TikTok. Das klingt so prägnant, so brisant. Eine Lautmalerei, die eine tickende Zeitbombe ins Gedächtnis rufen kann. Seit 2018 ist TikTok auch der Name des am schnellsten wachsenden Kurzvideoportals der ganzen Welt. Betrieben als mobile App von der Beijing ByteDance Technology Ltd in Peking. Mittlerweile zählen circa 21 Millionen Deutsche, Tendenz steigend, zu den mehr als anderthalb Milliarden Benutzer*innen rund um den Globus. Unter ihnen befinden sich schon seit geraumer Zeit Mitglieder der Alternative für Deutschland. Ja, ausgerechnet die AfD. Dennoch was heißt „ausgerechnet“?
2013 wurde die AfD in Oberursel (Taunus) von weniger als 20 Gründervätern aus dem Boden gestampft. Die Partei europaskeptischer Professoren galt von Anfang an als verstaubt, kauzig und nicht zuletzt tollpatschig. Als sie später ihr westdeutsch geprägtes Gewand ablegte und mit den fünf neuen Ländern einen bislang vernachlässigten Wachstumsmarkt erschloss, stieß sie auf Resonanz.
Mit der „Osterweiterung“ ging auch die Radikalisierung deutlich einher. Eingeleitet wurde der Vormarsch nach rechts vor allem durch Björn Höcke, den Landes- und Fraktionsvorsitzenden der AfD in Thüringen. Wie ein Dirigent, der den Taktstock penibel nach der Partitur des Populismus schwingt, weiß Höcke, welche Töne wann anzustimmen. Das Holocaust-Mahnmal stempelt er als „Denkmal der Schande“ ab, und er warnt vor der „Fortpflanzung der Afrikaner“ auf deutschem Boden. Das Verfahren wegen Beleidigung gegen einen Demonstranten, der Höcke als „Nazi“ bezeichnet hatte, wurde übrigens eingestellt, weil die Etikettierung laut Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main ein „an Tatsachen anknüpfendes Werturteil“ beinhalte. Manche Labels zahlen sich in Wählerstimmen aus. Heutzutage erleben wir eine AfD, die von einem Umfragehoch zum anderen eilt.
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2023 stellte die AfD erstmalig einen Landrat in Deutschland, als Robert Sesselmann, bereits Landtagsabgeordneter, den CDU-Kandidaten Jürgen Köpper im thüringischen Sonneberg bei der Stichwahl besiegte. Zudem deuten aktuelle Wahlprognosen darauf hin, dass die AfD dieses Jahr, sowohl bei den Europawahlen als auch bei Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ihre bislang besten Ergebnisse überhaupt erzielen könnte. Doch damit nicht genug: Die Kommunalwahlen 2025 könnten sich für die Partei als nicht minderbedeutend erweisen. Ein erfolgreiches Abschneiden auf dieser Ebene würde der AfD eine große Anzahl neuer Mandate und somit die Möglichkeit bescheren, ein tragfähiges Netzwerk aus Funktionsträger*innen – gewissermaßen von hüben wie drüben – nachhaltig aufzubauen. Infolgedessen könnten jene neuen Mandatsträger*innen wiederum die Basis für den Aufstieg der AfD in höhere politische Ämter bilden.
Die Aussichten klingen insgesamt wie eine Steilvorlage für die Partei, die seit 2021 von der Doppelspitze Tino Chupralla und Alice Weidel geführt wird. Allerdings stößt die AfD auch auf Gegenwind. Aktuell wehrt sie sich vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen gegen ein Urteil aus der Vorinstanz, wonach sie als „rechtsextremistischen Verdachtsfall“ eingestuft worden war. Die Partei argumentiert unter anderem, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz („BfV“) sich bei seiner Einschätzung auch auf Aussagen von V-Leuten gestützt habe. Dahingegen erklärte ein Vertreter vor Gericht, das BfV habe V-Leute lediglich in geringem Umfang eingesetzt, und ihre Informationen seien nur kleiner Teil der Beweislage. Denn die gesammelten Belege würden primär aus den Reden von AfD-Funktionären stammen, deren Texte als Social-Media-Beiträge eifrig weitergeteilt werden.
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Wahrhaftig schreitet die Radikalisierung der AfD munter weiter voran, und mit ihr vergrößert sich schlagartig auch die Reichweite. Seitdem die Partei mittels Apps wie TikTok kommuniziert, erzielen einige Funktionäre sogar Influencer-Status. TikTok ist für die AfD also das, was Twitter (heute „X“) für Donald Trump war, der während seiner Amtszeit als US-Präsident die Plattform benutzte, um Falschinformationen zu verbreiten, seine Gegner*innen einzuschüchtern, internetaffine jüngere Wähler*innen zu erreichen und auch seine radikalsten Anhänger*innen – siehe den 6. Januar 2021 – zu mobilisieren.
Gingen die Wünsche vieler AfD-Gegner*innen in Erfüllung, vor allem nach den Correctiv-Enthüllungen, würde die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz in ein Verbotsverfahren gemäß Art. 21 des Grundgesetzes münden. Fakt ist, solange rechtsextreme Parteien zur demokratischen Wahl zugelassen werden, werden rechtsextreme Parteien auch demokratisch gewählt. Es ist aber auch wahr, dass das Verbieten einer Partei dazu führen kann, sie in ihrer begehrten Märtyrerrolle zu „legitimieren“. Die Erfahrungen aus den beiden gescheiterten Verbotsverfahren 2003 bzw. 2017 gegen die NPD (nunmehr „Die Heimat“) zeigen immerhin, dass ein langer Atem notwendig ist. Allerdings gibt es jetzt zu wenig Zeit, um ausgiebig Luft zu schnappen. Denn die AfD stilisiert sich jetzt schon vor der erwarteten Urteilsverkündung aus Münster als Opfer einer Verfolgung. Auf TikTok, wohl bemerkt, und währenddessen dringen die Inhalte der anderen Parteien kaum durch.