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Was verbindet die NPD mit den neonazistischen Kameradschaften?

Die Atmosphäre zwischen der NPD und den Freien Kameradschaften (FK) ist oft wenig solidarisch. In den vergangenen Jahren verhinderten jedoch die politischen Differenzen selten enge Kooperationen. „Es zählt, was eint“, verkündet der Bundesvorsitzende Udo Voigt regelmäßig. Die NPD-Bundesführung und FK-Führer sehen in den Unterschieden längst auch Chancen. Auf dem Bundesparteitag in Berlin 2006 wählten die Delegierten einen der Vordenker der FK, Thorsten Heise, wieder in den Bundesvorstand. Sein Parteiauftrag: Verbindung zu den „freien Kräften“. Mit selben Auftrag sitzt Thomas Wulff im Vorstand, der ebenso die FK-Strukturen aufgebaut hatte.

 

Längst hat die Parteispitze erkannt, dass die etwa 200 FK im vorpolitischen Raum Jugendliche und junge Erwachsene eher ansprechen als NPD-Strukturen. Die FK wirken attraktiver, denn in ihr sind militante Neonazis, aggressive Rechtsrocker und rechtsorientierte Jugendlich vereint, die Aufmärsche, Konzerte, Fußballturniere, Ausflüge und Partys ausrichten. Das Private geht ins Politische über, und eine solch enge, im Alltag verankerte Verbindung erleichtert die Identifikation des Einzelnen mit den politischen Inhalten und die Integration in das strukturelle Netzwerk. Neonazismus wird Fun und das Erleben Lifestyle. Jene Jugendliche und jungen Erwachsenen möchte die NPD für die Parteiarbeit und bei Wahlen gewinnen. Auf die Frage der ’neu rechten‘ Wochenzeitung ‚Junge Freiheit‘ zum Verhältnis der NPD zu den FK antwortete Voigt 2004: „Wir versuchen neben Nationalliberalen und Nationalkonservativen eben auch die nationalsozialistische Strömung zu integrieren, da eine Abgrenzung nur dem politischen Gegner hilft“.

Schon 2004 unterstützten FK-Strukturen, wie die mittlerweile verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz (SSS), die NPD bei der Landtagswahl in Sachsen. Die lokalen Kameradschaften sind mit überregionalem ‚Aktionsbüros‘ informell vernetzt. Über Jahre blieben die FK, die sich bewusst in Abgrenzung zu den extrem rechten Parteien auch „Freie Nationalisten“ oder „Freie Kräfte“ nennen, der NPD fern. Ihr Führungspersonal, darunter Christian Worch, Wulff und Heise, hielt der NPD vor, strategisch zu parlamentarisch und programmatisch zu legalistisch ausgerichtet zu sein. Sie selbst verklären ihre ideologischen Traditionen und politische Visionen selten, denn für sie ist der Nationalsozialismus eine gesellschaftliche Alternative und die Organisationen SA und SS kämpferische Ideale. Auf ihrer Website verkündeten die FK Nationalen Sozialisten Magdeburg 2006: „60 Jahre nach der Zerschlagung des Großdeutschen Reiches [?] nach dem Verbot der NSDAP, gibt es in Deutschland wieder junge Menschen, die sich zum Nationalsozialismus bekennen“ (nationale-sozialisten.com, 10.03.2006).

Mitte der 1990er Jahren begannen Worch, Wulff und Heise das FK-Netzwerk aufzubauen. Der Grund: In den Jahren von 1992 bis 1995 hatten Innenministerien einige neonazistischen Kleinstparteien und Gruppen verboten. Die Nationale Liste, die Worch und Wulff führten, und auch die Freiheitliche Deutschen Arbeiterpartei, der Heise angehörte, waren betroffen. Statt aber wieder eine Partei zu gründen, riefen sie dazu auf FK aufzubauen ? getreu dem Motto „Organisierter Wille braucht keine Partei“. Fast zehn Jahre später sahen Wulff und Heise die Rolle der Partei anders. Kurz vor der Wahl in Sachsen machten sie zusammen mit dem FK-Kader Ralph Tegethoff ihren Eintritt in der NPD öffentlich. Ein politisches Signal für die FK-Szene. Nach „vertrauensbildenden Gesprächen“, schrieben sie in der „Erklärung zum Eintritt in die NPD“ am 17. September 2004, wäre eine „zukunftsorientierte Möglichkeit der Zusammenarbeit“ erkennbar geworden. Das Verhältnis war zuvor durch das NPD-Verbotsverfahren belastet gewesen. Wieder warfen FKler der Partei vor, zu moderat zu sein, und fragten sich, ob die NPD noch zur „nationalen Bewegung“ gehöre. Das Auffliegen von V-Männern in der NPD bei dem Verfahren erschwerte die Beziehung zusätzlich. „Gereifter“ sei jedoch die NPD aus dem Verfahren herausgekommen, erklärten Wulff, Heise und Tegethoff und betonten, „die Partei“ gehöre zum „nationalen Widerstand“ und ihr „Kampf auf parlamentarischer Ebene“ sei ebenso „wichtig“ wie der „dazu parallel verlaufenden Kampf auf der Straße“.

Seitdem helfen FK der NPD zunehmend bei Wahlen. Doppelmitgliedschaften sind nicht mehr unüblich. Das Miteinander verläuft in den 16 Bundesländern je nach Zuneigung der NPD und FK-Kader unterschiedlich. In Mecklenburg-Vorpommern gehört der FK-Kader Tino Müller zur NPD-Fraktion. Weitere FKler sind bei der Fraktion angestellt. Nachdem sich in Hamburg der Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger als NPD-Landeschef durchgesetzt hatte, sahen die FK sogleich die Möglichkeit zu einer „konstruktiven Zusammenarbeit“. In Niedersachen gelang es dem NPD-Spitzenkandidaten Andreas Molau, die FK für die Unterstützung bei der Landtagswahl 2008 zu gewinnen. Selbst Worch, der die NPD scharf wegen ihrer moderaten Politik kritisiert, konnte er überzeugen. Enge Kooperationen bestehen in Sachsen, Thüringen und Schleswig-Holstein. In Sachsen-Anhalt wenden sich die FK ? wie die Nationalen Sozialisten Magdeburg im Juli 2007 ? der NPD-Jugend, den Jungen Nationaldemokraten, zu. Die Kameradschaften der Autonomen Nationalisten ? eine Strömung im FK-Spektrum ? halten mehr Distanz zur NPD. Offen inszenieren sie sich als militanter und radikaler. Die AN marschieren aber dennoch mit der Partei auf, ob in Berlin, Brandenburg oder Nordrhein-Westfallen.

Die Kontaktfreude der Bundesführung führt in der Partei allerdings auch zu Verunsicherung. „Konservative“ NPDler befürchten, dass der Gestus der FK den Bemühungen der NPD, ein bürgerlicheres Image zu erlangen, zuwiderlaufe. Doch die Parteispitze schätzt das Mobilisierungskapital der FK und dessen Attraktivität für Jugendliche.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch 88 Fragen und Antworten zur NPD von Fabian Virchow und Christian Dornbusch (Hrsg.) (Schwalbach 2008)
Wir bedanken uns beim Wochenschau-Verlag für die freundliche Genehmigung.

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