Innenminister Horst Seehofer hat einmal mehr Rechtsextremismus und Antisemitismus als „die größten Bedrohungen für die Sicherheit in Deutschland“ benannt. Und wieder bestätigt er der Regierung nach den tödlichen Anschlägen in Kassel, Hanau und Halle „entschlossen reagiert“ zu haben. Sehr viele unterschiedliche Maßnahmen seien getroffen worden, um „die Bürger und die Demokratie zu schützen“. Dass eine Menge dieser Maßnahmen, wie etwa das Demokratiefördergesetz und selbst das Vorhaben den Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen, ausgerechnet am Widerstand der CDU gescheitert sind, erwähnt der Minister nicht. Viel ist nicht mehr übrig vom großen Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus, das Seehofer so gerne lobt.
Immerhin ist dem Verfassungsschutz die Gefahr, die von der „Querdenken“-Bewegung ausgeht, mittlerweile bewusst: „Rechtsextreme konnten wiederholt an der Seite von bürgerlichen Demonstranten“ teilnehmen, so der Minister. Das führt zu einer Normalisierung von rechtsextremen Gedankengut. „Besonders besorgt muss uns machen, dass die bürgerlichen Demonstranten, sich nicht von den rechtsextremen Demonstranten distanziert“ haben, sagt Seehofer und spricht von einer „besonderen Sicherheitslage wegen der Pandemie“.
Als neue Kategorie hat es mittlerweile auch die sogenannte „neue“ Rechte in den Verfassungsschutzbericht geschafft. Laut Horst Seehofer versuche sie mit „pseudointellektuellen Anstrich ihr Gedankengut in den politischen Diskurs einzubringen und die Grenzen des Sagbaren zu verschieben“. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang ergänzt, dass es der angeblich „neuen“ Rechten darum ginge, „antiliberale und antidemokratische Positionen“ durchzusetzen und benennt dabei besonders die „Identitäre Bewegung“, das Compact-Magazin, das Institut für Staatspolitik (IfS) mit dem Antaios Verlag, die rechtsextreme Kampagnenagentur „EinProzent“ und das extrem islamfeindliche Blog „PI-News“. Tatsächlich sind fast all diese Akteure schon mehr oder weniger lang im Visier der Behörde, erst jetzt werden sie offenbar zusammengefasst. Das ist soweit richtig, es ist allerdings eine späte Erkenntnis. Immerhin feierte das IfS schon im vergangenen Jahr sein zwanzigstes Jubiläum.
Immer wieder geht es auch um Verschwörungserzählungen, in diesem Zusammenhang diene das „Internet als Echokammer für Hass und Hetze“, als Verstärker und Radikalisierungsmotor. Besonders in Zeiten der Pandemie, die diese Entwicklungen laut Seehofer begünstige. Auch „Reichsbürger und Selbstverwalter“ hätten die „Pandemie sehr aktiv für die Verbreitung ihrer Verschwörungserzählungen genutzt“. Kein Wunder also, dass die Personenanzahl im aktuellen Bericht im Vergleich zu den Vorjahren um fünf Prozent gewachsen sei. Seehofer benennt auch hier einen Zusammenhang zum „Querdenken“-Milieu, denn das Wachstum sei „eindeutig auf das Protestgeschehen um die Pandemie zurückzuführen“.
Auf die verschwörungsoffenen Pandemieleugner:innen geht auch Haldenwang nochmals ein und differenziert, das Interesse der Behörde gelte nicht „einer kritischen Einstellung, sondern Gewaltaufrufen“. Solche gibt es immer wieder. Erst im April wurde in den diversen Telegramgruppen der Bewegung eine „Todesliste deutscher Politiker“ herumgereicht. Der Verfassungsschutzpräsident spricht von einer „zunehmenden Radikalisierung“ und sagt, dass die Bewegung das „Vertrauen in staatliche Institutionen und ihre Vertreter“ gefährde. Extra für die Bewegung wurde sogar ein neuer Phänomenbereich geschaffen: „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“.
Haldenwang betont auch die Rolle von Antisemitismus. Der Anschlag auf die Ulmer Synagoge und die israelfeindlichen Demonstrationen, die in unterschiedlichen extremen Spektren auf Zustimmung gestoßen seien, sind für den Verfassungsschutzpräsidenten ein erneuter Beleg dafür, dass „Antisemitismus eine Klammer ist, die diverse Extremisten vereint“. Und auch die „Coronapandemie bringt antisemitische Verschwörungserzählungen hervor“, so Haldenwang.
Sowohl Seehofer als auch Haldenwang erwähnen in ihren Zusammenfassungen die Terrortat von Dresden im Oktober 2020 als islamistisches Attentat. Beide ignorieren aber das Motiv Homofeindlichkeit. Der Verfassungsschutzpräsident beschreibt die Tat so: „Zwei Männer wurden mit einem Messer angegriffen, einer starb, der andere wurde verletzt.“ Dass es sich bei den beiden Männern um ein schwules Paar gehandelt hat und dass homofeindlicher Hass das Motiv für die Attacke war, ist in der Pressekonferenz kein Thema. Kein Wunder. Nicht ein einziges Mitglied der Bundesregierung nahm an einer Gedenkveranstaltung des CSD-Dresdens für das Opfer des Angriffs teil. Ein Statement der Regierung zum homofeindlichen Motiv steht bis heute aus.