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Warum sollen wir dein Buch lesen? „Zum Reflektieren, wie wir Antisemitismus in Jugendkulturen begegnen“

Symbolbild (Quelle: Pixabay)

In dieser Reihe stellen wir Neuerscheinungen der letzten zwei, drei Jahre vor, die wir für Fachkräfte der Offenen Jugendarbeit durch einen interessant und wichtig finden. Dabei sollen die Autor*innen die Leser*innen selbst davon überzeugen, das Buch für das Team anzuschaffen und zu lesen. Die Bücher sind alle natürlich auch für andere Interessierte eine bereichernde Lektüre! Heute sprechen wir mit Jakob Baier über den Sammelband „Antisemitismus in Jugendkulturen. Erscheinungsformen und Gegenstrategien“.

 Die Interviews führt das Team von der ju:an-Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit.

ju:an: Jakob, Du bist Politikwissenschaftler und beschäftigst dich mit Antisemitismus. Was hat das eigentlich mit Jugendarbeit zu tun?
Jakob Baier: Während meines Studiums habe ich im schulischen und außerschulischen Bereich mit Jugendlichen gearbeitet. Während meiner Semesterferien war ich in Jugendprojekten im Ausland tätig, wie zum Beispiel in Namibia in einem Fußballprojekt oder in Kanada in einer Modellschule, zu deren Schulkonzept es gehörte, dass sich die Schüler*innen sozial engagieren. Als ich in Kassel Politikwissenschaften studierte, habe ich mich außerdem in der offenen Jugendsozialarbeit beim Straßenfußballprojekt Streetbolzer e.V. engagiert.

Und nach dem Studium folgten weitere Lehr und Forschungstätigkeiten-…
Später war ich Lehrbeauftragter an der Universität Kassel für jüdische Bildungsgeschichte sowie für die Zeitgeschichte und Gegenwart des Antisemitismus. Aus der zunehmend wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit modernen Erscheinungsformen des Antisemitismus, der Arbeit mit Jugendlichen und meinem Interesse an Jugend- und Musikkulturen hat sich mein Dissertationsprojekt über Antisemitismus im deutschsprachigen Gangsta-Rap erschlossen.

Was hat Dich motiviert, einen Sammelband zu Antisemitismus in Jugendkulturen herauszugeben?
Im besten Fall resultieren aus Forschungsergebnissen weitere Anschlussfragen. So ist es auch bei meinen Forschungen zum Antisemitismus im Rap. Mich hat interessiert, welche Bedeutung Antisemitismus in anderen Jugendkulturen zukommt. Gemeinsam mit dem Co-Herausgeber Marc Grimm entstand die Idee eines Sammelbandes, der auch andere jugendrelevante Kontexte in den Blick nimmt. Dieser Sammelband geht nun der Frage nach, inwiefern Antisemitismus in unterschiedlichen Jugendkulturen eine Rolle spielt und welche Gegenstrategien erfolgen müssen.

Um welche anderen Jugendkulturen geht es im Buch?
Der Sammelband nimmt zunächst weitere musikbezogenen Jugendszenen in den Blick. Maximilian Kirsten und Florian Eisheuer beschreiben in ihrem Beitrag über Punk und Hardcore, welche Erscheinungsformen des Antisemitismus in dieser Subkultur vorherrschen. Timo Büchner beleuchtet die Funktion des Antisemitismus als integraler Bestandteil rechtsextremer Ideologie und legt dar, auf welche Weise teils alte Motive des Antijudaismus und des völkisch-rassistischen Antisemitismus über rechtsextreme Musik weiter tradiert werden. Neben dem Buchabschnitt über Musik widmet sich der Sammelband jugendrelevanten Medien.

Zum Beispiel?
Melanie Babenhauserheide geht in ihrem Beitrag über die Harry-Potter-Reihe der Frage nach, inwiefern antisemitische Motive in der Jugendliteratur und den daraus entstehenden Fan-Erzählungen, den Fan Fictions fortleben. Markus Hunold und Niels Penke befassen sich mit Antisemitismus und NS-Verharmlosung auf Steam. Steam ist mit ca. einer Milliarde Nutzeraccounts die größte Gaming Plattform. Nutzer*innen treffen sich dort zum Spielen oder tauschen sich in Foren aus. Auch die rechtsterroristischen Attentäter von München oder Halle waren in Foren von Steam aktiv und haben sich dort mit Gleichgesinnten ausgetauscht. In diversen Foren von Steam sammelt sich ein Milieu von Nutzer*innen, die antisemitische Inhalte verbreiten, Opfer der Shoa verächtlich machen und teilweise den Nationalsozialismus offen glorifizieren.

Du beschäftigst Dich im Buch auch mit Antisemitismus in politischen und religiösen Gruppen…
Daniel Poensgen von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) untersucht den Antisemitismus in antiimperialistischen Jugendgruppen am Beispiel des „Jugendwiderstandes“ – eine Jugendgruppe, die einige Jahre in Berlin-Neukölln aktiv war. Zudem gibt es einen Artikel über die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“. Daneben widmet sich der Sammelband dem Vereinssport, genauer: dem Fußball. In einem Beitrag untersuchen Hannes Delto und Andreas Zick die Ausprägung des Antisemitismus in Fußballvereinen. Florian Beer, Marc Grimm und Shahar Viso nehmen die  jüdische Perspektive in den Blick und stellen auf Grundlage von qualitativen Interviews dar, wie jüdische Sportler*innen Antisemitismus in Fußballvereinen erleben.

Warum sollte man Deinen Sammelband lesen?
Menschen, die mit Jugendlichen arbeiten, wissen, dass man einen leichteren Zugang zu Jugendlichen erhalten kann, wenn man etwas über ihre Lebenswelt weiß. Natürlich kann man aber nicht von Erwachsenen erwarten, dass sie jugendkulturelle Phänomen und Praktiken kennen und vollends verstehen. Trotzdem kann ein wenig Wissen und Interesse an Jugendkulturen als Gesprächsbasis zwischen Jugendarbeiter*innen und Jugendlichen dienen.

Werden im Sammelband oder einzelnen Beiträgen auch Gegenstrategien dargestellt?
Die Beiträge im Sammelband reflektieren darüber, wie man Antisemitismus in Jugendkulturen begegnen kann. Einige Autor*innen sind selbst in der Jugendarbeit tätig. Die Autorinnen Marie Jäger, Anna Groß und Caner Ledesma Méndez berichten beispielsweise in ihrem Beitrag über Antisemitismus in deutschsprachigen Rap über ihre Erfahrungen und Eindrücke als Sozialarbeiterinnen und stellen Ansätze und Konzepte der politischen Bildungsarbeit vor. Im Fall der Gaming-Plattform Stream legen die Autoren dar, welche Maßnahmen vonseiten der Steam-Verantwortlichen ergriffen werden müssten, wenn antisemitische Inhalte über ihre Plattform Verbreitung finden.

Was ist das Ziel des Sammelbandes?

Mit dem Buch wollen wir die Sensibilität für Antisemitismus in unterschiedlichen jugendkulturellen Kontexten erhöhen. Die Leser:innen sollen im besten Falle befähigt werden, jugendkulturell vermittelten Antisemitismus zu erkennen und einordnen zu können. Das Einordnen hilft dabei im nächsten Schritt eine eigene Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Der Beitrag über die Erfahrungen junger Jüdinnen und Juden mit Antisemitismus im Vereinsfußball hilft zu verstehen, was Antisemitismus bei den Betroffenen auslöst. In erster Linie muss es darum gehen, jüdische Personen vor Antisemitismus zu schützen. Wenn nun Antisemitismus in der Lebenswelt von Jugendlichen vorkommt, mit denen man arbeitet, müssen die Verantwortlich im Umfeld der Jugendlichen intervenieren und notwendige Maßnahmen der Prävention oder gar der Repression entwickeln.

Jakob Baier ist Politikwissenschaftler an der Universität in Bielefeld und beschäftigt sich im Rahmen seiner Dissertation mit Antisemitismus im deutschsprachigen Gangsta-Rap. Gemeinsam mit Marc Grimm hat er den Sammelband „Antisemitismus in Jugendkulturen“ herausgegeben.

 

 

Antisemitismus in Jugendkulturen. Erscheinungsformen und Gegenstrategien
Herausgegeben von Jakob Baier, Marc Grimm
248 Seiten, 29,90 Euro, Mai 2022, Wochenschau-Verlag
https://www.wochenschau-verlag.de/Antisemitismus-in-Jugendkulturen/41142

 

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