Jetzt ist es so weit: Protestierende der rechtsextremen, rechtspopulistischen und verschwörungsideologischen Szenen verbrennen traurig ihre „Merkel muss weg“-Banner oder müssen sie zumindest nach hinten in den Keller stellen. Denn nun ist Angela Merkel weg. Allerdings wurde sie nicht vertrieben vom rechtsextremen Mob, wie sich das die Banner-Träger:innen vielleicht gewünscht haben, sondern sie wurde demokratisch abgewählt, geht entspannt zu Nina Hagens „Du hast den Farbfilm vergessen“ in die Rente: Die Zukunft sieht für die Rechtsaußen-Szene jetzt noch trauriger aus, als mit „Mutti Merkel“, denn: Die Ampel kommt, und die Nazis sehen rot.
Allerdings vor allem symbolisch, denn der schlimmste Part der in Bälde regierenden Ampel-Koalition sind für sie sicherlich die Grünen. Die wurden in der Rechtsaußen-Szene bereits im Wahlkampf dämonisiert zur Verkörperung alles Bösen in der Rechtsaußen-Welt, zur Zensur- und Diktatur-Partei – weil sie etwa Menschen davor schützen wollen, von Rechtsextremen attackiert oder an EU-Außengrenzen zum Sterben verdammt zu werden oder von Pandemie-Viren getötet zu werden. Die sozialdemokratische SPD, im Wahlkampf eher farblos, wird von Rechtsaußen trotzdem als „links“ subsummiert. Und dann ist da noch die FDP, die einzige Partei, die sich mal kurz in Thüringen mit AfD-Stimmen hat zum Ministerpräsidenten wählen lassen, nun aber die zwischenzeitlich rechtspopulistisch andockbaren Argumente zugunsten einer liberalen Gesellschaftsgestaltung aufgibt, so dass hier noch ein Aspekt enttäuschter Liebe hinzukommt. Das neue Schreckgespenst der konservativen bis rechtsextremen Blase könnte dann statt „links-grün“,„links-gelb“ heißen.
Doch das verächtliche „links-gelb“ ist natürlich erst der Anfang. Was erwartet uns noch an Abwertungs-Begriffen und Narrativen?
Es gibt vier große Ängste, die aktuell rechtsaußen durch das Internet getrieben werden. Blicken wir in „rechtsalternativ“-mediale Angebote.
Die „Klima-Diktatur“
Klar, nach der „Merkel-Diktatur“ kommt die „Klima-Diktatur“ – irgendwo müssen die Fremdbestimmtheitsgefühle von Rechtsaußen in einer Gesellschaft ja hin, in der sie eine traurige Minderheit darstellen. Jetzt wird also die Politik, die zum Erhalt der Lebensgrundlage auf der Erde für zukünftige Generationen führen soll, als Freiheitsbeschneidung gebrandmarkt, die allen Spaß verdirbt, nur damit die Menschheit überleben kann. Verwandt: Klima-Wahn – denn vor der Ablehnung der Klimapolitik steht natürlich die Klimawandel-Leugnung.
So schreiben etwa Wolfgang Hübner in den „PI-News„: „Die neue Ampel-Regierung in Berlin wird den Niedergang Deutschlands beschleunigen. Wer daran noch Zweifel hegt, möge den Koalitionsvertrag lesen. Er programmiert den „Klimastaat“ (…).“
Ins gleiche Horn stößt der Querdenken-„Journalist“ Stefan Raven. Er schreibt auf seinem Blog:
Und veröffentlicht damit ein Statement des AfD-Bundestagsabgeordneten Bernd Schattner. Der findet: „Mit der grünen Ausrichtung der Landwirtschaftspolitik (…) rückt die Lebensmittelproduktion in den Hintergrund. Vorrangig wird von der Ampel der Klimaschutz, Tierschutz und der ökologische Landbau im Koalitionsvertrag bevorzugt. Damit werden die Landwirte zukünftig von Lebensmittelproduzenten zu Landschaftsgärtnern stigmatisiert.“ Hier können wir also lernen, dass die AfD nichts von Landschaftsgärtner:innen hält. Warum Bio-Landwirtschaft:innen nicht auch Bio-Lebensmittel produzieren, weiß Herr Schattner wohl allein. Er ist wütend: „Dies unterstreicht den Klimawahn der Grünen und vertreibt die konventionelle Landwirtschaft aus Deutschland.“ Oder reformiert sie für Tier- und Naturwohl.
Kolumnist Gerald Grosz nutzt im Deutschland-Kurier („Konservativ. Freiheitlich. Unabhängig.“) das schöne Wort „Grün:innen“ – wohl, um die Grünen für ihre Klimapolitik und um ihre Bemühen um Geschlechtergerechtigkeit zugleich zu beschämen.
Beim digitalen Fußvolk klingt es dann so:
Das Klima-Thema lässt sich zudem mit den weiteren Narrativen verbinden. Eines davon ist der „Klimasozialismus“, zu dem wir weiter unten noch kommen, auch „Ökosozialismus“ oder, noch emotionalierter, der „Öko-Dschihad“. Doch bleiben wir zunächst bei einem kleineren Aufregerthema, dass ebenfalls mit der Klimapolitik zu tun hat.
Die EUdSSR oder der Sozialismus steht vor der Tür
Eine weitere Sorge der Rechtsaußen-Szene ist, dass mit dem Ampel-Koalitionsvertrag ein neuer Sozialismus vor der Tür stehe, gar eine EUdSSR.
Was passiert hier?
Hier kommen mehrere Ideen zusammen. Sozialismus erscheint in der Rechtsaußen-Szene als fast noch schlimmere Beschimpfung als die Diktatur an sich. Dies soll nun auf zwei dem Rechtsaußen-Milieu unangenehmen Themen des Koalitionsvertrages übertragen werden.
Das eine Thema ist wiederum das Klima. Denn der Klimaschutz soll ja über – global verhandelte, an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientierte – Klimaziele erreichen. Und diese Klimaziele sind nun „Klimasozialismus“: Weil es Ziele gibt. Und Ziele, die reichen hier aus, um gedanklich bei der „Planwirtschaft“ zu landen.
Das macht etwa Gerold Grosz, Kommentator im Deutschland-Kurier:
Und ja, damit ist der „Klimasozialismus“ gemeint:
Die AfD sieht sie aber auch, die „planwirtschaftlichen Klimaziele“, etwa in Augsburg:
Und auch AfD-Politiker Frank Christian Hansel aus Berlin sieht den „Klimasozialismus“, aber auch „Ökosozialismus“ oder gar „Ökodschihad“.
Hier noch mal von einem AfD-MdB als Sharepic, auch nicht sinnvoller:
Aber dann ist da ja noch die Sache mit de EUdSSR. Die zielt auf einen anderen Teil des Koalitionvertrags ab. Und da bekommen Rechtsaußen-Kommentator:innen in der Tat Schnappatmung: Deutschland schaffe sich auch hier und dann auch noch endgültig ab. Denn: Die Ampel-Koalition sieht Deutschland als Teil der Europäischen Union. Was Deutschland ja auch ist.
Beim Publizisten David Berger wird auf seinem Blog „Philosophia Perennis“ daraus:
Es werde „eine angebliche Verschwörungstheorie von gestern zur Tatsache von heute“, schreibt Berger alarmiert und stellt fest, dass offenbar alle souveränen Staaten und Nationen „aufgelöst werden, um die Vereinigten Staaten von Europa – vermutlich werden sie vielmehr eine Art EUdSSR werden – zu gründen.“ Was für die einen eine Vision von Zusammenarbeit und Zukunftsfähigkeit ist, ist den anderen eben ein Anschlag auf Nationalismus. Dass das anvisierte, vereinte föderale Europa auf Grundlage der europäischen Grundrechtecharta fußen soll, wird bei Berger zur „Kriegserklärung gegen Ungarn“. Was für Fantasien.
„Querdenken“-Stimme Heinrich Fiechtner kommentiert diese Pläne mit einer Anspielung auf Hitlers „Blitzkrieg“ – und zeigt damit vor allem seine eigenen Referenzmöglichkeiten.
Die „Massenmigrations-Angst“ oder „Buntifizierung“
Rassismus ist das Kerngeschäft der Rechtsaußen-Kreise, deshalb darf das Schüren von Angst nicht fehlen, angesichts einer Reformierung der Asyl- und Migrationsgesetzgebung, wie die zukünftige Bundesregierung sie anstrebt, um den Prozess menschenwürdiger zu machen.
Tenor in den rechtsalternativen Medien ist: Nun wird die ganze Welt eingeladen, und alle können uns belügen und dann auch noch sofort Deutsche werden. Chaos!
Compact TV titelt: „Die Ampel will offene Grenzen“, und in der Kommentarspalte wird das zu „In 15 Jahren haben wir hier einen muslimischen Gottesstaat“, „Die sittlich verkommenen „Grün*innen“ ahnen im Unterbewusstsein, dass sie eine strenge Hand nach Art von Taliban brauchen“ oder „DAS BRD-SYSTEM IST DAS ENDE DER DEUTSCHEN FREIHEIT UND SELBSTBESTIMMUNGUND BEENDET DEN KRIEG GEGEN DAS UEBERLEGENE VOLK!“
Gerald Grosz von „Deutschlandkurier“ beherrscht die Kunst der Eskalation: Menschen kämen ohne Papiere, dürften sich dann, „von der neuen Ampel höflich eingeladen“, eine „eigene Identität bestätigen“, und wenn man schon dabei wäre, wäre demnächst „als Kotau vor den Buntländern“ die „Vielehe“ erlaubt, dann sei die Scharia ja auch nicht mehr weit. Nein. Interessant aber die Vokabel der „Buntländern“, die gibt es auch als „Buntifizierung“ Deutschlands, gemeint ist wohl eine rassistische Ablehnung von Vielfalt, die eindringt – in was, Einheitsgrau? Wobei Grosz schon im nächsten Satz erläutert, dass auch die leichtere Verfügbarkeit von Kondomen wohl ein Aussterben der „Deutschen“ beschleunigen würde, und das sind wir schon bei der Verschwörungserzählung des „Großen Austausches“.
Sandro Serafin raunt in der „Jungen Freiheit“: „Völlig kritiklos scheinen sie [die Ampel-Koalition] der Migration gegenüberzustehen, wollen diese sogar noch intensivieren: Einbürgerungen von Ausländern etwa sollen beschleunigt werden. Moslemische Gemeinden will man mehr einbinden, einen „Anti-Rassismus-Beauftragten“ einsetzen. Von Islamismus ist indes kaum die Rede.“
Irfan Peci, selbsternannten „Islamistenjäger“, wütet bei „Journalistenwatch“, die „Ampel“ wolle „Deutschland den Rest geben“. Er sieht „die wenigen Hürden“ fallen, die es noch gab, um „Deutscher zu werden“, es reiche „die physische Anwesenheit“: „Das gibt es in keinem Land auf dieser Welt“. Er beklagt den „Verrat“ der FDP, die für viele als „Alternative zur AfD“ gegolten habe.
Auch „Querdenker“ Markus Haintz möchte nicht vom Rassismus lassen:
Offiziellen Rechtsextremen ist das Migrationsthema natürlich auch ein Dorn im Auge. Martin Sellner von der „Identitären Bewegung“ sieht einen „Ampel-Suizidpakt“, der nur ein „Programm zur Einwanderung“ und damit natürlich ein „Programm zur Abschaffung Deutschlands.“ Deutschland werde „multiethnisch“, ein „Vielvölkerstaat“ mit „massenhaft Fremden“. Er regt sich auch über „Ankerkinder“ auf, die als in Deutschland geborene Kinder nun automatisch auch deutsch sein sollen, und dann blieben auch die Eltern da! Fällt argumentativ unter: Nazis machen Nazi-Sachen und sehen den „großen Austausch“.
Also: Willkommen in der „Ampel-Hölle“.
In Berlin, so stellt die ortsansässige AfD fest, steht es derweil auch nicht besser: So stellt Thorsten Weiß fest, „seine“ Rechte würden „verramscht“, während im Kommentar dann von der „Ausrottung“ der Deutschen die Rede ist – „mit Impfstoffen oder Überflutung“.
Klassiker durch Sarrazin: „Deutschland schafft sich ab“
Wie vielleicht schon beim Blick durch die rechtsalternative Medienlandschaft sichtbar wurde: Der Spruch „Deutschland schafft sich ab“, der es ja bereits auf einen Buchtitel von Thilo Sarrazin geschafft hatte, ist der Kommentar der Stunde. In praktische jedem Kommentar kommt er so oder in modifizierter Form vor – die AfD sieht ihn gar als Überschrift des Koalitionspapiers:
Damit sollte den Rechtsaußen-Kräften klar sein, dass Deutschland eben nicht sich selbst, sondern vor allem antimoderne, rechtsradikale Einstellungen abschafft, die hier offensichtlich keine Mehrheiten haben. Manche offenbar nicht ganz so wahnhafte Akteuren packt da schon Panik. Alex Malenki, Aktivist der „Identitären Bewegung“, schreibt auf Twitter:
Aber wenn man denkt, schlimmer geht es nicht mehr, kommt von irgendwo der „Volkslehrer“ her und kommentiert den „Koalitionsvertrag für Israel“.
Was meint der Antisemit?
Nun, die Antwort des Holocaustleugners Nikolai Nehrling alias „Volkslehrer“ lässt sich jetzt schon ahnen, aber natürlich hören wir einmal hinein: Nehrling sieht im Koalitionsvertrag einen „Kampf gegen Deutsche“. Weil im Koalitionsvertrag der Schutz jüdischen und queeren Leben vorkommen. Antisemit Nehrling regt sich auf: „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland… Sie wurden vertrieben, dann kamen sie wieder rein, dann wurden sie wieder vertrieben… das ist nicht deutsches Leben.“ Und dass die Erinnerung an die Verbrechen und Opfer des Nationalsozialismus lebendig gehalten werden soll, lässt Nehrling kommentieren: „Man sollte meinen, das hätten Juden geschrieben. Alles fürs jüdische Leben! Nichts fürs deutsche Leben!“ Dass dieser Mann vor seinem Outing als Holocaustleugner Grundschullehrer in Berlin war, ist immer noch erschreckend. Dass er auf verlorenem Posten steht, ist dagegen sehr gut.
Mit Recherche von Una Titz, de:hate.