Johanna Treidl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Sie forscht zum Einsatz juristischer Mittel durch rechtsextreme Akteur*innen und zu Beratungsformen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt.
Cornelius Helmert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Er arbeitet zum Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis, unter anderem im Zusammenhang mit politischer Jugend- und Erwachsenenbildung.
Belltower.News: Wurdet ihr schon mal von rechtsextremer Seite verklagt? Und rechnet ihr damit nach der Studie?
Johanna Treidl: Verklagt wurden wir persönlich noch nicht und wir hoffen natürlich, dass uns auch jetzt nicht gleich eine Klage ins Haus flattert. Wenn doch, dann wäre es ja quasi eine Bestätigung dessen, was wir untersucht haben.
Cornelius Helmert: Wir haben ja bewusst nicht die rechtsextremen Akteur*innen und auch nicht die Kanzleien untersucht, sondern uns auf die Betroffenen-Perspektive konzentriert. Wir haben alles weitestgehend anonymisiert und damit ein bisschen Wind aus den Segeln genommen. Von daher glaube ich nicht, dass wir mit solchen Angriffen zu rechnen haben. Ich gehe eher davon aus, dass versucht wird, die Wissenschaftlichkeit der Studie anzugreifen.
Was sind die zentralen Erkenntnisse eurer Studie?
Cornelius Helmert: Ein Hauptaugenmerk unserer Studie war ja die Frage: Ob und wie juristische Interventionen strategisch und ganz bewusst von Akteur*innen der extremen Rechten eingesetzt werden? Auf Grundlage unserer Erhebungen können wir sagen: Ja, das wird sowohl in den Aussagen der Betroffenen als auch von den Expert*innen, die wir befragt haben, so erkenntlich.
Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass mehr als die Hälfte der Fälle sich erledigt haben, wenn die Betroffenen das erste anwaltliche Schreiben oder Ähnliches ignorieren oder sich anwaltlich dagegen wehren. Hier zeigt sich, dass es nicht darum geht, wirklich das Recht durchzusetzen, sondern vielmehr, dass es ein Versuch ist, mit relativ einfachen Mitteln einzuschüchtern oder Abmahnungszahlungen einzustreichen. Das ist eine bewusste Strategie.
Und was wir auf jeden Fall sagen können, ist, dass diese Strategie erhebliche Auswirkungen auf die Betroffenen hat. Damit sind nicht nur die direkt Betroffenen gemeint. Solche Interventionen haben auch Auswirkungen auf das soziale Umfeld und die gesamte Gesellschaft. Wenn das professionelle Umfeld beispielsweise mitbekommt, dass eine journalistische Kollegin gerade mit so einem Fall konfrontiert ist, führt das teilweise auch dazu, schon präventiv selbst anders zu berichten oder sich sogar ganz anderen Themenfeldern zuzuwenden.
Wer sind die Betroffenen solcher Interventionen?
Johanna Treidl: Wir haben uns unterschiedliche Betroffenen-Gruppen angesehen: Aus den Bereichen Journalismus, Kunst und Kultur, aus der Lokalpolitik und vor allem auch aus den Bereichen Wissenschaft und Aktivismus. Und auch Politische Bildung ist dann im Laufe der Untersuchung immer deutlicher als ein Bereich erkennbar geworden, in dem Personen betroffen sind.
Der Begriff der juristischen Intervention in eurer Studie umfasst auch die Androhung von juristischen Mitteln. Was wären weitere Interventionsformen?
Johanna Treidl: Ja, auch schon die Androhung von juristischen Mitteln haben wir als juristische Intervention gewertet. Das beginnt rein verbal, aber nimmt dann häufig auch die Form von Anwaltsschreiben an, was ja dann schon manifester ist. Noch ein Schritt weiter sind dann gerichtliche Klagen. Was Texte oder Bücher betrifft, die veröffentlicht werden sollen, gibt es auch sogenannte einstweilige Verfügungen, die vorläufig verhindern, dass der Text publiziert werden kann. Das ist dann mitunter mit großen Kosten verbunden, auch für die Verlage. Wenn ein Werk, das eigentlich veröffentlicht werden soll, plötzlich nicht mehr gedruckt werden darf.
Macht es das auch für Verlage nachhaltig unattraktiver, diese Art von Publikation überhaupt anzustreben?
Johanna Treidl: Das ist für die Verlage selbst immer eine Abwägungssache. Aber ja, mitunter mag das kleinere Verlage, die finanziell nicht so gut dastehen und kein eigenes Justiziariat haben, schon abschrecken.
Cornelius Helmert: Vor allem bei den Befragten, die schon häufiger mit juristischen Interventionen konfrontiert waren, gibt es aber auch gewisse Lerneffekte und auch eine Professionalisierung. Bei der Berichterstattung über bestimmte Themen zum Beispiel, rechnen die Journalist*innen bereits damit, dass es zu juristischen Angriffen kommen könnte. Dann achten sie von Anfang an darauf, rechtssichere Formulierungen zu wählen und beispielsweise Spekulationen nicht einzubringen, selbst wenn sie gut unterfüttert sind. Gerade in größeren Redaktionen oder Verlagen wird ein wachsender Erfahrungsschatz weitergegeben. Unabhängige und freie Journalist*innen befinden sich da vielmehr in Problemlagen, weil ihnen teilweise ein solches Netzwerk fehlt, um sich zur Wehr zu setzen.
Johanna Treidl: Aus der Studie ging auch klar hervor, dass sich solche juristischen Interventionen aber verstärkt gegen vulnerable Personen richten, die beispielsweise finanziell nicht so stark aufgestellt oder nicht so gut in solidarischen Netzwerken eingebunden sind und dadurch keinen großen Rückhalt haben. Wenn dann plötzlich so ein Anwaltsbrief reinflattert, verunsichert das Personen in solchen vulnerablen Positionen vielmehr und ihnen fehlt ein Netz, das sie auffangen würde.
Sind außergerichtliche juristische Mittel für die Akteur*innen der extremen Rechten auch praktisch, weil sie einen sehr geringen Aufwand bedeuten im Verhältnis zu dem, was sie bei den Betroffenen oft auslösen?
Cornelius Helmert: Ja, im Zweifelsfall bedeutet das, dass ein Anwalt fünf Minuten nutzt, um in einer Vorlage die Adressen zu ändern und das rauszuschicken. Es gibt eine sehr große Bandbreite von finanziellen Forderungen, die damit einhergehen. Sehr häufig bewegt sich das im mittleren vierstelligen Bereich. Da müssen die betroffenen Aktivist*innen, Vereine und Journalist*innen überlegen, ob sie diesen Rechtsstreit eingehen, oder ob sie nicht doch lieber den Tweet oder die Aussage auf Instagram oder ähnliches einfach zurücknehmen, um gar nicht Gefahr zu laufen, dass sie dann 4.000 oder 5.000 Euro zahlen müssen.
Johanna Treidl: Und das verändert natürlich auch den öffentlichen Diskurs und die Debatte. Hier wird wieder deutlich, dass es sich eben um eine Strategie handelt, die darauf abzielt, dass kritische Meinungen und vielleicht auch explizite Kritik, die womöglich juristisch anfechtbar wäre, in öffentlichen Debatten gar nicht erst geäußert werden.
Werden juristische Interventionen als Strategie innerhalb der extremen Rechten denn auch explizit propagiert?
Cornelius Helmert: Wir ordnen das in der Studie auch ein, in die neurechte Strategie der Metapolitik. Dabei geht es darum, eine kulturelle Hegemonie zu erlangen – ein Konzept, dass eigentlich von Antonio Gramsci, also von der Linken kommt. Das Ziel ist, zu bestimmen, wie in der Öffentlichkeit Diskurse verlaufen. Das wird bewusst als Strategie ausgegeben und auch von unterschiedlichen Akteur*innen der Neuen Rechten immer wieder explizit hervorgehoben. Es geht darum, die Deutungshoheit zum Beispiel auch in Parlamenten zu übernehmen und zu bestimmen, worüber und wie über die Dinge gesprochen wird. Auch darum, welche Begriffe in der öffentlichen Debatte verwendet werden, oder durch den bewussten Einsatz von Social Media zu bestimmen, wie der öffentliche Diskurs verläuft. Auch die juristischen Interventionen der extremen Rechten sind als ein Mittel im Kampf um eine solche Hegemonie einzuordnen.
Könnt Ihr ein Beispiel dafür nennen?
Cornelius Helmert: Akteur*innen aus der AfD haben sich beispielsweise immer wieder juristisch dagegen gewehrt, als rechtsextrem bezeichnet zu werden. Es geht dabei darum, mit juristischen Mittel darüber zu bestimmen, als was sie bezeichnet werden dürfen und als was sie eingeordnet werden.
Haben juristische Interventionen der extremen Rechten in den letzten Jahren zugenommen?
Johanna Treidl: Ja, man muss allerdings sagen, dass es sich bei unserer Studie um eine Dunkelfeldstudie handelt. Das heißt, was genau die Grundgesamtheit der Fälle ist, wissen wir nicht. Unsere Studie zeigt aber deutlich, dass es laut der Befragten vor allem ab etwa 2014 eine starke Zunahme von solchen juristischen Interventionen gab und auch im Zeitraum 2020/21. Es lassen sich also gewisse zeitliche Verschränkungen feststellen, beispielsweise mit der Gründung der AfD und auch der Corona-Krise und den Anti-Corona-Maßnahmen-Demonstrationen.
Welche Rolle spielt die AfD in eurer Untersuchung?
Johanna Treidl: Rund die Hälfte der Betroffenen ordnete die Akteur*innen, von denen diese juristischen Interventionen ausgehen, dem Umfeld von Parteien wie der AfD oder der NPD zu. Das hat zum einen mit deren Netzwerken zu tun. Zum anderen auch mit den finanziellen Mitteln. Dadurch, dass die AfD auch in Landtage eingezogen ist und dann auch in den Bundestag, hat sie Zugriff auf Gelder, der so zuvor nicht bestand.
Cornelius Helmert: Die juristischen Interventionen können aber nicht losgelöst von anderen Interventionen gesehen werden. Unterschiedliche Untersuchungen zeigen, wie vor allem die AfD in den verschiedenen Landesparlamenten Kleine und Große Anfragen nutzt, um gegen Vereinen und Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, vorzugehen. Dadurch wird ein gewisses Bedrohungsszenario aufgebaut. Wenn zum Beispiel nach Beschäftigten solcher Initiativen gefragt wird, die Schulprojekttage leiten, und diese namentlich benannt werden, dann stellt das für die Betroffenen persönlich ein sehr großes Bedrohungsszenario dar. Und wenn diese Betroffenen dann noch eine Unterlassungsaufforderung von einem Anwalt auf den Tisch bekommen, dann bedeutet das großen psychischen Druck.
Wie erfolgreich sind diese juristischen Interventionen denn letztlich?
Cornelius Helmert: Ich fand überraschend, dass es in vielen Fällen relativ einfach ist, sich dagegen zu wehren. Bei den Befragten, die mit einer juristischen Intervention konfrontiert waren, haben das 30 Prozent ignoriert und nie wieder etwas davon gehört. Rund 25 Prozent haben sich anwaltlich gewehrt. Das heißt, ein eigener Anwalt hat dem ursprünglichen Schreiben widersprochen. Und darauf gab es dann nie wieder eine Reaktion. Das hat mich doch überrascht, dass es oft so einfach ist, dem zu begegnen.
Johanna Treidl: Genau, wie Cornelius das beschreibt, sind die Akteur*innen mit diesen juristischen Interventionen selber oft gar nicht erfolgreich. Aber drei Viertel der Personen ist von einer solchen Intervention sehr stark emotional und psychisch belastet. Die Hälfte der Personen verspüren, wenn sie daran denken, auch nach längerer Zeit noch Angst. Diese Strategie ist also insofern nachhaltig erfolgreich, als sie Betroffene einschüchtert und längerfristig Einfluss auf sie ausübt. Etwa acht Prozent der Befragten haben angegeben, dass sie sich daraufhin auch beruflich neu orientiert haben und sich beispielsweise nicht mehr derart politisch sensiblen Themen in ihrer journalistischen oder wissenschaftlichen Arbeit gewidmet haben. Und daran zeigt sich ja durchaus, dass diese Strategie leider wirksam ist.
Was muss sich ändern, um dieser Strategie der extremen Rechten wirksam entgegenzutreten?
Johanna Treidl: Zum einen gibt es großen Bedarf an Schulungsangeboten zum Umgang mit solchen Interventionen. Zum anderen sind insgesamt klarere Strukturen notwendig. Es gibt Anlaufstellen für Personen, die Opfer von zum Beispiel rassistischer oder antisemitischer Gewalt geworden sind, aber spezifisch in Bezug auf juristische Angriffe fehlt noch eine Anlaufstelle für Betroffene.
Cornelius Helmert: Es bräuchte eine Beratungsstelle, die aber gegebenenfalls auch finanzielle Unterstützung bereitstellen kann und die sich wirklich an alle Betroffenen wendet. Also gerade auch für vulnerable, nicht so gut vernetzte Personen Unterstützung bietet.
Muss sich auch etwas in der Berichterstattung über dieses Thema ändern?
Cornelius Helmert: In der Berichterstattung nehme ich schon sehr stark wahr, dass Einzelfälle Aufmerksamkeit erfahren, dass das aber meist einzelne Schlaglichter sind, über die punktuell berichtet wird. Zu selten werden diese Fälle eingebettet in eine Gesamtdarstellung davon, dass es eine Bedrohungslage unabhängig von einzelnen Kleinstädten in Ostdeutschland oder Westdeutschland gibt – dass diese Bedrohungslage in Deutschland insgesamt besteht. Und ich hoffe, dass wir damit auch einen Beitrag leisten können, dass dieses Gesamtbild erhellt wird.
Johanna Treidl: Es wäre auch gut, wenn Erfolgsmeldungen mehr Raum in der Berichterstattung hätten. Oft bestärkt das Betroffene, sich auch selbst zu wehren.
Das geschaffene Bedrohungsszenario wird durch eine fortgesetzte Passivität ja auch stärker…
Johanna Treidl: Ja, das würden wir gerne mitgeben mit unserer Studie, dass es sich lohnt, sich zu wehren. Und die Vernetzung und das Eingebundensein von Akteur*innen, egal aus welchen der Bereiche – aus Journalismus, Wissenschaft, Kunst, Kultur – ist oft entscheidend. Solidarisierungseffekte schaffen ganz andere Möglichkeiten, auf solche Interventionen zu reagieren.