Eine Flyerreihe der Amadeu Antonio Stiftung erklärt Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit: Was ist Feindschaft gegen Obdachlose? Wie erkenne wir sie? Was können wir tun?
Es gibt Menschen, die ihren Tag zwischen Parkbank, Gehsteig, Fußgängertunnel und Supermarkt-Parkplatz verbringen. Es gibt Menschen, die im Park oder auf der Straße schlafen und dem Anschein nach keine Wohnung haben. Wer darüber nachdenkt, wie das sein mag, ein Leben ohne Schutz und Rückzugsraum, dem wird schnell klar, dass das kein angenehmes Leben ist, und keines, das Menschen wählen, wenn sie Alternativen sehen. Trotzdem gibt es viele Menschen, die Wohnungs- bzw. Obdachlosen mit Misstrauen oder Respektlosigkeit begegnen und sie als minderwertig behandeln. Diese Abwertung wird oft mit Nützlichkeitsdenken erklärt: Sie täten nichts für die Gesellschaft, wären also nicht nützlich und deshalb weniger wert. Das ist eine Abwertung, die in ihrem Wesen menschenfeindlich ist und die genutzt wird, um sich selbst im Gegenzug aufzuwerten – ja, sich sogar das Recht zuzuschreiben, einen anderen Menschen zu quälen oder zu töten. Die Menschenrechte und das Grundgesetz sehen das allerdings anders.
Vorurteile, die von vielen Menschen geteilt werden, fühlen sich selbstverständlich an. Doch die Feindschaft gegen Obdachlose ist keine „natürliche“ Reaktion. Sie basiert auf Vorurteilen. Aber weil sie so häufig vorkommt, wird sie selten hinterfragt. Die Feindschaft beginnt, wenn Nicht-Obdachlose
Obdachlosen das Recht absprechen, selbst zu bestimmen, wo sie sich aufhalten: In einer Befragung gibt ein Drittel der Menschen in Deutschland an, Obdachlose sollten aus den Innenstädten entfernt werden, damit man sie nicht sehen muss.
Wie erkenne ich das?
Wohnungslose verfügen über keinen eigenen Wohnraum, können aber in Heimen oder sonstigen Unterkünften untergebracht sein. Manchmal verheimlichen Wohnungslose ihre Situation aus Angst vor negativen Reaktionen. „Wohnungslos“ ist der allgemeinere Begriff; „obdachlos“ sind Menschen, die sich im Freien aufhalten und auch dort übernachten. Wohnungs- und Obdachlosigkeit sind oft durch Armut, Krankheit oder eine schwere Lebenskrise bedingt. Die Menschen brauchen also Hilfe und Unterstützung, erfahren aber häufig Abwertung und Hass – was eine schwierige Lebenssituation noch einmal schwerer macht. Die feindselige Haltung der Umwelt ist zudem diskriminierend und undemokratisch.
Hinzu kommt, dass Obdachlose häufig Opfer von Gewalt werden – unter anderem, weil die Täter*innen der Meinung sind, die Opfer hätten das „verdient“. Sie schlagen, quälen und töten Obdachlose, weil sie sie als wertlos für ihre undemokratische Vorstellung einer „Volksgemeinschaft“ ansehen.
Solche Ideen führten im Nationalsozialismus dazu, dass rund 10.000 Obdach- und Wohnungslose im Namen der „Rassenhygiene“ als sogenannte „Arbeitsscheue“ und „Asoziale“ zwangssterilisiert, in Konzentrationslager eingewiesen und ermordet wurden. In der DDR stand „Asozialität“ im Strafgesetzbuch, war also strafbar mit der unbegründeten Annahme, dass, wer wohnungslos sei, auch kriminell werde und eine „permanente Entwendung von Volksvermögen“ vollziehe. Eine Kriminalisierung von Obdachlosigkeit gab es ebenfalls in der Bundesrepublik. Bis 1967 konnten Menschen inhaftiert werden, nur weil sie obdachlos waren – die Begründung lautete zynischerweise: Selbstschutz. Heute ist das nicht mehr möglich. Aber die Vertreibung von Obdachlosen aus der Innenstadt und öffentlichen Gebäuden ist weiter Praxis.
Das Ausmaß der Gewalt gegen Obdachlose ist vielen nicht klar – auch, weil nicht alle Gewalttaten bei der Polizei angezeigt werden und die Medien oft nur über besonders brutale Taten berichten. Die Motivation der Täter*innen bleibt dabei meist im Dunkeln. In der Regel geben sie „Lust, jemanden zusammenzuschlagen“, als Grund an. Die menschenfeindliche Ideologie hinter dieser Aussage wird selten hinterfragt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. zählte von 1989 bis 2017 insgesamt 236 Todesfälle und 794 Körperverletzungen von Obdachlosen durch Angriffe von Nicht-Wohnungslosen. Unter den 193 Todesopfern rechtsextremer Gewalt seit 1990 sind 26 Obdach- und Wohnungslose, dazu kommen acht Menschen, die ermordet wurden, weil die rechtsextremen Täter*innen sie als „Asoziale“ ansahen.
Weibliche Obdachlose sind oft weniger sichtbar als Männer, weil viele wohnungslose Frauen in „verdeckter Obdachlosigkeit“ leben: Sie schlafen seltener auf der Straße, wo sie Gewalt und Missbrauch erleben, sondern wechseln zwischen Notunterkünften, Frauenhäusern und Obdachlosenheimen oder kommen bei Bekannten unter, was zu sexuellem Missbrauch führen kann. Oder sie kehren zeitweilig zu ehemaligen, oft misshandelnden Partnern zurück. Obdachlosenunterkünfte nutzen weibliche Obdachlose oft nur, wenn sie ausschließlich für Frauen geöffnet sind.
Dieser Flyer ist Teil einer Reihe, die unterschiedliche Formen der Abwertung bestimmter Gruppen in der Gesellschaft erklärt. Wenn wir uns für Gleichwertigkeit, gegen Diskriminierung einsetzen, gilt das für alle ohne Ausnahme. Auch wenn wir nicht wissen, ob direkt Betroffene anwesend sind. Wichtig dabei ist: Wer selbst diskriminiert wird, ist nicht davor geschützt, seinerseits andere abzuwerten.
Die Flyer und weitere Informationen erhältst du auf www.amadeu-antonio-stiftung.de/themenflyer-zu-gruppenbezogener-menschenfeindlichkeit/. Die Amadeu Antonio Stiftung kann dir auch helfen, dich gegen andere Formen von Diskriminierung und Gewalt zu wehren und zu engagieren.
Der Flyer zum Download: Feindlichkeit gegen Obdachlose
Alle Flyer der Reihe:
- Abwertung von Menschen mit Behinderungen
- Altersdiskriminierung
- Antisemitismus
- Antimuslimischer Rassismus
- Diskriminerung aufgrund sozialer Herkunft
- Feindlichkeit gegen Obdachlose
- Feindschaft gegenüber geflüchteten Menschen
- Homo- und Transfeindlichkeit
- Lookismus
- Rassismus
- Rassismus gegen Sinti und Roma
- Sexismus