Netz gegen Nazis hat zu diesem Thema eine Serie erstellt: „Warum ich das nicht mehr hören will!“ Hier geht es nicht darum, Schimpfwörter zur Diskussion zu stellen, sondern Menschen, die nicht darüber hinweg hören wollen, die Gelegenheit zu geben, zu erklären warum. Denn wie der deutsche Schriftsteller Victor Klemperer in seinen „Notizen eines Philologen“ schrieb: „Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“
Petra Rosenberg, Geschäftsführende Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg
„Mit dem Begriff „Zigeuner“ verbinden die meisten Menschen im günstigen Fall Klischeevorstellungen wie feurige „Zigeunermusik“, Lagerfeuerromantik und tanzende Frauen in langen bunten Röcken. Im Gegensatz zu diesen noch scheinbar harmlosen Klischees gegenüber Sinti und Roma stehen allerdings schwerwiegende und diskriminierende Assoziationen im Vordergrund. Auch heute assoziieren die meisten Menschen Handlungen wie Stehlen, Betteln und Betrügen oft mit „Zigeunern“. Sinti und Roma selbst, von wenigen Ausnahmen abgesehen, empfinden die Bezeichnung „Zigeuner“ nicht nur deshalb als diskriminierend, weil sie unter der gleichen Bezeichnung von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, sondern auch, weil dieser Begriff diese eingängigen und negativen Klischeevorstellungen und Stereotypen nach sich zieht.
Deswegen will ich das Wort „Zigeuner“ nicht mehr hören. Die korrekte Bezeichnung „Sinti und Roma“ hat sich auf politischer Ebene etabliert. In der ethnologischen sowie in der soziologischen Wissenschaft hat sich spätestens nach 1945 durchgesetzt, alle Ethnien mit ihrer Eigenbezeichnung zu benennen, beispielsweise „Inuit“ anstatt „Eskimos“ und „Lakota/ Dakota“ anstatt „Sioux“.
Der Begriff „Zigeuner“ ist eine diskriminierende Fremdbezeichnung. Sinti und Roma haben sich selbst – in ihrer eigenen Sprache – nie als „Zigeuner“ bezeichnet. Dieses Wort existiert in unserer Sprache, dem Romanes, nicht. Einer besonderen Anmaßung kommt es gleich, wenn einige einige Historiker und Autoren behaupten, dass die Eigenbezeichnung der Sinti und Roma eine „Umbenennung“, „neue Bezeichnung“ oder gar ein „Namenswechsel“ sei. Diese und ähnliche Thesen sind bestenfalls dazu geeignet, die Dominanz einer herrschenden Gesellschaft zu zementieren, die sich auf das Recht der Gewohnheit beruft und einer Minderheit auch auf diese Weise ihre vermeintliche Überlegenheit und Macht demonstriert.
Die Begründung, die Bezeichnung „Zigeuner“ müsse für zurückliegende Epochen beibehalten werden, um die historische Kontinuität und Realität zu verdeutlichen und im Weiteren auch aus Respekt vor denjenigen, die unter diesem Namen verfolgt wurden, zeugt von mangelnder Recherche und fehlenden Kenntnissen.
Auch zu argumentieren, Begriffe wie „Zigeuner-Musik“ und „Zigeuner-Romantik“ seien mit positiven Assoziationen belegt und stellten daher keine Diskriminierung dar, ist zu kurz gegriffen. Denn diskriminierend ist nicht nur die Zuschreibung von negativ bewerteten Eigenschaften, sondern auch angeblich positiver Kennzeichen wie beispielsweise das der Musikalität. Beide schreiben Gruppenmerkmale als unveränderbar und identitätsstiftend fest. Einer Gruppe typische Merkmale zuzuschreiben, wird dem Einzelnen nie gerecht. Dabei ist es völlig irrelevant, welche Inhalte damit verbunden werden, denn Grundlage der Einschätzung Einzelner ist immer ein Bild von der eingebildeten Gesamtheit.
Der Versuch, uns immer wieder als „Zigeuner“ zu degradieren, ignoriert unsere Eigenbezeichnung und verdeutlicht die noch immer stattfindende gesellschaftliche Ausgrenzung und Unterdrückung eines Volkes, dem das Recht auf seine ursprüngliche, in der eigenen Sprache tradierte Bezeichnung abgesprochen wird.“
Hintergrund: Wo kommt das Wort eigentlich her?
Die Bezeichnung entstand laut dem Historiker Eberhard Jäckel im 14. Jahrhundert in Griechenland („atsinganoi“: Unberührbare) und wurde von dort in andere Sprachen übernommen (zum Beispiel: französisch „tsiganes“, italienisch „zingari“). In anderen Teilen der Welt wurden die „Zigeuner“ für Ägypter gehalten (daher englisch „gypsies“, spanisch „gitanos“).
Das Wort „Zigeuner“ tritt in Deutschland zum ersten Mal im 15. Jahrhundert auf. Ihre unkonventionellen Lebensformen, ihre unbekannte Herkunft und Sprache führten zu zahlreichen Gesetzen gegen „Zigeuner“. Das gipfelte in der Zeit des Nationalsozialismus in einem für Sinti und Roma bisher nie gekannten Ausmaß an Erfassung, Verfolgung und Vernichtungsaktionen. Die gegen sie gerichtete Rassenpolitik legitimierte nicht nur Zwangssterilisationen, sondern auch die Deportationen in die Konzentrations- und Vernichtungslager.
Gerade vor dem Hintergrund dieser schrecklichen Geschichte setzten Sinti und Roma im Zuge der Bürgerrechtsbewegung der späten 1970er Jahren durch, dass die Bezeichnung „Zigeuner“ im öffentlichen Diskurs nicht mehr verwendet wird.
Die Bezeichnungen im Singular lauten Sinto bzw. Sintiza (für im deutschsprachigen Raum lebende) und Rom bzw. Romni (für im europäischen Raum lebende Angehörige der Volksgruppe. Die Sinti sind zwar die größte Gruppe im deutschen Sprachraum, aber nicht die einzige; es gibt hier auch andere Gruppen wie die Lalleri oder Litautikker; auch sie gehören zu den NS-Verfolgten.
Aufgezeichnet und erstellt von Pamo Roth.
Zum Thema:
| Petra Rosenberg: „In der Minderheit – Sinti und Roma in Deutschland“
| Eberhard Jäckel: „Sinti, Roma oder Zigeuner?“