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Volksverhetzung Der „Volkslehrer“ bettelt sich durch die Krise

Der ehemalige Grundschullehrer Nikolai Nerling wird sich vermutlich bald zum wiederholten Male vor Gericht wiederfinden. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen den 39-Jährigen erhoben. In insgesamt sechs Anklagepunkten werden Nerling unter anderem Verharmlosung von Gräueltaten des Nationalsozialismus, Leugnen der Schoah, Zeigen des Hitlergrußes sowie Beleidigung und körperliche Misshandlung vorgeworfen.

 
Nikolai Nerling braucht Geld. Denn: Volksverhetzung ist teuer. (Quelle: Screenshot aus einem BitChute-Video des Kanals "Der Volkslehrer")

Es ist nicht das erste mal, dass der selbsternannte „Volkslehrer“ vor Gericht steht. Nachdem bekannt wurde, dass der Ex-Lehrer mit antisemitischen Plakaten auf Demos aufgetaucht war und seine Videos publik wurden – damals beschäftigte er sich noch hauptsächlich mit antisemitischen Verschwörungstheorien – hatte die Berliner Senatsschulverwaltung dem ehemaligen Lehrer im Mai 2018 „fristlos und außerordentlich“ gekündigt. Dagegen klagte Nerling und unterlag vor Gericht. Seine Klage wurde abgewiesen, er sei dauerhaft nicht für den Schuldienst geeignet. Der zuständige Richter begründete seine Entscheidung damit, dass Nerling seine Videos gezielt dazu nutze, den Rechtsstaat anzugreifen, zu verunglimpfen und verächtlich zu machen. Unter anderem auch, weil er immer wieder Personen, die wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung verurteilt wurden, in seinen Videos zu Wort kommen lässt. Die verurteilte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck durfte in einem seiner Videos unter anderem verlautbaren, dass im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz „vielleicht 356.000“ getötet wurden, um danach festzustellen: „Also können wir jetzt auch sagen, den Holocaust hat es nicht gegeben.“

Nachdem eine Hausdurchsuchung bei Nerling wegen eines mutmaßlich gefälschten Presseausweises bekannt wurde, kündigte er Berufung gegen das Urteil zu seinem Rauswurf an. Sein Anwalt behauptete, der Richter habe „politisch und nicht rechtlich“ argumentiert. Die Berufung zog er im September 2019 kommentarlos zurück. Eine Rückkehr an eine öffentliche Schule in Berlin ist damit unmöglich.

Im Februar 2019 besuchte der YouTuber die KZ-Gedenkstätte in Dachau. Offensichtlich ausschließlich, um zu provozieren. Einer Schüler*innengruppe soll er dabei geraten haben, nicht alles zu glauben, was ihnen in der Gedenkstätte erzählt würde. Einer 15-jährigen Zeugin nach soll er die schrecklichen Ereignisse im KZ Dachau relativiert haben: „Es war alles nicht so schlimm, wie es dargestellt wurde.“ Eine Referentin der Gedenkstätte fragte Nerling ob sie jüdisch sei. Als sie verneinte und erwähnte, dass ihr Großvater als Kommunist im KZ gewesen sei, aber überlebt habe, habe Nerling gegrinst und gesagt, „War wohl nicht so schlimm gewesen“. Das Amtsgericht Dachau verurteilte ihn im Dezember 2019 wegen Holocaustleugnung und Hausfriedensbruch zu einer Geldstrafe über 10.800 Euro. Nerling war in Begleitung auf dem Gelände der Gedenkstätte gewesen. Sein Kameramann wurde zu 3.000 Euro Strafe wegen Beihilfe zur Volksverhetzung und ebenfalls Hausfriedensbruch verurteilt. In der Urteilsbegründung benennt der vorsitzende Richter Nerlings Taktik klar. Er habe zwar nicht das Wort „Holocaust“ benutzt, „so schlau ist er“, seine Aussagen und sein Verhalten würden aber „in der Gesamtschau darauf abzielen, den Völkermord nicht nur zu verharmlosen, sondern auch zu leugnen“.

Tatsächlich versteht es Nerling in der Regel sehr genau, seine antisemitischen Ansichten so zu verbreiten, dass sie nicht unter den Paragraphen 130 fallen, der Volksverhetzung bestraft. Bei einer Demonstration von Holocaustleugner*innen in Dresden, stand Nerling unter anderem als Übersetzer und Moderator auf der Bühne. Als die gebürtige Australierin Michèle Renouf mehrmals auf Englisch den Holocaust relativiert und leugnet, übersetzt Nerling vorsichtig. Mehrmals ersetzt der das Wort „Holocaust“ durch „Verbrennung“. Als Renouf schließlich noch die Verbrechen der Nationalsozialisten an Juden und Jüdinnen rechtfertigt, steigt Nerling ganz aus: „Und ich glaube, das darf ich jetzt gar nicht übersetzen“, sagt er mit irritierter Mimik. „Denn … ähm … das würde vielleicht Schwierigkeit ergeben – leider“, fügte er hinzu. „Nee, das möchte ich nicht übersetzen.“   

Immer wieder belässt es Nerling in seinen Videos bei Andeutungen, die aber von seinen Fans genauso verstanden werden, wie er sie eigentlich meint. Und dazu nutzt er jede Gelegenheit. In einem Gespräch mit zwei Gesinnungsgenossen über die Teilnehmeranzahl einer Demonstration sagt Nerling, er hätte einen Fehler gemacht, als er von „sechs Millionen“ Teilnehmenden gesprochen habe. Es hätte sich „vertan“, „das war recht übertrieben.“ Die Unterhaltung geht weiter: „Das wäre logistisch gar nicht möglich gewesen,“ sagt einer der Männer. Nerling: „Eben. Wo hätten die alle herkommen sollen.“ Und dann: „Das mussten wir jetzt klären, damit nicht falsche Gerüchte aufkommen oder über Jahrzehnte falsche Informationen rumgeistern.“ Niemand erwähnt den industriellen Massenmord an Juden und Jüdinnen, aber für sein Publikum ist klar was gemeint ist: der Holocaust hat angeblich nicht stattgefunden. 

Diese „Strategie der Andeutung“ ist dabei kein Geheimnis. Einen Tag vor Bekanntwerden der neuen Anklage gegen Nerling veröffentlicht er ein Video auf der Videoplattform Bitchute. Er kündigt an, sich nicht mehr mit dem Judentum und dem Holocaust beschäftigen zu wollen, denn „jetzt hab‘ ich zu dem Thema eigentlich alles angedeutet, was es da anzudeuten gibt.“ 

Aber zunächst verbreitet er wirre Verschwörungstheorien zum Corona-Virus: das Virus existiere eigentlich gar nicht, sondern diene nur dazu, Panik zu schüren, damit die Regierung Gesetzen verschärfen könne, um „unliebsame Persönlichkeiten“ – damit scheint er vor allem sich selbst zu meinen – mundtot zu machen. Immerhin eine gute Überleitung zu Nerlings eigentlichem Lieblingsthema: Geld für sich selbst einzusammeln.

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Das Leben als „unliebsame Persönlichkeit“ ist nämlich teuer. In einer Einblendung im Video ist zu lesen: „Der ganze Spaß hat mich bereits mehrere tausend Euro gekostet und es steht noch einiges aus!“ Aber Nerling ist sich der Unterstützung durch seine Fans sicher: „Was ihr auch machen könnt, wenn ihr nicht wisst wohin, mit euren bald wertlosen Euros, überweist sie doch auf mein Konto. […] Nein, ernsthaft, ich brauch‘ tatsächlich immer Knete, wisst ihr ja.“ Praktisch keines seiner Videos kommt ohne einen solchen Aufruf aus. Immer ist irgendwo seine aktuelle Kontonummer vermerkt, der Lebensstil des gefeuerten Ex-Lehrers muss offenbar unter allen Umständen aufrecht erhalten werden. Gerade jetzt scheint ihm das besonders wichtig zu sein, die Konsequenz des neuen Verfahrens gegen Nerling, könnte eine weitere saftige Geldstrafe sein. Aber Nerling muss sich wahrscheinlich keine Sorgen machen, denn betteln funktioniert in der rechtsextremen YouTube-Blase offenbar ganz hervorragend.  

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