Ein rassistischer Vorfall aus Berlin sorgt derzeit für Aufsehen und lenkt gleichzeitig einen kritischen Blick auf Medien: Am vergangenen Samstag, dem 5. Februar, ist die 17-jährige Dilan S. im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg an einer Straßenbahnhaltestelle von drei Männern und drei Frauen beleidigt und körperlich attackiert worden. In einer Pressemitteilung der Polizei von Sonntag ist zu lesen, es habe sich um einen eskalierten Streit wegen fehlender Mund-Nasen-Bedeckung der 17-Jährigen gehandelt. Die Situation sei außer Kontrolle geraten, weil die sechs Erwachsenen „die Jugendliche auf ihre fehlende Mund-Nase-Bedeckung angesprochen hätten.“ Viele Medien übernahmen diese Darstellung unkritisch.
Nun hat sich Dilan S. selbst zu Wort gemeldet, mit einem Video aus ihrem Krankenbett im Krankenhaus. Ihre Schilderungen des Vorfalls zeichnen ein gänzlich anderes Bild. Demnach handelte es sich um einen rassistischen Angriff. „Ich wurde gestern zusammengeschlagen, weil ich Ausländerin bin“, beginnt sie. „Weil die Presse mir keine andere Wahl lässt, die Wahrheit verdreht und Lügen über mich verbreitet, muss ich mich so an die Öffentlichkeit wenden“, fährt sie fort. Detailreich schildert die junge Frau den Vorfall. Zunächst sei sie in der Straßenbahn von drei alkoholisierten Personen, zwei Frauen und einem Mann, rassistisch beleidigt worden. Die 17-Jährige sollte sich „ganz nach hinten verpissen“, erzählte Dilan, die während der Konfrontation mit ihrer Mutter telefonierte.
Die junge Frau schildert, dass sie von zwei Frauen und einem Mann mehrfach als „Drecksausländerin“ beschimpft und angepöbelt worden sei. Nach dem Aussteigen sei sie festgehalten worden, sechs Männer und Frauen hätten auf sie eingeprügelt und eingetreten, ihr gegen den Kopf geschlagen, an ihren Haaren gezogen und sie weiter rassistisch beschimpft. „Immer wieder erinnere ich mich an den Hass in ihren Augen.“
Während sie das Erlebte Revue passieren lässt, bricht die 17-Jährige immer wieder in Tränen aus. Als sie und die Gruppe an der Haltestelle Greifswalder Straße ausstiegen, soll eine der drei Frauen die Jugendliche ins Gesicht geschlagen und mehrmals versucht haben, sie zu treten. Außerdem habe sie entgegen zahlreicher Medienberichte sehr wohl einen Mund-Nasen-Schutz getragen, die anderen drei Personen allerdings nicht.
Dennoch übernahm die Polizei das rassistische Motiv in einer ersten Meldung nicht. Dilan gelang es Teile der Gewaltattacke mit ihrem Handy zu filmen. Dadurch erkannten die Ermittlungsbehörden einen Mann aus einem vorherigen Polizeieinsatz in einer Kneipe. Die erste Polizeimitteilung von Sonntagnachmittag hat die Behörde am Dienstagabend noch ergänzt, von „rassistischer Beleidigung und Körperverletzung“ geschrieben und Zeug:innen aufgefordert, sich zu melden.
Dilan S. ist erschüttert von der Gewalteskalation der Täter:innen. Genauso erschrocken ist sie über den Umstand, dass ihr niemand der Umstehenden zur Hilfe geeilt ist. „Ich habe geschrien und gefragt, warum mir keiner hilft“, erzählt sie. Auf ihrer Videoaufnahme kann man erkennen, dass einige Personen in unmittelbarer Nähe zum Geschehen standen. Doch keiner schritt ein. „Ich habe gebettelt um Hilfe.“ Dilan wurde mit einer Gehirnerschütterung und etlichen Prellungen in ein Krankenhaus gebracht.
Wir wünschen Dilan S. eine schnelle Genesung und dass sie sich schnell sowohl von ihren physischen wie auch psychischen Gewalttaten erholen kann.
Für viele Betroffene gehören rassistische und antisemitische Angriffe leider zum Alltag. Laut Bundesinnenministerium gab es 2020 5.298 rassistische Straftaten. Der Verband der Beratungsstellen zählt drei bis vier Opfer rechter Gewalt täglich, fast ein Fünftel davon betrifft besonders schutzbedürftige Kinder und Jugendliche. Die Botschaft, die mit rassistischen Angriffen transportiert werden sollen, ist für alle Betroffenen von rechter Gewalt klar: Leute wie du, sind hier nicht erwünscht. So wirkt ein Angriff über die Verletzungen des Einzelnen hinaus. Denn die Betroffenen werden stellvertretend für eine ganze Personengruppe angegriffen. Daher dürfen rechte Angriffe nie als bloße Gewalttaten gewertet werden. Sie wirken sich über das einzelne Opfer auf eine ganze Gruppe aus.
Um so wichtiger ist es, als Zeug:in eines solchen rassistischen oder antisemitischen Vorfalls Haltung zu zeigen. Für die Opfer ist das Verhalten von Passanten oder anderen Zeug:innen von zentraler Bedeutung. Greift niemand ein, wird dies als Desinteresse an der Tat oder als Zustimmung für das Verhalten der Täter:innen gewertet.
Damit Ihnen das nicht passiert, haben wir 10 Tipps zusammengestellt, was Sie tun können, wenn Sie einen rassistischen Angriff beobachten – immer und überall:
1. Handeln Sie!
Am wichtigsten ist es, überhaupt zu handeln. Schreiten Sie ein. Stehen Sie dem Opfer oder den Opfern bei Seite. Reagieren Sie nach Möglichkeit immer und sofort. Warten Sie nicht, dass ein anderer hilft. Je länger Sie zögern, desto schwieriger wird es, überhaupt einzugreifen.
2. Halten Sie zum Opfer!
Bauen Sie Blickkontakt zur betroffenen Person auf. Das kann helfen, die Angst zu vermindern. Sprechen Sie die Person direkt an: „Ich helfe Ihnen“, „Was will der/die von Ihnen?“ „Wie geht es Ihnen?“, oder „Kann ich helfen?“. So vermitteln Sie dem Opfer, dass Sie an seiner Seite stehen.
Grundsätzlich ist es wichtiger, dem Opfer beizustehen, als sich mit dem*r Täter*in auseinanderzusetzen.
3. Holen Sie Hilfe!
Wer Angst hat, selbst angegriffen zu werden, kann die Polizei rufen (110). Ereignet sich der Vorfall in einem öffentlichen Verkehrsmittel, kann auch das Ziehen der Notbremse eine Lösung sein. Hier können Sie auch den oder die Fahrer:in alarmieren und um Hilfe bitten.
4. Verunsichern Sie den:die Täter:in!
Machen Sie Umstehende auf die Situation aufmerksam. Schreien Sie zum Beispiel laut „Stopp“, „Aufhören“ oder „Feuer“, darauf dürfte wohl jede:r reagieren. Oder schreien Sie einfach laut und schrill. Das geht auch, wenn Sie gerade nicht wissen, was Sie sagen sollen. So können Sie den/die Angreifer:innen irritieren, die dann gegebenenfalls vom Opfer ablassen.
5. Erzeugen Sie Aufmerksamkeit!
Sprechen Sie andere Zuschauer:innen persönlich an. Ziehen Sie die Umstehenden in die Verantwortung: „Sie in der gelben Jacke, können Sie bitte den:die Busfahrer:in rufen“ oder „Können Sie uns bitte helfen, diese Person ist gerade übelst rassistisch“. Sprechen Sie laut. Die Stimme gibt Selbstvertrauen und ermutigt andere zum Einschreiten.
6. Auf der verbalen Ebene bleiben!
Begeben Sie sich nicht unnötig in Gefahr. Berühren Sie den:die Täter:in nicht, es könnte sonst schnell als Provokation gewertet werden. Und lassen auch Sie sich nicht vom Täter oder von den Täter:innen provozieren. Bleiben Sie immer nur auf der verbalen Ebene.
7. Provozieren Sie den Täter nicht!
Damit die Situation nicht weiter eskaliere, sollten Sie ruhig und bestimmt auftreten und auf keinen Fall aggressiv reagieren. Duzen Sie den:die Täter:in nicht, damit andere nicht denken, dass Sie einander kennen. Kritisieren Sie das Verhalten der Angreifer:innen, aber nicht ihre Person.
8. Beobachten Sie genau!
Beobachten Sie die Situation genau und merken Sie sich Gesichter, Kleidung und Fluchtwege der Täter:innen. Gegebenenfalls können sie den Vorfall auch mit einer Handykamera filmen. All diese Hinweise können der Polizei helfen, den oder die Täter zu schnappen und dient der Justiz bei einer Verurteilung der Angreifer:innen. Das kann für eine spätere Anzeige und ein Verfahren gegen den/die Täter:innen relevant sein.
9. Als Zeug:in anbieten!
Erstatten Sie nach Absprache mit dem/den Opfern Anzeige. Sie können der angegriffenen Person anbieten, als Augenzeug:in aufzutreten. Geben Sie dem/den Opfern ihre Kontaktdaten. Es kann helfen, kurz nach der Tat ein Gedächtnisprotokoll anzufertigen, das den Ablauf und die Umstände des Angriffs mit allen Details enthält. Notieren Sie möglichst zeitnah das Tatgeschehen aus Ihrem persönlichen Erleben. Das Gedächtnisprotokoll dient als Erinnerungsstütze bei späteren Vernehmungen oder als Vorbereitung für die oft viele Monate bis Jahre später stattfindende Gerichtsverhandlung. Viele potenzielle Zeug:innen glauben zunächst, dass sie bestimmte Augenblicke nie vergessen werden. Erfahrungsgemäß werden jedoch häufig eigene Erinnerungen mit eigenen Schlussfolgerungen oder mit den Erzählungen Anderer vermischt.
10. Betroffene nach dem Angriff nicht alleine lassen!
Ganz wichtig ist es, dass wir den Betroffenen nach der Tat signalisieren, dass wir für ihn oder sie da sind, indem wir unsere Unterstützung und Hilfe anbieten. Dabei sollten wir darauf achten, die Betroffenen nicht zu bevormunden, sondern nur Angebote zu machen.