie herbeiführen wollen. Die fallen nun in den neuen Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“.
Manko an einem neuen Bereich ist allerdings die Verfassungsschutz-Praxis, Überschneidungen zwischen Gruppen zu negieren. So werden etwa Reichsbürger*innen vom Verfassungsschutz auch in einer gesonderten Kategorie beobachtet, dann aber auch nur zu geringen Teilen auch zum rechtsextremen Spektrum gezählt, dem die meisten ideologisch aber zugehörig sind. So wird sich auch bei „Querdenken“ die Frage stellen: Wie viel Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit und Nähe zu Rechtsextremen ist nötig, um selbst als rechtsextrem zu gelten? Andererseits: Es ist gut, auch Demokratiefeindlichkeit jenseits von Rechts- und Linksextremismus und Islamismus unter Beobachtung halten zu können, wenn sie die Demokratiefeind*innen entsprechend verändern. Das Hufeisen-Modell eines „Extremismus der Ränder“, dass der Verfassungsschutz ansonsten anwendete, funktionierte in Wirklichkeit noch nie.
Aber was genau wird beobachtet? Das verrät die Behörde nicht. Es geht um Akteure innerhalb der Querdenken-Bewegung, aber auch in anderen pandemieleugnenden Gruppen. Interessant sind Akteur*innen, die mehr machen, als zu Demonstrationen aufrufen – etwa solche, die Kontakte zu Rechtsextremen und Reichsbürger*innen pflegen oder QAnon-Ideologie verbreiten –oder große Social Media-Kanäle betreiben, mit denen sie „steuernden Einfluss“ nähmen, um „das Vertrauen in staatliche Institutionen nachhaltig (zu) erschüttern“. Dies umfasst offenkundig auch „alternative“ Medien, also Blogs, YouTube-Kanäle oder Telegram-Gruppen ebenso wie Demo- oder „D-Day“-Autokorso-Organisator*innen.
Wie reagieren die Querdenker*innen?
Keine Disziplin beherrschen „Querdenker*innen“ wie die Täter-Opfer-Umkehr: So halten sie sich ja für einen Hort demokratischer Kultur und Meinungsfreiheit, während auf ihren Demonstrationen Journalist*innen und Andersdenkende verprügelt werden; sie halten die Demokratie für eine Diktatur, weil ihnen einige Maßnahmen nicht gefallen; sie halten sich selbst für vom Staat verfolgt, weil sie ein Bußgeld kassieren, wenn sie sich nicht an Schutz-Regeln halten und aus Egoismus keine Maske tragen.
Und wenn der Staat sie als Demokratiefeinde beobachtet, der Staat, den sie eh verachten und abschaffen wollen – ja, dann funktioniert die Täter-Opfer-Umkehr auch. Und zwar so: Querdenken-Gründer Michael Ballweg sagt der taz: „Der Verfassungsschutz kann uns gerne beobachten, dann kann er noch was über die Demokratie lernen.“ Es sei doch bezeichnend, dass sich der Geheimdienst eine eigene Kategorie „ausdenken musste, um friedliche Bürger zu beobachten“. In der Pressemitteilung von Ballwegs „Querdenken 711“ (Stuttgart) heißt es: „Wir sind weder Rechts- oder Links-Extremisten noch Kriminelle oder Terroristen. Aus diesem Grund ‚erfindet’ der Geheimdienst die neue, hilflose und ungelenke Kategorie des kritisch denkenden, unbequemen, mündigen Bürgers: „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Das nährt auch das Narrativ des „Widerstandes“, des „bösen Staates“ gegen „das Volk“, dass doch bloß mit (oder als?) Rechtsextremen, Reichsbürgern, Antisemit*innen und Verschwörungsgläubigen auf der Straße die Abschaffung der Demokratie und die Exekution politisch Andersdenkender fordern will.
„Querdenken Braunschweig” kommentiert dagegen vermeintliche Kooperation: „Querdenken 53 begrüßt diese Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz ausdrücklich und geht proaktiv auf das Amt zu. Wir laden die Mitarbeiter zu einem regelmäßigen, persönlichen Austausch nach Braunschweig ein. Möglicherweise können wir damit Impulse und Unterstützung geben, die dazu führen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Grundrechte aller Bürger besser vor Angriffen schützen kann.” Extremisten, das sind die Regierenden, gegen die sich verbündet werden kann, ist hier angedeutet.
Ähnlich ist der Tenor online: Die Entscheidung, die Demokratie und die Bevölkerung vor mindestens gesundheitsgefährdenden Verschwörungsgläubigen zu schützen, sei nicht weniger als „das Ende vom Rechtsstaat“ (wer hält sich nicht an die Regeln?). Querdenker-Anwalt Ralf Ludwig bringt ein weiteres, für die Bewegung wichtiges Narrativ ein: Die DDR 2.0. Er finde die Kategorie „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ korrekt, denn das mache „Querdenken“ ja: „Wir delegitimieren mit dem Protest gegen die aktuellen Einschränkungen der Freiheitsrechte die zurzeit handelnden Personen, weil sie sich aus unserer Sicht nicht an Recht und Verfassung halten. In Deutschland ist das schon einmal geschehen. Die Bürger der DDR haben das letztendlich auch gemacht. Der Staat ist 1989 zusammengebrochen, weil sich die Regierenden nicht an die eigene Verfassung gehalten haben. (…) Mit der friedlichen Revolution haben die Menschen dann eben nicht ihren Staat, sondern die damals Regierenden delegitimiert. Und das machen wir in gewissem Sinne auch – ebenfalls und ausdrücklich auf dem friedlichen Wege.” (vgl. Nordkurier). Damit hat er klar gemacht, was denn wohl auch sein „Querdenken“-Ziel wäre: Mindestens ein Regierungssturz.