Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

„Vive le Courage“ Mutiges Engagement gegen Neonazis in Mügeln

Von|

Die Steine fliegen, treffen ? und wieder Scherben. Überrascht über eingeschlagene Scheiben sind sie nicht mehr im Vereinshaus des ?Vive le Courage? e.V.. ?Wir rechnen schon immer damit?, so Mitglied Susan Anger. Diese bizarr gleichgültig scheinende Erwartungshaltung resultiert daher, dass der ehrenamtliche Jugendverein in einem Ort mit Problemen ansässig ist: Mügeln. Es erlangte unrühmliche Bekanntheit, als 2007 ein Mob von etwa 50 Menschen ihre indischen Mitbürger durch den Ort jagte. Die Rassisten kamen teilweise aus dem organisierten rechtsextremen Spektrum. Die Bilder der verletzten Inder lösten weltweit Entsetzen aus. Auch in Mügeln ? nicht der Menschenverachtung wegen, sondern weil der Ort in Verruf gebracht worden war.

Wer auf einen Einzelfall hofft, wird enttäuscht. Susan Anger kann viele Übergriffe der rechtsextremen Szene aufzählen, auch schon vor der Hetzjagd. ?Zwar war das Ausmaß dieses Übergriffs extrem, doch auch im Alltag werden die Pöbeleien immer krasser. Die Zahl der Angegriffenen steigt.? Sogar Hitlergrüße auf der Straße seien unter den Jugendlichen in der Szene normal.

Die Jagd auf die Inder war der letzte Anstoß für Mügelner Jugendliche, noch im selben Jahr den Verein ?Vive le Courage? e.V. zu gründen, der sich der Schaffung einer ?offenen und demokratischen Alltagskultur? verschrieben hat und dafür die Mügelner über menschenverachtende Ideologien wie Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus oder Homophobie aufklären will. Die 13 Mitglieder und weiteren rund 20 Mithelfenden organisieren ehrenamtlich Infoveranstaltungen, Lesungen und Konzerte.

Bedauerlich ist, dass diese dann oft nur im benachbarten Oschatz stattfinden können, da sie keine große Unterstützung vor Ort bekommen. Mügelns Bürgermeister Gotthard Deuse (FDP) sträubt sich vor einer Zusammenarbeit mit dem Verein, da er kein Problem mit rechtsextremen Jugendlichen im Ort sehe. ?Auch die Bürgerinnen und Bürger haben uns lange als ?Nestbeschmutzer? verurteilt, die das Ansehen ihres Ortes schmälern wollen.?, meint Roman Becker, Gründungs- und Vorstandsmitglied des Vereins. ?Doch das wird langsam besser, weil sie sehen, dass es wirklich Probleme gibt?, ergänzt er.

?Unglaublich mutige Arbeit?

Christian Petry, Geschäftsführer der Freudenberg Stiftung und Mitglied der Jury des Sächsischen Förderpreises für Demokratie, hat die Patenschaft des für den Preis nominierten Vereins übernommen. Petry sieht deutliche Parallelen zur Arbeit des Netzwerks für Demokratische Kultur (NDK) in Wurzen: ?Die Leute von ‚Vive le Courage‘ leisten eine unglaublich mutige Arbeit in einer Umgebung, in der ihnen ein scharfer Wind entgegen bläst. Daher ist es umso wichtiger, diese engagierten Menschen zu unterstützen ? sie wollen langfristig das Klima der Angst in ihrer Stadt in ein Klima der Offenheit und gegenseitigen Akzeptanz verwandeln?. Dass dafür ein langer Atem benötigt wird, zeige das Beispiel des NDK in Wurzen, wo zwar noch nicht alle an einem Strang ziehen, wenn es um die Verteidigung der Demokratie geht. Aber das NDK ist heute nicht mehr geächtet wie noch vor zehn Jahren, sondern ein wichtiger Treffpunkt für alle demokratisch orientierten Menschen in der Region. ?Das?, so Christian Petry weiter, ?wünsche ich mir auch für die Zukunft des Vive le Courage e.V.?.

Mitte August 2009 veranstaltete der Verein eine ?Antirassistische Aktionswoche?, wobei wieder Scheiben zu Bruch gingen. Seitdem braucht das Vereinsgebäude bei Veranstaltungen Polizeischutz, weil sich auf dem Vorplatz jedes Wochenende die rechtsextreme Szene zum Trinken und Pöbeln trifft. ?Das Schlimmste daran ist eigentlich, das wir uns daran gewöhnen. Die Situation wird als normal empfunden und wir machen unser Ding weiter?, so urteilt Becker die Lage.

Der regelmäßige Vandalismus am Haus verursachte finanzielle Schäden, die vom Verein allein nicht mehr getragen werden konnten. Derzeit renovieren die Mitglieder das baufällige Gebäude mithilfe von Spenden von Privatpersonen, ortsansässigen Unternehmen, wie Baufirmen, der Apotheke oder der Pizzeria, in die die Inder vor zwei Jahren vor ihren Verfolgern fliehen konnten. Becker will die Erneuerungen schnell fertig haben, ?damit wir uns wieder um Inhaltliches kümmern können.? Beispielsweise wollen sie eine feste Sprechstunde mit der Opferberatung RAA Leipzig anbieten, da diese ohnehin ständig nach Mügeln fahren müssten.

Die Initiative „Vive le Courage“ e.V. ist nominiert für den „Sächsischen Förderpreis für Demokratie“, der jährlich von der Amadeu Antonio Stiftung, der Kulturstiftung Dresden der Dresdner Bank, der Stiftung Frauenkirche Dresden und der Freudenberg Stiftung verliehen wird. Die Preisverleihung ist am 9. November 2009 in Dresden. Belltower.news stellt ihnen die 10 nominierten Projekt vor.

Die zehn nominierten Projekte sind:

? AG Kirche gegen Rechtsextremismus, ein Projekt der Evangelischen, Erwachsenenbildung Sachsen (Dresden)

? Bürgerinitiative ?Demokratie anstiften? (Reinhardtsdorf-Schöna / Kleingießhübel)

? Deutsch-polnisches Schülerbegegnungsprojekt Auschwitz, ein Projekt des Beruflichen Schulzentrums Wurzen (Wurzen)

? Hillersche Villa ? Soziokultur im Dreiländereck e.V. (Zittau)

? Medinetz Dresden e.V. (Dresden)

? Oberlausitz ? neue Heimat e.V. (Löbau)

? Peer Leadership ? Training für interkulturelle Kompetenz und Demokratie, ein Projekt des RAA Sachsen e.V. (Dresden)

? Roter Stern Leipzig ?99 e.V. (RSL) (Leipzig)

? Schülerinitiative gegen die NPD und andere Nazis (Dresden)

? Soziokulturelles Zentrum in Mügeln, ein Projekt des Vive le Courage e.V. (Mügeln)

Zum Thema:

| Interview mit Susan Anger von „Vive le Courage“: ?Das Rechtsextreme stört ihn nicht so, aber vor den Linken hat er ein bisschen Angst?

Im Internet:

| Vivelecourage.blogsport.de
| demokratiepreis-sachsen.de
| amadeu-antonio-stiftung.de

Weiterlesen

2017-11-23-zfps

Bornhagen Ein Denkmal zur Debatte gestellt

Das „Zentrum für politische Schönheit“ baut Stelen, die aussehen wie die Stelen des Holocaust-Mahnmals in Berlin, auf einem Grundstück neben…

Von|
IMG_7407

Meerane Eine Kommune wehrt sich gegen rechten Hass

Im sächsichen Meerane sitzen Ressentiments tief. Im Zuge der Migrationsbewegung gingen sogenannte „besorgte Bürger“, angestachelt von der NPD, zusammen mit Rechtsextremen auf die Straße. Engagierte Bürger_innen wollten nicht, dass ihre Stadt zu einem Nazi-Nest wird und stellten sich dem braunen Treiben entschlossen entgegen.

Von|
Eine Plattform der