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Verfassungsschutzbericht 2009 Rechtsextremismus weiter „auf hohem Niveau“

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„Der Rechtsextremismus bleibt auf hohem Niveau, aber die Zahlen steigen nicht mehr“, sagt Innenminister Thomas de Maizière bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2009 in Berlin. Dann führte er aus: „Es gibt etwas weniger Personenpotenzial, weniger Mitglieder in Parteien, die Wählerzahlen sind rückläufig und die Finanzsituation der rechtsextremen Parteien ist äußerst schlecht.“ Ist die rechtsextreme Szene also dabei, sich selbst als Problem zu minimieren? „Nein, ich kann keine Entwarnung geben“, fügt de Maizière sofort an: „Die Verankerung in kommunalen Parlamenten und Netzwerken vor Ort macht uns Sorgen. Die NPD sitzt weiter in zwei Landtagen. Die Gewalttaten bleiben auf hohem Niveau. Und mit den ‚Autonomen Nationalisten‘ schaffen es die Rechtsextremen, wieder vermehrt Jugendliche anzusprechen. Die ‚Freien Kräfte‘ machen uns mehr Sorgen als die organisierten Rechtsextremen.“

Auch Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, betonte, dass seine Behörde den Rechtsextremismus auch in Zukunft nicht vernachlässigen werde, schließlich bleibe dessen Gefahrenpotenzial hoch. Allerdings musste er auf Nachfrage doch antworten: Durch die auch im bundesweiten Verfassungsschutzbericht untermauerte Zunahme linksextremer Straftaten und den daraus resultierenden Wunsch, die linksextreme Szene stärker als in den letzten Jahren zu beobachten, würden sich „zwar keine Strukturen ändern“, es komme aber zu „Ressourcenverschiebungen“, was faktisch wohl auf ein ähnliches Resultat herauslaufen dürfte.

Beim Blick auf die Erkenntnisse des Jahres 2009 lässt sich zusammenfassend festhalten: Der Verfassungsschutz sieht

– einen Rückgang des rechtsextremen Personenpotenzials:
2009: 26.000 (2008: 30.000)
– einen leichten Anstieg der Anzahl der Neonazis (so definiert, dass sie sich positiv auf den historischen Nationalsozialismus beziehen)
2009: 5.000 (2008: 4.800)
– Eine deutliche Zunahme rechtsextremer Demonstrationen:
2009: 238 – rund doppelt so viel wie 2008
– davon waren 143 neonazistische Demonstrationen (mit NS-Bezug) – 70 Prozent mehr als im Vorjahr (2008: 80)
– 95 Demonstrationen wurden von NPD oder JN organisiert
– teilnehmerstärkste Veranstaltungen 2009: „Trauermarsch“ in Dresden mit 6.500 Teilnehmenden und „Rock für Deutschland“ in Gera mit 3.900 Teilnehmenden
Mitgliederschwund bei der NPD und der DVU
NPD: 6.800 Mitglieder (2008: 7.000)
DVU: 4.500 Mitglieder (2008: 6.000)
subkultureller Rechtsextremismus: weniger Skinheads, mehr Autonome Nationalisten und Anhänger des NS-Hatecore und NSBM (National Socialist Black Metal): gewaltbereit, aggressiv aus rassistischen, antisemitischen Gründen, gegenüber (vermeintlichen) politischen Gegnern und Polizisten
– 2009 wurde eine wichtige rechtsextreme Organisation verboten: Die „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ)
ein Todesopfer rechtsextremer Gewalt 2009: Marwa El-Sherbini
– und 5 versuchte Tötungsdelikte (2008: 4)
– einen leichten Rückgang rechtsextremer Straftaten um 5,8 Prozent
2009: 19.468 (2008: 20.422)
– 81,5 Prozent davon waren Propagandadelikte oder Volksverhetzung
– einen Rückgang rechtsextremer Gewalttaten um 14,5 Prozent
2009: 959 (2008: 1.113)

– davon waren 738 Körperverletzungen (2008: 893), 18 Brandstiftungen (2008: 29)
– einen leichten Rückgang der Delikte gegen „vermeitliche Linksextremisten“
2009: 300 (2008: 358)
oder „sonstige politische Gegner“
2009: 55 (2008: 74)
– die meisten rechtsextremen Straftaten gab es in Brandenburg (2,74 pro 100.000 Einwohner), die wenigsten in Hessen (0,36 pro 100.000 Einwohner)
– eine leichte Zunahme rechtsextremer Organisationen auf 195 (2008: 156)
– einen leichten Rückgang subkultureller, gewaltbereiter Rechtsextremer
2009: 9.000 (2008: 9.500)
– eine Zunahme periodischer rechtsextremer Publikationen
2009: 82 (2008: 78)
– verblüffenderweise verweist der Verfassungsschutzbericht auf 1.000 rechtsextreme Internetseiten, obwohl ihre eigenen Unterorganisation Jugendschutz.net schon Mitte 2009 von 1.800 rechtsextremen Internetseiten sprach
– Verfassungsschutz sieht keine rechtsterroristischen Strukturen (übrigens auch keine linksterroristischen)
Neonazi-Szene: einerseits politisch-inhaltliche Betätigung mit dem Versuch einer Mimikri (Soziale Frage etc.), die durch die Fixierung auf den historischen Nationalsozialismus allerdings misslingt; Zunahme von „Wehrsport-Aktivitäten“, die Kampf im Gelände simulieren
Autonome Nationalisten„: inzwischen lassen sich mehr als 10 Prozent der Neonazi-Szene zurechnen. Die anfängliche kritische Position der AN zum Bezug auf den historischen Nationalsozialismus hat sich deutlich gewandelt – jetzt haben sich die AN inhaltlich dem „klassischen“ deutschen Neonazismus angenähert; dafür übernimmt die Szene zunehmend den AN-Kleidungsstil – eine zunehmende Verzahnung in beide Richtungen
NPD bei Wahlen 2009:
– Landtagswahl Hessen 0,9 %
– Kommunalwahlen in Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen:
180 Kommunalmandate für die NPD, davon 13 im Westen
– Landtagswahl Sachsen: 5,6 %
– Landtagswahl Thüringen: 4,3 %
– Landtagswahl Saarland: 1,5 %
– Landtagswahl Brandenburg: 2,5 %
– Landtagswahl Schleswig-Holstein: 0,9 %
– Bundestagswahl: 1,5 %
DVU bei Wahlen 2009
– Europawahl: 0,4 %
– Bundestagswahl: 0,1 %
– Landtagswahl Brandenburg: 1,2 %
– leichter Mitgliederzuwachs der NPD-Jugendorganisation JN
2009: 430 (2008: 400)
Rechtsextreme Musikszene:
– leichte Zunahme rechtsextremer Bands
2009: 151 (2008: 146)
– 15 % der rechtsextremen Bands sind NS-Hatecore-Bands (NSHC)
– 33 rechtsextreme Liedermacher (2008: 30)
– Konzerte rechtsextremer Bands
2009: 125 (2008: 127)
– rechtsextreme Liederabende:
2009: 38 (2008: 30)
– 34 Konzerte wurden im Vorfeld verhindert, 25 Konzerte aufgelöst
– 42 Auftritte rechtsextremer Bands im Rahmenprogramm von politischen Veranstaltungen (2008: 50)
– stilistisch aktuell viele Bands des „National Socialist Black Metal“ (NSBM)
– verwenden Metal-szenetypische neuheidnische und antichristliche Elemente
– rechtsextreme Ausrichtung ist nicht den Liedtexten, sondern den Äußerungen der Protagonisten in Internetbeiträgen und auf ihren Homepages und Fanzines
– leichter Rückgang rechtsextremer Musikversände, Internethändler und Szeneläden
2009: 68 (2008: 75)
– als parteiunabhängige Organisationen, die sich um eine Intellektualisierung des Rechtsextremismus bemühen, nennt der Verfassungsschutzbericht 2009 das „Thule-Seminar“, die „Deutsche Akademie“ – Netzwerk „Sache des Volkes“ (SdV) und die „Kontinent Europa Stiftung“ (KES), bescheinigt aber allen Misserfolg
– 2009 gab es 31 bundesweit tätig rechtsextreme Verlage und Vertriebsdienste, die nicht an eine Partei oder Organisation angebunden sind. Der Bericht nennt den „Nation Europa Verlag„, den „Arndt-Verlag“, den „Grabert-Verlag“ / „Hohenrain-Verlag„, die „Verlagsgesellschaft Berg“ und die „Gesellschaft für freie Publizistik“

Mehr im Internet:

| Verfassungsschutzbericht 2009 – Vorabfassung

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