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Wahl in Frankreich Die Le Pens und der Front National

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(Quelle: (picture alliance / abaca))

Nach den Wahlniederlagen von Norbert Hofer in Österreich und Geert Wilders in den Niederlanden scheint die Erfolgsserie der Rechtspopulist_innen in Europa vorerst gestoppt. Auch vor dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl in Frankreich am 23. April verbreitet sich eine gewisse Entspannung. Beobachter_innen gehen  zwar davon aus, dass Marine Le Pen von der rechtsextremen Partei “Front National” (FN) in die zweite Wahlrunde am 7. Mai einzieht, aber dann gegen den Kandidat verliert, der in einem Wahlbündnis von allen anderen Parteien unterstützt wird. Man fühlt sich an die Präsidentschaftswahlen in den USA erinnert. Dort sah es nach Umfragen so aus, dass genug Wähler_innen die nicht allseits beliebte Kandidatin Hillary Clinton wählen würden, um Donald Trump zu verhindern. Das Ergebnis ist bekannt.

Bei der Podiumsdiskussion “Marine Présidente!“ am 10. April in der “Bundeszentrale für politische Bildung“ in Berlin, teilt jedoch niemand diese Zuversicht. Trotz der unterschiedlichen Perspektiven auf das Phänomen Marine Le Pen, will sich keiner der Anwesenden festlegen: Alles scheint möglich. Nach aktuellen Umfragen wird Emmanuel Macron gegen Marine Le Pen in der Stichwahl am 7. Mai antreten. Aber auch den anderen Kandidat_innen, wie dem bürgerlich-rechten François Fillon oder dem Sozialisten Benoît Hamon werden noch Chancen eingeräumt. Zuletzt konnte auch der linke Politiker Jean-Luc Mélenchon auf sich aufmerksam machen, der vorher als klarer Außenseiter betrachtet wurde.

 

Die Teilnehmer_innen der Podiumsdiskussion: Alexander Thamm, Michaela Wiegel, Bernhard Schmid, Dr. Ronja Kempin, Dr. Franziska Brantner

Front National: “Dynastisches Prinzip mit Aushängeschild Le Pen“

Michaela Wiegel, FAZ-Korrespondentin aus Paris, bezeichnet den “Front National” als “Dynastisches Prinzip mit den Le Pens als Aushängeschild“. Der Gewerkschaftsaktivist Bernhard Schmid weist auf die Heterogenität der Partei hin, die sich im unterschiedlichen Auftreten in industriellen Städten im Norden oder bei Wahlkampfveranstaltungen an der Côte d’Azur zeige. Marine Le Pen sei es gelungen, die unterschiedlichen Flügel in der Partei zu einen und eine Brücke von der rechtsextremen “Schmuddelecke“ zum konservativen Spektrum zu schlagen. Dies führe dazu, dass die Partei von vielen als populistische Volkspartei wahrgenommen werde, welche die Probleme der Bürger_innen ernst nehme, nicht aber als rechtsextreme Partei.

Jean-Marie Le Pen gründete die Partei 1972 und war bis zur Ablösung durch seine Tochter im Januar 2011 durchgehend Parteivorsitzender. Er schaffte es bei der Präsidentschaftswahl 2002 überraschend in die Stichwahl, unterlag dann aber gegen den damals amtierenden Präsidenten Jacques Chirac. Vater und Tochter Le Pen sind mittlerweile zerstritten. Marine Le Pen versuchte sich in der Vergangenheit vom Antisemitismus ihres Vaters abzugrenzen, der den Holocaust in Interviews wiederholt als “Detail“ der Geschichte bezeichnete. Dafür säuberte sie die Partei von eingesessenen Funktionären, die ihrem Vater nahestanden. Umso mehr Aufregung erregt ein Interview der Parteivorsitzenden vom 9. April im französischen Fernsehen, indem sie die Französ_innen von einer Mitschuld an der Judenverfolgung, während der deutschen Besatzung, freispricht. Seit Präsident Jacques Chirac gilt das Bekenntnis zur Mitverantwortung an der Judenverfolgung als parteiübergreifender Konsens und selbst beim FN stellt es einen Bruch der bisherigen Ausrichtung seit der Absetzung des Parteigründers Jean-Marie Le Pens dar.

Auch für die Zukunft scheint der Einfluss der Familie gesichert. Die 27-jährige Enkelin des Gründers, Marion Maréchal-Le Pen, profiliert sich als rechte Hardlinerin und deckt den erzkatholischen Wähleranteil ab. Dafür demonstriert sie gegen die Homo-Ehe und setzt sich gegen das Recht auf Abtreibung ein. Seit 2012, damals war sie gerade 22, ist sie Abgeordnete der Nationalversammlung. Expert_innen sehen sie politisch näher an ihrem Großvater, Jean-Marie Le Pen, als an ihrer Tante, Marine Le Pen.

Wer wählt den Front National?

FAZ-Korrespondentin Michaela Wiegel berichtet von der Stimmung in Frankreich vor der Wahl. Die Bedrohung durch den Terrorismus werde viel stärker wahrgenommen als in Deutschland. Auch die wirtschaftliche Lage habe sich seit 2012 verschlechtert. Zudem befindet sich Frankreich seit den Terroranschlägen am 13. November 2015 im Ausnahmezustand. Dies bedeutet eine dauerhafte Mobilisierung von Militär und Polizei. Auch Hausdurchsuchungen und Ausgangssperren können ohne richterlichen Beschluss durchgesetzt werden. Vorerst wurde der Ausnahmezustand im Juli 2017 verlängert, aber eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht.

Bernhard Schmid ist Jurist und Autor und engagiert sich in Gewerkschaften gegen den FN. Viele der Arbeiter_innen, die früher die “Kommunistische Partei Frankreichs” (“Parti communiste français”) gewählt haben, gehören seit den 1990ern zu den neuen Wähler_innen der rechtsextremen Partei. Welche Gründe dazu führten, ist ein zentraler Streitpunkt in dieser Diskussion. Schmid widerspricht der These, dass der Aufstieg des FN nur durch die Wählerwanderung der Arbeiter_innen zu Stande gekommen sei. Er macht vor allem die Radikalisierung der Konservativen verantwortlich für den Aufstieg des FN. Trotzdem gelänge es der Partei sich als “falscher Freund“ in den Betrieben zu präsentieren. Schmid sieht die politische Linke in der Bringschuld, da es seit den 90ern nicht gelungen sei eine Alternative für dieses Wählerklientel zu präsentieren.

Franziska Brantner, Abgeordnete im Bundestag für die Grünen, steht im direkten Austausch mit Abgeordneten aus Frankreich. Dort herrsche eine generelle Verunsicherung vor der Wahl, so Brannter. Die Parteien seien zerstritten und können sich selbst innerhalb der eigenen Fraktion nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten oder eine Kandidatin einigen. Die selbe Verunsicherung gibt es auch in der deutschen Parteienlandschaft. Soll der aussichtsreichste Kandidat Emmanuel Macron unterstützt werden, um Le Pen zu verhindern? Oder stellt man sich hinter den parteinahen Kandidaten? Emmanuel Macron gilt als aussichtsreichster Gegenkandidat für die Stichwahl am 7. Mai. Er war bis August 2016 Wirtschaftsminister im Kabinett des unglücklichen Präsidenten Françoise Hollande, der auf eine erneute Kandidatur verzichtet. Macron tritt mit seiner selbstgegründeten Bewegung “En Marche!“ an, die sich klar zur Europäischen Union bekennt. In Abgeordnetenkreisen kursiere aber auch die Haltung, dass es besser wäre, sich mit Aussagen im Wahlkampf zurückzuhalten, berichtet Brantner. Schon beim Brexit-Referendum waren Äußerungen aus Deutschland als Bevormundung wahrgenommen worden.

Dr. Ronja Kempin von der Stiftung Wissenschaft und Politik hat das Wähler_innenmilieu in Frankreich untersucht und liefert die Zahlen zur Diskussion. Der FN wird demnach von breiten Teilen der Bevölkerung unterstützt. Sie bestätigt, dass, mit einem Anteil von 40 Prozent der Wähler_innen des FN, ein großer Teil aus der klassischen Arbeiterschicht komme. Beschäftigte im öffentlichen Dienst gehören ebenfalls zu den großen Wählergruppen. Sie machen mit 6 Millionen staatliche Angestellten bei einer Gesamtbevölkerung von 66 Millionen eine der größten Gruppen in Frankreich aus. Den massivsten Zulauf erfährt die Partei jedoch von den Katholiken. Kempin erklärt den Zulauf durch ein “Gefühl des gesellschaftlichen Abgehängtseins“. Doch dabei scheint es eher um den Verlust von Privilegien einer gesellschaftlich dominanten Minderheit zu gehen. Als Beispiel nennt sie dann die Ablehnung des Islams oder den exklusiven Zugang zu privaten Universitäten.

Nationalismus und Protektionismus

Der französische Wahlkampf ist bisher von Skandalen geprägt. Der bürgerlich-rechte Kandidat François Fillon steht wegen einer vermuteten Scheinanstellung seiner Frau unter Beschuss. Seine Umfragewerte sinken seit der Nominierung für seine Partei “Die Republikaner” stetig. Aber auch Marine Le Pen steht im Fokus der Justiz. Gegen sie wird wegen der Veruntreuung von EU-Geldern ermittelt. Ihren Beliebtheitswerten hat dies bisher aber nicht geschadet. Bei all den Skandalen gehe die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Wahlprogrammen teilweise unter, merkt Moderator Alexander Thamm an.

Das Wahlprogramm des „Front National“ steht unter einem deutlich nationalistischen Ton. Dies spiegelt sich beispielhaft in der Haltung zur Staatsbürgerschaft wider. So soll es nicht mehr möglich sein, über den Geburtsort die französische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Entscheidend ist nur noch die Abstammung der Eltern. Dadurch würden Kinder ausgegrenzt, die in Frankreich zur Welt gekommen sind, deren Eltern jedoch keine französische Staatsbürgerschaft besitzen. Sie hätten keine Möglichkeit, den französischen Pass zu erhalten. Ihnen drohen Nachteile in der Gesundheitsversorgung und auf dem Arbeitsmarkt.

In der Wirtschaftspolitik findet der Nationalismus im Protektionismus seinen Ausdruck. Michaela Wiegel wendet ein, dass der protektionistische Wirtschaftsplan des FN in einigen Elementen durchaus dem einiger linker Kandidaten, wie Benoît Hamon oder Jean-Luc Mélenchon ähneln würde. Der Gewerkschafter Bernhard Schmid widerspricht ihr in diesem Punkt. Im Programm des FN sei der Nationalismus das entscheidende Prinzip, der Rest sei austauschbar. Ganz nach dem Motto: “Franzosen zuerst. Der Rest ist Marketing“. Der FN habe seit den 1980ern einen Umschwung von einem neoliberalen Kurs zu einem sozialdemokratisch angehauchten Wirtschaftsprogramm vollzogen, so Schmid. Die einzige Konstante im Wahlprogramm sei, dass die Vorschläge sich nur auf Vorteile für Franzosen richten.

Le Pen sucht Nähe zu Russland – EU auf dem Abstellgleis

Außer Emmanuel Macron wirbt keiner der Kandidat_innen mit einem klaren Bekenntnis zur EU. Aber auch der Front National, dessen antieuropäische Haltung lange Zeit ein Alleinstellungsmerkmal unter den Parteien war, hält sich bei diesem Thema verhältnismäßig zurück. Das liege einerseits daran, dass innenpolitische Themen den Wahlkampf dominieren, andererseits zeigen neueste Umfragen, dass sich die Bürger_innen bei einem Referendum gegen den Ausstieg aus der EU aussprechen würden, berichtet Dr. Ronja Kempin aus ihrer Studie. Der Umgang mit dem Islam, die hohe Jugendarbeitslosigkeit und Versorgungsprobleme im ländlichen Raum interessierten die Wähler_innen derzeit mehr. Genau dort setzt der FN an.

In der Außenpolitik zeigt Le Pen Sympathien für eine engere Zusammenarbeit mit Russland. Auch mit dem syrischen Machthaber Assad habe die Partei kein Problem. Ende März empfing der russische Staatspräsident Wladimir Putin Le Pen in Moskau. Das Treffen wirkte eher wie ein Staatsbesuch, berichten Beobachter_innen. Zudem gebe es Anzeichen, dass der Front National finanzielle Unterstützung aus Moskau erhalten habe, so Brandtner. Tatsächlich hat die Partei 2014 ein Darlehen von neun Millionen Euro von einer russischen Bank erhalten (faz). Sollte Le Pen die Wahl gewinnen sei eine Neuausrichtung der französischen Außenpolitik zu erwarten. Einen gemeinsamen Standpunkt innerhalb der EU zu finden, wird dann noch schwieriger als bisher.

Wahl Le Pens stellt politisches System auf die Probe

Keinem der Gäste der Podiumsdiskussion gelingt es, Hoffnung und Optimismus zu verbreiten. Bernhard Schmid berichtet, dass die französischen Gewerkschaften Demonstrationen und Proteste planen. Ob es zu einer ähnlichen Mobilisierung wie bei der Stichwahl 2002 kommt, ist diesmal aber mehr als fraglich. Nachdem der Vater, Jean-Marie Le Pen, überraschend in die Stichwahlen eingezogen war, kam es in mehreren französischen Städten zu großen Demonstrationen. Im Vergleich zu 2017 fehle aber der Überraschungseffekt von damals, so Wiegel. Dieses Mal gilt Marine Le Pen als sichere Kandidatin für die Stichwahl am 7. Mai.

Doch selbst bei einem Gewinn Le Pens bei der Präsidentschaftswahl, könnte es schwierig für sie werden, ihre Politik durchzusetzen. Dafür bräuchte sie eine Mehrheit in der Nationalversammlung, die am 11. Juni 2017 gewählt wird. Eine absolute Mehrheit des FN scheint, stand jetzt, höchst unwahrscheinlich. Daher läuft es voraussichtlich auf zwei Szenarien hinaus. Entweder Frankreich steht vor einer bisher unbekannte Situation, sollten die Fraktionen im Parlament die Präsidentin blockieren, oder, so die Befürchtung Schmids, die Konservativen lassen sich auf ein Zweckbündnis mit dem Front National ein. Beide Optionen scheinen keinen der Anwesenden zu beruhigen. Daher heißt es erst einmal abzuwarten, wer am 23. April in die Stichwahl einzieht.

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