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„Verliebt, aber in einen Neonazi“ – ein unpolitisches Problem?

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"Hilfe! Ich liebe einen Nazi!". In Internetforen finden sich nicht wenige Threads, in denen zu dem Thema nach Rat gesucht wird. (Quelle: Screenshot)

„Hilfe! Ich Liebe einen Nazi!“, heißt es in einem Internetforum, oder „In einen Nazi verliebt – was jetzt?“. Im Internet finden sich einige Diskussionen, die sich mit dem Problem auseinander setzen, in einen Neonazi verliebt zu sein. Dabei sind es meistens jugendliche Mädchen, die in Internetforen oder bei Beratungsstellen nach Rat suchen und das Gefühl haben, sich in einer auswegslosen Situation zu befinden. Die Feststellung, in eine Person verliebt zu sein, die eine rechtsextreme Einstellung hat, kommt für viele oftmals als Schock. Ähnlich wie bei Eltern, die merken, dass ihr Kind rassistische, antisemitische und/oder andere diskriminierende Positionen vertritt, wird eine neue, vorher unbekannte Seite der Person entdeckt.

Ablehnung nicht selbstverständlich

Doch die Ablehnung dieser neuen Seite des Partners ist keine Selbstverständlichkeit. Oft wollen die Betroffenen nicht akzeptieren, dass der Partner politische Einstellungen hat, die mit der eigenen unvereinbar sind und längerfristig zu Problemen oder sogar Bedrohungen führen kann. Durch verschiedene Rechtfertigungsversuche wird dann an der Liebe festgehalten. „Es sind zwei Positionen, die im Widerstreit stehen“, sagt Martin Ziegenhagen von der Online Beratung gegen Rechtsextremismus (OBR). Manche versuchen die rechtsextreme Gesinnung des Freundes oder der Freundin zu verharmlosen und Verständnis dafür aufzubringen. So schreibt eine Userin, die im Internetforum „Liebeskummer.ch“ nach Rat im Umgang mit einem Jungen sucht, in den sie sich verliebt hat und der rechtsextrem eingestellt ist: „Und auch wenn es komisch klingt… ich habe nicht wirklich ein Problem damit [seiner rechtsextremen Position]“. In einem anderen Forum schreibt die Userin „MissMisery“: „Ich bin auch mit ein paar Nazis befreundet und habe eigentlich keine Probleme gehabt…“.

Doch bei den Ratschlägen anderer Nutzer wird eine bewusste Verharmlosung deutlich. „Mini25“ schreibt zum Beispiel: „Mich würde mal interessieren was ihr geantwortet hättet , wenn das thema heißen würde ‚verliebt aber er ist ein moslem ‚ und nun sagt mir nicht das kann man nicht miteinander vergleichen ..ich denke nämlich schon …oder im grunde könnte man auch schreiben ‚verliebt aber er ist ein amerikaner ‚ (also nur für die es nicht wissen , die sind größtenteils auch ‚ausländerfeindlich‘ )“. In einem anderen Forum heißt es: „Mann muss sagen das viele Ausländer ihr Fehlverhalten an den Tag gelegt haben und das viele Staatsbürger dadurch erschrocken und verärgert werden zumal der Staat diese Verhalten auch noch unterstützt“, während im selben Forum die Userin „niceGIRL1989“ zwischen verschiedenen rechten Argumenten zu unterscheiden versucht und meint, es gebe „ja noch die Leute, die nur was gegen Ausländer haben, die sich nicht benehmen können“. Das finde sie gerechtfertigt, denn obwohl sie „absolut nicht rechts eingestellt“ sei, kriege sie einen Hals, wenn sie sehe „was sich manche Ausländer (insbesondere die Türken) in unserem Land so rausnehmen wollen, ohne es auch nur ansatzweise verdient zu haben“. Was Hitler angeht, so müsse er ja auch einige gute Dinge getan haben, „sonst wäre er schließlich auch nie so weit gekommen“.

Eine andere Herangehensweise ist die Trennung von Politik und Liebe. Einige Ratschläge, die sich in den Internetforen finden, argumentieren damit, dass die Liebe irrational, emotional und komplett unpolitisch ist. Es sei daher unwichtig (für die Beziehung), welcher Gesinnung der Lebenspartner*in angehöre. Ein User schreibt dazu, „die geschichte ist voll mit storys von liebespaaren die nicht zusammengehören (romeo und julia königskinder etc.) und sich trotzdem treffen und verlieben … am würzigsten sind immer die, wo es absolut gegensätzlich läuft..“. Viel unkomplizierter dagegen ist die Herangehensweise von „Refa89“, der/die schreibt dass die betroffene Person ihren Partner als Mensch sehen sollte und das ohne politischen Hintergrund, denn: „Gegen Liebe kannst du sowieso nichts machen …“.

Gefahr der eigenen Radikalisierung

Es gibt leider keine einfache und reibungslose Lösung, wenn sich jemand in einen Neonazi verliebt hat. So sind viele im Moment des Verliebtseins geneigt, auch Handlungen gutzuheißen oder auszuführen, die sie ansosten eher ablehnen würden. So finden sich im Internet viele User*innen, die dazu raten, dem Beziehungspartner nicht sofort den Rücken zuzukehren, sondern zu versuchen, ihn oder sie zu beeinflussen und aufzuklären. Doch dabei geraten Gefahren, die solch eine Beziehung mit sich bringt, oft in den Hintergrund. Martin Ziegenhagen erklärt: „Die Liebe kann ein Ausstiegsgrund sein – aber auch ein Einstiegsgrund“. Die Radikalisierung und der Einstieg in die Szene passierten oft schleichend, erklärt Ziegenhagen. Die Gefahr für eine Radikalisierung stuft Ziegenhagen als sehr hoch ein: „Die Einstiegsprozesse gleichen denen anderer Szenen, doch das Gewaltpotenzial und die Bedrohung der rechtsextremen Szene sind viel größer“. Die Neonazi-Szene besitzt eigene Mechanismen und Dynamiken, die Sympathiasant*innen schnell eintauchen lassen. Vielmehr noch: Im Gegensatz zu anderen Szenen ziele diese rechtsextreme genau auf solche Einstiege ab und sei kaum durchlässig. „Hier wird es sehr schnell sehr gefährlich und die Wege hinaus aus der Szene sind sehr schwer.“

Das Problem erkennen und Beratung suchen

Die Online Beratung gegen Rechtsextremismus versucht, den Ansatz schon viel früher zu setzen und politische Bildung und Wissensvermittlung auch bei der Person zu betreiben, die sich mit dem Problem an sie gewendet hat. Die entscheidende Frage für betroffene Personen sei: „Ist es möglich, Jemanden weiter zu lieben, während man bestimmt Aspekte seiner Persönlichkeit und Einstellung außen vor lässt?“ Die Entscheidung könne man den Personen allerdings nicht abnehmen, erklärt Ziegenhagen, die müsse sie aus Eigeninitiative entwickeln. Die Beratung richtet sich dabei nach den Zielen, die sich die betroffenen Personen selbst stellen. Die können in der Beratung geklärt werden: Was für eine Situation liegt vor? Welche Probleme können daraus entstehen? Und mit welcher Erwartung wendet sich die Person an die Beratung? Die Online Beratung geht dadurch vor allem auf die individuelle Situation des betroffenen Menschen ein, da die Aufklärung und Aufarbeitung oftmals schon bei ihnen selbst beginnt. „Wir gehen sehr vorsichtig damit um, wir müssen berücksichtigen was die Leute mitbringen, wo sie stehen, was für Ressourcen, politisches Verständnis und eigene Haltung vorhanden sind und wo man zum Nachdenken anregen muss“, sagt Ziegenhagen. Diese Form der Beratung gehe nicht ohne politische Bildung und Wissenvermittlung, die bei der Entwicklung einer eigenen Haltung helfen soll. „Es ist wichtig, die Leute da abzuholen, wo sie stehen. Grundsätzlich kommen Leute, die sich erstmal mit einer guten Absicht an uns wenden“.

Die Liebe soll unpolitisch sein – wieso?

Die Argumentation, eine Auseinandersetzung mit der politischen Einstellung des Partners sei nicht notwendig, ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Die Liebe soll unpolitisch sein, aber warum? Und kann sie das überhaupt? Die Antworten aus den Internetforen zeigen deutlich, dass die Diskussionen zu dem Thema immer auch von politischen Positionen geprägt sind. Denn die Rechtfertigung oder Verharmlosung rechtsextremer Positionen geht oft mit einem Verständnis oder sogar Bekenntnis zu eben dieser Einstellung einher. Ratschläge, die von einer Weiterführung der Beziehung abraten, argumentieren ebenfalls mit politischen Argumenten.

Gerade das Argument, dass eine Liebesbeziehung unpolitisch und daher neutral ist, spricht dafür, sich gegen eine rechtsextreme Gesinnung zu stellen. Denn das Ignorieren einer solch rassistischen, diskriminierenden und menschenverachtenden Einstellung ist keine Neutralität, sondern eine klare politische Handlung. Die Liebe, so wie andere Aspekte des Lebens, kann nie gänzlich unpolitisch sein oder bleiben. Dazu beeinflußt die eigene politische Meinung zu viele Entscheidungen. Gerade der Rechtsextremismus, der als Szene eine Lebens- und Erfahrungswelt bietet, infiltriert jeden Aspekt des (Privat-)Lebens und führt daher unweigerlich dazu, dass Entscheidungen im Privatleben von politischen Entscheidungen mitbestimmt werden. In einer Beziehung könnte zum Beispiel die Frage aufkommen, Kinder zu bekommen. Wie zieht man seine Kinder mit einem Neonazi groß, wenn seine politische Einstellung unvereinbar mit der eigenen ist? Wie geht das eigene Umfeld damit um, dass es unter Umständen von dem/der Lebenspartner*in diskriminiert oder sogar angegriffen werden könnte? Es ist zu einfach, sich der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus zu entziehen, wenn er so nah an einem dran ist und so einen großen Einfluß auf das eigene Leben hat. Deshalb ist es wichtig, Beratung zu suchen und eine klare Position zu finden. Die findet sich im Übrigen auch in den Internetforen: Denn neben Rechtfertigungsversuchen und Verharmlosungen der rechtsextremen Einstellung finden sich auch nützliche Ratschläge, die zu einer klaren politischen Haltung ermutigen oder sogar durch eigene Lebensberichte über die Gefahren einer solchen Beziehung informieren. Martin Ziegenhagen sagt dazu treffend: „Die Entdeckung des Selbstverständlichen ist manchmal komplizierter, als man glaubt“. Noch komplizierter wird es allerdings, wenn man sich dieser Entdeckung entzieht.

Mehr auf netz-gegen-nazis.de:

In unseren Foren gibt es folgende Diskussionsstränge zum Thema:

| Darf man in einen Neo-Nazi verliebt sein?

| Freundin rutscht in die Nazi-Szene

| Kann ich eine Akzeptanz zu der rechten Meinung meines Freundes aufbauen?

| Kann ich einen Nazi zur „Vernunft“ bringen?

| Umgang mit vermeidlichen Rechtsextremisten, Angehörigen von Rechtsextremisten, Aussteigern etc.

Mehr auf no-nazi.net:

| Frag no-nazi.net: In einen Nazi verliebt?

Mehr im Internet:

| Onlineberatung gegen Rechtsextremismus

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