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Was erreicht #SagsmirinsGesicht? Höflichen Hass

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Alle Aussagen haben wir auf Twitter und Facebook gelesen. Mal sehen, ob diese Argumente heute wieder kommen. (Quelle: btn)

 

Zwei Folgen von #SagsmirinsGesicht sind vorbei: Die einstündige Live-Diskussion via Skype mit „ARD aktuell“-Chefredakteur Kai Gniffke und die einstündige Live-Diskussion mit „Panorama“ und „Zapp“-Journalistin Anja Reschke. Mit Kritiker_innen – es sind allerdings weit mehr Kritiker – den Abend zu verbringen, ist sicherlich nicht die angenehmste Möglichkeit der Tagesgestaltung. Doch im Sinne der besseren Debattenkultur wollten sich die Journalist_innen ins Gespräch begeben – mit denen, die sich trauen, via Skype mit Kamerabild und mit Namen ihre Meinung zu äußern.

Aber was kann bei einem solchen Dialog herauskommen? Ist das ein Schritt zu mehr Beteiligungskultur, der Menschen zufriedener macht, verständnisvoller? Bisher ist bei Menschen, die sich gegen Hassrede, Rassismus und Rechtspopulismus engagieren, eher Konsens: Diskussionen lohnen sich nur mit denen, die für Argumente noch offen sind – oder um Haltung zu zeigen, dann geht es aber mehr um die schweigenden Mitlesenden als den Hasskommentator oder Rassisten selbst. 

Sag’s mir ins Gesicht! Ja und dann?

 

Hater holen das Popcorn und feiern sich

Nun also #SagsmirinsGesicht. Es wird über Skype live diskutiert. Aufgerufen zum Gespräch werden explizit Besorgtbürger_innen, die auch Hasskommentare schreiben. Faktisch werden die Anrufer_innen nicht sofort in den Stream gestellt, sondern es gibt ein redaktionelles Vorgespräch – normale Praxis. Kenntnis davon haben Internetnutzer_innen deshalb, weil Hater die Mails der Redaktion, ihre Formulierungen und Vorgehen minutiös ins Netz gestellt haben. Weil es sich bei den Hatern um solche handelt, die nur auf jeden Fehler einer Redaktion – oder einer diskutierenden Journalistin – warten, um darauf herumzureiten. Und die auch bereit sind, jede sachliche Reaktion anzuzweifeln und zu einem Fehler umzudeuten. Es geht um Menschen, die derartig explizite Profile haben, die etwa rechtsextreme Massenmörder feiern, andere Menschen permanent herabwürdigen und beschimpfen, dass die Redaktion von #SagsmirinsGesicht sich vermutlich schon gefragt hat, ob sie so jemandem ungeschnitten eine Bühne bieten wollen. Es geht aber auch um Menschen, die in verschiedenen sozialen Kanälen fünfstellige Follower-Zahlen haben, und kein Problem damit, ihre Fans  für Hass zu aktivieren. In diesem Fall für die Feier des Selbstwertgefühls der „prominenten“ Hater, und weil sie bereit sind, ihren Kopf für das Trolling der Journalist_innen hinzuhalten.

Das führte unter anderem dazu, dass einer dieser Hater zunächst nicht in den Chat gelassen wird – die Redaktion schreibt: Probleme mit dem Mikro. Der Hater, ein Youtuber, veröffentlicht dazu Fotos seiner – sehr professionellen – Ausstattung auf Twitter. Damit steht die Redaktion nicht sehr glaubwürdig da. Er aktiviert seine Community. Die bestürmt tagesschau.de. So sehr, dass diese später sogar via Facebook schreibt, sobald das Mikro funktioniere, wäre er dann dabei („da viele Nutzer nach ihnen verlangen“). Er kommt in die Sendung. Was er dort tut, ist eigentlich egal (Anja Reschke fragen, warum er bei einem anderen öffentlich-rechtlichen Format als Hater bezeichnet wird, wovon sie offenkundig nicht weiß und so bittet, die Frage an die betroffene Redaktion zu stellen) – er ist in der Twitter- und Youtube-Hass-Community mit dieser Aktion ein Held. Weil Reschke seine Frage nicht beantwortet, ist er ein noch größerer Held. Twitter explodiert unter einem passenden trotzigen Hashtag, der es in die Trends schafft: Darunter bestärken sich Menschen  in ihrem Hass auf die „Lügenpresse“, die die „Meinungsfreiheit“ beschneide, weil sie eine andere Weltsicht als die eigene verbreite. Wer die Twitter-Diskussion verfolgt, sieht, dass sich mit dieser „Debatte“ nichts erreichen lässt. Weil die Hass-Gemeinde nicht dialogbereit ist, gegen alle Regeln verstößt, nur von Niedertracht und Abwertung gelenkt wird, wird hier auch nur Hass verfestigt, mit allem, was der andere Diskutierende tut. Ergebnisse dieser „Diskussion“ sehen Sie im Bullshit Bingo (oben oder unten). Währenddessen stellen Blogs Listen zusammen, um all die „kritischen“ Menschen zu feiern, die es zu #sagsmirinsgesicht (in die „Zwangsmedien“, „Lügenmedien“  usw.) geschafft haben: „Ein kleiner Sieg in der Schlacht gegen die Lügenpresse. Aber der Krieg ist noch lange nicht gewonnen…“

Wer bekommt das mit? Nun, es wirkt zumindest stärkend und zusammenschweißend in die Hass-Community. Die, die durch den Dialog aufgewertet werden – und dadurch trotzdem nicht aufnahmefähiger für einen Austausch werden.

 

 

Und live? Kräftemessen statt Dialog

Was passiert währenddessen in den Live-Diskussionen? Heraus kommt höflicher Hass: Die Menschen auf den Monitoren benutzen nicht die abwertenden Schimpfworte, die sexualisierte Gewalt gegen Reschke, die Mord- oder Gewaltaufrufe. Tatsächlich ist kaum ein Anrufer dabei, der diese Sprache nicht sofort wortgewaltig verurteilt, während solche Äußerungen auf Twitter und Facebook permanent die Gespräche begleiten (Reschke liest immer mal wieder solche Kommentare vor). Inhaltlich sind es aber sinnlose Gespräche mit Menschen, die nicht zuhören, die die „Lügenpresse“ verschiedener Fehler überführen wollen, darüber schwadronieren, dass alle Zahlen zu Geflüchteten und Kriminalität gefälscht sind, die mit unüberprüfbaren Statistiken um sich werfen, die fragen, was denn das sein soll, diese Hassrede, ohne der folgenden Erklärung auch nur zuzuhören. Ja, man kennt diese Diskussionen aus dem Internet. Ins Gesicht gesagt werden sie höflicher, aber bringen genauso wenig. Und die armen Journalist_innen, die sich mit diesen Argumenten herumschlagen müssen, können deshalb auch keine Punkte machen. Weisen sie eine Fehlinformation von sich, sind sie arrogant oder lügen. Geben sie zu, zu einem Thema nichts sagen zu können, haben sie keine Ahnung. Und immer so weiter. Stellen sie eine Frage, bekommen sie keine Antwort. Zugleich ist das Format so langatmig, dass es sich wohl kaum demokratische oder unentschlossene Menschen bis zum Ende angesehen haben.

In der Facebook-Kommentarspalte überwiegt ebenfalls die Häme. Immerhin erhalten die Beiträge viele Kommentare. Wenn #SagsmirinsGesicht als Honigtopf aufgestellt worden wäre, um Hater_innen zu konzentrieren und anderen Teilen des Internets einen weniger hasserfüllten Abend zu ermöglichen, wäre das vielleicht als Erfolg wertbar. Ansonsten scheint dieser Dialog nur unerfreulich für die beteiligten Nicht-Hater_innen und wenig ergebnisreich.

 

Heute um 19 Uhr gibt es noch eine Folge von #SagsmirinsGesicht mit der WDR-Journalistin Isabel Schayani.

 

www.sags-mir-ins-gesicht.de

 

Alle Namen, Hashtags usw. sind der Redaktion bekannt, alle Screenshots vorhanden. Wir haben nur keine Lust, sie hier zu nennen, damit sich die erwähnten Hasstrolle nicht noch prominenter vorkommen.

 

Bullshit Bingo der vergangenen Diskussionen (Auszug): 

Das ist ja hier wie 1933 mit der Gleichschaltung der Medien.Hetze? Das ist pointierte, kritische, zynische Meinungsäußerung!Die Opinionleader in den Medien sehen nur ihre Felle davonschwimmen!Fakten werden ignoriert mit „Mir passt Dein Ton nicht, musst wohl ein Hater sein“Immer wenn Sie mit Fakten konfrontiert werden, tauchen sie ab!Hetzen, Hetzen, man hört nichts anderes mehr.Schreibt man nur etwas Kritisches gegen den Islam, schon ist man ein Hetzer.„Mimimi, ich werde im Internet geärgert.“Die Tagesschau instrumentalisiert hier ihre Kritiker.Immer ist der Hass rechts.Öffentlich-rechtliche Sender sind die wahren Fake-News-Lieferanten (Schimpf-Füllwörter bitte selbst dazudenken).Diskussionskultur bei „Sags mir ins Gesicht“: Gefiltert, dann gelogen und von der Diskussion herausgeworfen.„Bitte kritisiert uns, aber wenn ihr uns wirklich kritisiert, schmeißen wir Euch raus!“Lassen Hater nicht ausreden und würgen sie einfach ab.Ihr wollt gar keine kritischen Meinungen hören.

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