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Vergleichsweise falsch Antisemitismus und der Apartheidvergleich

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(Quelle: Taylor Brandon/Unsplash)

Israelhass ist wieder in. Israelhass verbindet disparate Milieus und bringt sie gemeinsam auf die Straße. Und Israelhass trifft auf einen fruchtbaren Boden. Denn antiisraelische Ressentiments sind weit verbreitet. Israel hat keinen guten Stand in Deutschland. Jede*r dritte Deutsche stimmt einer neuen Studie von Bertelsmann zufolge der Aussage zu, „Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip nichts anderes, als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben.”

Die Documenta Fifteen und die Debatte um die antisemitischen Kunstwerke hat gezeigt, dass diese Gesellschaft keinen guten Umgang mit Antisemitismus hat. Die Mahnungen und Warnungen von jüdischen Verbänden und Organisationen wurden weder im Vorfeld noch währenddessen angemessen ernst genommen. Sie wurden ignoriert. Diese Ignoranz ist für Jüdinnen*Juden alarmierend. Sie macht wütend und ist gleichzeitig auch beängstigend, denn trotz permanenter Warnungen wurde Antisemitismus wieder einmal toleriert und auf der Kunstschau eine Bühne bereitet. Und das blieb konsequenzlos. Lediglich ein einziges Kunstwerk war für die deutsche Öffentlichkeit unzumutbar und musste abgehängt werden. Alle anderen, so der Tenor, waren folglich zumutbar, drückten nur ein bisschen Antisemitismus aus, einen, den man gefälligst aushalten müsste. Sie erinnern sich: Gleichsetzungen mit dem Nationalsozialismus, israelische Soldaten mit Hakennase, antiisraelische Propagandavideos: Das alles galt in dieser Debatte als halb so wild, als etwas, was man kleinreden und relativieren kann. Denn es handelt sich hier mal wieder „nur” um israelbezogenen Antisemitismus – oder um es mit den Worten der Verharmloser zu sagen: Das soll noch legitime Israelkritik sein.

Gerade israelbezogener Antisemitismus wird zum Streitfall erklärt, wird beschönigt. Aber egal, ob auf Twitter, in den Nachrichten oder auf der Straße: Israelhass ist keine Lappalie, sondern brandgefährlich. Die Demonstrationen im Mai und Juni 2021 und 2022 haben das deutlich gezeigt. Da wurde vor deutschen Synagogen gegen Israel gehetzt, Journalist*innen wurden als „Zionistenpresse” beschimpft und Jüdinnen*Juden offen antisemitisch angegangen.

Für uns und unsere tägliche Arbeit sind die Entwicklungen nicht nur eine Mahnung, sondern auch eine Pflicht; eine Pflicht gegen jeden Antisemitismus vorzugehen, egal ob es sich um Verschwörungserzählungen oder Israelhass handelt. Und wir müssen das gemeinsam tun und an einem Strang ziehen. Wenn ich hier und jetzt von „wir” rede, dann meine ich auch und ganz besonders die Organisationen und Interessierten, die dieses Fachforum heute organisieren und mittragen, die mitdiskutieren und mitdenken wollen. Wir können es uns nicht leisten, dass diese Allianzen auseinandergehen, dass Konsense bröckeln, wenn es um israelbezogenen Antisemitismus geht, dass Bündnisse zerfallen und die Antisemitismuskritik angreifbar wird. Gemeinsam ist es unsere Aufgabe, jeden Antisemitismus zu stoppen. Sicher, wir müssen uns nicht immer einig sein. Dissenz und Streit sind notwendig, manchmal sogar geboten. Wir müssen und sollten vielleicht sogar mehr in den Disput gehen, selbstkritischer sein, um die Debatte voranzutreiben und Punkte zu schärfen. Wir sollten uns aber einig sein über die roten Linien, dass wir zum Beispiel nicht antisemitische Positionen als diskussionswürdig darstellen und damit selbst die Grenzen verwischen.

Wir müssen Antisemitismus erkennbar machen. Das klingt banal! Wir erleben aber, dass die Debatten der letzten Jahre die Antisemitismusbekämpfung erschwerten. Die Angriffe auf die IHRA-Arbeitsdefinition samt Einführung einer unbrauchbaren Alternative, das Eintreten für eine sogenannte legitime Israelkritik, das Relativieren des Antisemitismus auf der Documenta, weil es sich hier um den sogenannten „Globalen Süden” handele: Das alles drückt sich in der Praxis, zum Beispiel in Workshops, durch Unsicherheit aus. Israelhass wurde so oft zum Streitfall erklärt, dass Teilnehmer*innen, die kaum Vorwissen haben, nur eines wissen: Es ist wahnsinnig kompliziert, israelbezogenen Antisemitismus zu bestimmen. Aber das stimmt nicht. Es gibt Kriterien, mit denen israelbezogener Antisemitismus erkannt und bestimmt werden kann. Wir alle haben vermutlich schon erlebt, dass jemand den Satz sagt: „Man wird ja wohl noch sagen dürfen…” und dann israelbezogenen Antisemitismus verbreitet. Das außergewöhnliche und einzigartige Bedürfnis danach, Israel kritisieren zu dürfen, macht Israelhass salonfähig. Die Grenzen des Sagbaren sind längst verschoben.

Die Documenta hat einmal mehr gezeigt, dass der Nahostkonflikt zum Anlass für Antisemitismus genommen wird. Oder anders gesagt: Der Nahostkonflikt wird antisemitisch verarbeitet. Über diesen Zusammenhang von Israelhass und Judenhass müssen wir nachdenken und aufklären.

Aber schockiert hat die Documenta nicht nur, weil hier an etlichen Stellen Antisemitismus ausgestellt wurde, sondern auch, weil der Umgang damit ein Schlag ins Gesicht derer war, die von Antisemitismus betroffen sind. „Jews don’t count” nannte der englische Comedian David Baddiel sein Buch über den Antisemitismus progressiver Milieus. Es passt leider allzu gut zur Documenta. Jüdinnen*Juden zählten nicht, nicht mit ihren Sorgen, ihren Mahnungen, nicht mit ihren Expertisen.

Dass Teile des Kuratoriums jetzt eine Gastprofessur in Hamburg antraten, ist ein weiterer Skandal, der den Mahnenden zeigt, dass es konsequenzlos bleibt, wenn Antisemitismus eine Bühne bereitet wird. Das ist kein Anfang eines Dialogs, sondern der nächste Akt in diesem Stück deutscher Antisemitismusgeschichte.

Der israelbezogene Antisemitismus will Israel von der Landkarte löschen. Dafür wird das Land delegitimiert und dämonisiert. Der Apartheid-Vorwurf spielt hier eine wichtige Rolle. Vor allem auch, weil man sich hier zusammen mit namhaften NGOs auf der Seite der Guten wähnt, und im Kampf gegen das Böse. Das gezeichnete Feindbild stiftet also auch ein Selbstbild. Antisemitismus ist sinn- und gemeinschaftsstiftend – das war er schon immer. Antisemit*innen hielten sich jeher für die Guten.

Wir tun gut daran, diesen Apartheid-Vorwurf nicht nur zu kontern, sondern auch seine Funktion zu diskutieren. Und Strategien zu finden, wie wir ihm begegnen – sowohl in öffentlichen Debatten als auch in unserer Arbeit.

Die diesjährige Kampagne der Aktionswochen gegen Antisemitismus betont, dass sich Israelhass und Judenhass nicht trennen lassen! Die Trennung ist falsch und sie ist fatal. Sie ist falsch, weil Israelhass immer auch Judenhass ist. Israel wird gesagt, Juden und Jüdinnen sind gemeint. Die Wörter „Israel” und „Zionisten” sind vielfach zum antisemitischen Code verkommen. Und die Trennung ist fatal, weil sie suggeriert, es gäbe einen guten und einen schlechten Antisemitismus, jedenfalles einen, der noch zumutbar sein soll. Aber israelbezogener Antisemitismus ist keine Lappalie. Er hat Folgen und Nebenwirkungen für Jüdinnen*Juden hier vor Ort. Sicher: Die Trennung erfüllt einen Zweck, nämlich Antisemitismusvorwürfe pauschal abzuwehren. An der documenta sieht man das gut. Stoppen wir gemeinsam jeden Antisemitismus.

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