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Wagenknecht-Schwarzer-Demo in Berlin Aufstand der Egoist*innen

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Demo gegen die Unterstützung der Ukraine, 25. Februar 2023: Putin willkommen, die Grünen, SPD und FDP machen angeblich Angst. (Quelle: BTN/SR)

Schneeregen von oben, Matsch von unten, Angstschürerei und Lügen von der Bühne, aber die Stimmung hätte bei vielen Demonstrations-Teilnehmer*innen kaum besser sein können. Ältere Damen in knallpinken Anoraks haben Klappstühle, Proseccofläschchen und Metallbecher mit zur Demo gebracht, die vermeintliche “Friedensdemo” als Happening, damit mal wieder was los ist. Andere schwelgen in Erinnerungen: “Das ist fast wie 1983, da waren wir auch für Frieden auf der Straße!” Das Alter von mindestens drei Vierteln der Demonstrierenden liegt bei 60plus, die Demoerfahrungen sind offenkundig lange her oder gar nicht vorhanden, was etwa die vielen Hunde vermuten lassen, die Menschen mitgebracht haben, und denen es im Gedränge nicht sonderlich gut gefällt. Kinder sind nur wenige da, was aber vor allem der Tatsache geschuldet ist, dass die meisten höchstens noch Enkel im Kindesalter haben.

Das Publikum

Die Menschen, die am Brandenburger Tor zusammengekommen sind, sind, abgesehen von der Altersstruktur, durchaus verschieden. Manche verorten sich in linken Zusammenhängen (etwa die impfgegnernahen “Freien Linken”), kommunistischen Gruppen (etwa MLPD), aber auch Friedensbewegungs- und Gewerkschaftszusammenhängen sind zu erkennen. “Die Linke” ist natürlich auch vertreten. Weitere Menschen gehören zum verschwörungsideologischen Lager, das in der Pandemie so stark gewachsen ist. Sie tragen Plakate und Flaggen der “Freedom Parade” oder der “Basis” oder propagieren eine “Neue Zeit”. Auch das Q von QAnon tragen Menschen als Accessoire. Wer keine Flagge oder kein Plakat trägt, ist ideologisch nur schwer einzuschätzen, das liegt aber auch am Berliner Winter, der nur wärmende Bekleidung zulässt, und den vielen Friedenstauben, die sich universell einsetzen lassen.

Wenige Reichsbürger*innen tragen ihren Ruf nach dem Ende der “BRD GmbH” und den Ruf nach dem ihrer Meinung nach fehlendem “Friedensvertrag” offen zur Schau, laut Veranstaltenden seien auch Reichsbürger*innen ausgeschlossen worden – die, die wir getroffen haben, stießen nicht auf Widerspruch. Rechtsextreme Medien versuchen sich in der Instrumentalisierung des Ereignisses. Jürgen Elsässer steht mit einem “Ami Go Home”-Plakat seines Compact-Magazins neben der Bühne, und als der Versuch scheitert, ihn von der Demonstration auszuschließen, wird sein Plakat von Gegendemonstrant*innen umstellt, damit es wenigstens nicht mehr zu sehen ist. Compact hat aber vorgesorgt: Es sind noch mehr “Ami Go Home”-Banner auf der Demo. Der “Volkslehrer” und Holocaustleugner Nikolai Nehrling darf dagegen ungestört filmen, er tut es gemeinsam mit “Aktivist Man” Mathäus Westfal. Sebastian Weber alias “Weichreite TV” aus Sachsen ist auch da, bekannt für Versuche von Querfront-Reportagen: AfD-Mitglied Weber versucht immer als vermeintlicher “Journalist”, Gegendemonstranten von Rechtsaußen-Demos dazu zu bringen, menschenfeindlichen Thesen zuzustimmen.

Andere rechtsextreme Akteure bleiben auf der Demonstration unentdeckt. Dass das rechtsextreme Verleger-Ehepaar Götz Kubitschek und Ellen Kositza in Berlin waren, zeigt erst ihr Bericht in der rechtsextremen “Sezession”. Einige Nachtwölfe, russische Motorradrocker, waren auch dabei (vgl. Twitter). Rüdiger Hoffmann, Reichsbürger und Ex-NPD-Funktionär, hält Reden vor dem Bundestag (vgl. Twitter). Auch einige AfD-Politiker*innen waren tatsächlich bei der Demonstration. Gunnar Lindemann aus Berlin musste nicht weit anreisen, Jörg Urban und Karsten Hilse kamen aus Sachsen, Hans-Thomas Tillschneider aus Sachsen-Anhalt. Optisch dominant jedoch war die Anzahl der Rechtsaußen-Akteur*innen nicht – anders als bei manchen Querdenken-Demonstrationen.

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Das gemeinsame Mittel

Worauf sich die Menschen hier einigen können, ist relativ leicht zu erkennen: Vor allem finden sich auf Plakaten und in Reden Antiamerikanismus und Zustimmung zu Putin, bei den westlichen Alt-68ern mehr Antiamerikanismus, bei den offenbar nie in der Demokratie angekommenen Alt-Sozialisten mehr Zustimmung zu Putins Russland, aber man versteht sich. Viele wähnen in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine einen Stellvertreterkrieg Putins gegen die USA und/oder gegen die Nato. Das beunruhigt aber weniger, weil dazu eine Umdeutung kommt: USA und/oder Nato werden als Aggressoren und “Kriegstreiber” angeprangert. Putin habe nur reagiert. Das widerspricht zwar den Fakten des Angriffskrieges, aber die sind hier eh ungern gesehen – leichter geht die Weltsicht mit klaren Feindbildern, auch wenn dafür Realität ignoriert und Verschwörungserzählungen geglaubt werden müssen.

Angst ist auch ein Thema, und die Antwort ist der Ruf nach Antiimperialismus und Frieden um jeden Preis. Es ist ein unangenehm egoistischer Frieden, den hier alle wollen: Ich will meine Ruhe haben. Wenn dafür die Menschen in der Ukraine leiden, wenn dafür ein demokratisches Land einem autoritären Angreifer überlassen wird – was juckt es mich? Die Menschen hier haben Angst vor Bomben, die ihre Häuser zerstören, haben Angst, dass “meine Söhne” in den Krieg ziehen müssten. Es sind Ängste, die sie Ukrainer*innen nicht zugestehen.

Miniaturen aus der Demonstration

Unter den Linden füllt sich derweil. In Richtung Brandenburger Tor wird es immer enger. Bald wird es von dieser Seite nicht mehr möglich sein, auf den Pariser Platz zu gelangen. Ein Mann mit Megafon strömt mit der Menge auf das Brandenburger Tor zu. “Das Volk will Frieden!”, ruft er, “wir wollen keine Waffen liefern! Und wer steckt hinter dem Ganzen? Doch nur die Amerikaner!” Eine ältere Dame hat ihr Fahrrad mit zur Demonstration gebracht. Sie müht sich, es durch die Menge zu schieben. Behängt hat sie es mit Schildern, Hasstiraden gegen Amerika, die offenbar zu schwer zum Tragen sind, aber unbedingt mit mussten. Daneben trägt ein Demonstrant ein Transparent in chinesischen Schriftzeichen vor sich her. Als ein anderer Mann ihn darauf anspricht, was denn darauf stehe, erklärt er: “Danke an China für ihre Friedensinitiative” “Ja! Xiexie!”, ruft der zweite begeistert aus und sie vertiefen sich in ein Gespräch über ihre China-Liebe.

Rund um das Brandenburger Tor ist es jetzt klaustrophobisch eng geworden. Einige sind schon frustriert, bevor die erste Rede losgeht. Eine gepflegt aussehende Mittfünfzigerin bricht neben ihrem Partner in Tränen aus: “Es ist so kalt, wir stehen hier im Matsch, und ich kann noch nicht mal die Bühne sehen!” Es ist so eng, dass Durchkommen nur noch schwer möglich ist. Der Platz ist in Richtung Tiergarten ist von Mauern umstellt. Die Mauern sind von Demoteilnehmer*innen belagert – nur an einer Stelle helfen zwei Männer denjenigen, denen das Gedränge zu eng wird, über die Mauer zu klettern. Eine surreale Szene an der Stelle, wo einst die Mauer zwischen Ost- und Westberlin stand. Auf der anderen Seite der Mauer, auf der Straße des 17. Juni, reicht die Ansammlung – ironischerweise – nicht mal bis zum Sowjetischen Ehrenmal.

Eine Bühne voller Propaganda

Derweil startet das Bühnenprogramm. Von der Bühne aus wird Angst geschürt. Die Menge wird nachdenklicher, besinnlicher. Die Angst manifestiert sich, viele erleben sie ganz real. Im Redebeitrag von Friedensbewegungs-Aktivist Hans-Peter Waldrich scheint ein Atomkrieg unausweichlich und direkt vor der Tür zu stehen. Ihm sekundiert General a.D. Erich Vad, ein Freund des rechtsextremen Verlegers Götz Kubitschek und auch Referent auf Veranstaltungen von dessen “Institut für Staatspolitik”: Die Atommacht Russland sei nicht zu besiegen, also solle man es auch nicht versuchen. Der Mann war zuvor viele Jahre Angela Merkels militärischer Berater. Davor schwenken Menschen “Ami go home”-Banner, sie sind ebenso präsent wie Verbindungen der deutschen und russischen Fahne, teils mit der Aufschrift “GERUSSIA”.

Sahra, Superstar der Ignorant*innen

Dann kommt der Star der Veranstaltung: Sahra Wagenknecht. Die startet mit der Aussage, Rechtsextreme und Reichsbürger*innen wären bei der Demo nicht willkommen – und immerhin bekommt diese Ansage auf der Demo Applaus. Allerdings ist schon das zumindest eine Dehnung der Wahrheit, denn es tut ja niemand etwas gegen ihre Anwesenheit, und sie sind auch wieder willkommen, wenn sie “für den Frieden” seien. Dann entfernt sie sich immer weiter aus der Realität in Richtung Propaganda:

Wagenknecht wiederholt in ihrem Redebeitrag den Text aus ihrer neuesten “YouTube”-Wochenschau: In einer “hysterischen” Kampagne sei der Initiative von Schwarzer und ihr Rechtsoffenheit vorgeworfen worden. “Rechtsoffen” seien jedoch vielmehr die “Kriegstrommler”, die sich mit denen verbündeten, die echte Nazis verehrten. Und das seien der ehemalige ukrainische Außenminister Melnyk und “andere Größen dieses Landes”, die in Stepan Bandera einen “nationalen Heroen sehen”. Hier folgt Wagenknecht dem Muster der Propagandaerzählung, derer sich der Kreml immer wieder bedient hat: Die Ukraine sei von Nazis kontrolliert und der russische Angriff ziele auf eine Entnazifizierung ab. Es ist bemerkenswert, wie Wagenknecht hier Kremlpropaganda an Kremlpropaganda reiht. Dann instrumentalisiert Wagenknecht die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands in einer bemerkenswerten Volte: Sie begründet ihren Wunsch nach Frieden mit Russland so: “Wir wollen nicht, dass mit deutschen Panzern auf die Urenkel jener Russ*innen geschossen werden, die tatsächlich von der deutschen Wehrmacht auf bestialische Weise millionenfach ermordet wurden”. Das werden die Ukrainer*innen, die völkerrechtswidrig angegriffen werden, sicher verstehen.

Das Ende einer ehemaligen Feministin und ehemaligen Journalistin

Als Letztes tritt Alice Schwarzer vor die Menschen. Die 80-Jährige ist offenkundig gerührt, noch einmal so viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Offenbar ist ihr das wert, wieder einmal jegliche ihrer früheren feministischen Ideale zu verraten. Das beginnt schon damit, dass Schwarzer den misogynen Hass gegen Außenministerin Annalena Baerbock aufnimmt und lachend sagt: “Wenn ich den Namen Baerbock nenne, ist das hier wohl eine sichere Bank für Applaus.” Alle johlen. Solidarität zwischen politisch aktiven Frauen gegen eine misogyne Gesellschaft – offenbar vorbei. Zum Krieg vertritt Schwarzer Kenntnislos-Naives, sagt, der Krieg könne “einfach” enden, würde “der Westen” nur Verhandlungen anstreben, statt Waffen zu liefern. Warum sie hier auf der Bühne steht, hat sie sich offenbar auch selbst gefragt. Ihre Antwort, als Feministin müsse man gegen Krieg sein, schon in den 1940er Jahren hätten sich vor allem Feministinnen gegen die Kriegstrunkenheit gestellt. Und dann sagt Schwarzer: “Krieg ist ja eines der schlimmsten Auswüchse der toxischen Männlichkeit!” Da klatscht allerdings kaum jemand. Das mag auch daran liegen, dass über 50-jährige Männer wohl den größten Anteil des Publikums ausmachen – nicht unbedingt die Zielgruppe der feministischen Überzeugungen, die Schwarzer hier zu vertreten glaubt.

Später wird ein Journalist sie fragen, was denn mit vergewaltigten Ukrainerinnen sei, und Schwarzer sagt: “Die Frauen und Kinder, die müssen wir an dieser Stelle mal beiseite lassen.” Frauen als Kollateralschaden, damit Putin bekommt, was er will? Wer solche Thesen vertritt, ist keine Feministin mehr. Auch ihre Profession – Schwarzer ist ja selbst Journalistin – sieht sie offenbar inzwischen mit anderen Augen. Berichterstattende Kolleg*innen beschimpft sie als “Ratten” und “Pack”. Das muss der rechte Umgang sein, der abfärbt.

Revolution als braves Event

Dann sind die Reden aus, und als von der Bühne aus angesagt wird, man solle bitte nur in eine Richtung den Platz verlassen, machen das alle brav, denn Autoritäten, die mag man hier. Einer, er trägt ein “Tanz aus der Reihe”-T-Shirt, schmeißt noch schnell seine mobile Musikstation an: “99 Luftballons” von Nena, was sonst? Menschen um ihn herum lachen und tanzen leicht, soweit es die eingefrorenen Füße zulassen. Die älteren Männer und Frauen packen ihre Klappstühle, ihre Fahnen und Plakate, ihre Hunde und Proseccofläschchen und verlassen den Ort des Aufmarsches. Ob sie der Beginn einer neuen Bürgerbewegung sind, wie Wagenknecht zum Schluss von der Bühne rief? Eher nicht. Ob sie durch andere Orte der Mitbestimmung und Begegnung einzufangen seien? Vielleicht.

Viele hier hat offenbar auch das Gemeinsame und Eventhafte angesprochen. Allerdings immer inklusive der passenden Gruppen zum Hassen: die Medien, die nie schreiben, was man selbst lesen möchte, und die Politiker*innen, die andere Politik machen als die für “unsere Ruhe”, stattdessen Solidarität und Menschenrechte, warum? Und die USA! Wobei, der Hass hört für einige schon bei Starbucks am Pariser Platz auf, denn Starbucks ist zwar ein passendes Beispiel für globalisierten amerikanischen Kapitalismus, der lokale Anbieter verdrängt, aber der Pumpkin Spice Latte wärmt so schön nach der kalten Demonstration, da laufen einig mit ihren Anti-Amerika-Schildern direkt hinein und werden genauso standardfreundlich bedient wie alle anderen auch.

 

Fotos von Simone Rafael, Stefan Lauer und Paul Podbielski.

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