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Wehrhafte Demokratie Kein Ort für Neonazis – wenn Zivilgesellschaft und Verwaltungen zusammenarbeiten

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Menschenverachtende Einstellungen haben viele Ursachen, neonazistische Strukturen haben viele Erscheinungsformen. Um darauf angemessen und schnell reagieren zu können, sind viele verschiedene  Akteur*innen nötig, die ihre Erfahrungen, Informationen und Ressourcen einbringen. Dabei können sowohl zivilgesellschaftliche Gruppen wie Bürgerinitiativen, Aktionsbündnisse oder Vereine, als auch Bürgermeister*innen sowie öffentliche Verwaltungen einen wichtigen Beitrag leisten. Schaffen beide Strukturen eine Zusammenarbeit, wird es für Neonazis und andere Demokratiefeinde schwer, ihre Einstellungen in der Gesellschaft salonfähig zu machen und ihre Strukturen zu festigen. Wenn zivilgesellschaftliche Gruppen und öffentliche Verwaltungen dagegen nicht zusammen arbeiten oder sie sich gar untereinander in Konflikten verlieren, entstehen dagegen Freiräume für Neonazis, die diese geschickt auszunutzen wissen.

Anhand der Erfahrungen, die in der Zusammenarbeit zwischen Pasewalks öffentlicher Verwaltung und dem Aktionsbündnis Vorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt! sowie im Rahmen des Projektes Region in Aktion der Amadeu Antonio Stiftung gesammelt wurden, sollen einige Vorteile des kooperativen Agierens im Kampf gegen Rechtsextremismus beschrieben werden.

Pasewalk, Sommer 2012: Ein Aktionsbündnis, eine Verwaltung und 1.000 Neonazis

Mitte Juni 2012 wird bekannt, dass der »Deutsche Stimme«-Verlag der NPD sein alljährliches »Pressefest« bei Pasewalk ausrichten möchte. Man erwartet auf dem Gelände des Vereins »Sport und Wiese e. V.« über 2.000 Neonazis aus ganz Deutschland. In den regionalen und überregionalen Medien wird die Befürchtung geäußert, dass kaum ein nennenswerter Widerstand durch die Behörden und die Zivilgesellschaft zu erwarten wäre. Und tatsächlich liegt der Schock erst einmal tief. Nachdem die Nachricht vom NPD-»Pressefest« bei der Verwaltung durchgesickert ist, sagt der Pasewalker Bürgermeister Rainer Dambach in einer Dienstbesprechung resigniert: »Da kann man nix machen!« Nur wenige Wochen später wird er zur Symbolfigur im Widerstand gegen das »Pressefest«. Er motiviert und unterstützt die Verwaltung darin, alle Möglichkeiten auszunutzen, um das Pressefest nicht zu einem Erfolg für die neonazistische Szene werden zu lassen. Aber auch in der Zivilgesellschaft regt sich unvermuteter Widerstand gegen das Neonazi-Fest. Der Einladung für das Gründungstreffen des Aktionsbündnisses Vorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt! folgen über 100 Menschen. Hoch motiviert organisiert das Bündnis in Kooperation mit der Verwaltung in kürzester Zeit den bunten Protest gegen das neonazistische »Pressefest«. Mit Erfolg. An den Veranstaltungen des Aktionsbündnisses nehmen über 2.000 Menschen teil, was seinesgleichen in der Region sucht. Zugleich fällt das »Pressefest« mit »nur« 1.000 Neonazis deutlich kleiner und einen Tag kürzer aus als geplant – auch ein Verdienst der strengen behördlichen Auflagen. Noch heute engagiert sich das Aktionsbündnis mit vielfältigen Aktionen und Veranstaltungen für ein demokratisches Miteinander und gegen Neonazis in Vorpommern.

Das Beispiel Pasewalk zeigt, wie das Zusammenspiel von Zivilgesellschaft und öffentlicher Verwaltung den Raum für neonazistische Aktivitäten wirksam verringern kann. Im Folgenden soll aufgezeigt werden, dass dies kein Zufall war und derartige Kooperationen auch in anderen Regionen die Erfolgschancen in der Auseinandersetzung mit Neonazis und menschenverachtenden Einstellungen verbessern können.

Kooperationen verstärken Engagement gegen Rechtsextremismus

Kooperationen können zwei Ziele verfolgen: Sie können etwas Neues schaffen, was alleine nicht möglich ist (synergetische Kooperation) und sie können Kosten, Zeit und Effizienz durch die Zusammenfassung von Prozessen oder Abläufen optimieren (additative Kooperation) (WIFI Unternehmerservice 2008). Im Falle von Pasewalk sind beide Effekte eingetreten. Das Aktionsbündnis hat in Kooperation mit der Verwaltung für die Region neue Aktionsformen und Netzwerke entwickelt, die eine in der Region nie da gewesene Anzahl von Menschen für den Protest gegen Neonazis mobilisiert haben. Zugleich haben sich beide Strukturen in der Vorbereitung der Proteste und dem behördlichen Umgang mit dem Pressefest mit ihren sehr unterschiedlichen Ressourcen durch klare Absprachen sinnvoll ergänzt. Dadurch konnten wichtige Ressourcen gespart und zugleich die Wirkung des gemeinsamen Handelns verstärkt werden – zum Nachsehen des »Deutschen Stimme«-Verlages, der NPD und der Gäste des neonazistischen »Pressefestes«.

Was genau Kooperationen im Kampf gegen Rechtsextremismus bringen

Gegenseitige Motivation: Die Aussage des Pasewalker Bürgermeisters »Da kann man nix machen« kann als Synonym für den in der Verwaltung und in der Zivilgesellschaft anfänglich vorherrschenden Pessimismus verstanden werden. Dieses Gefühl begann sich zu wandeln, als externe Institutionen, wie die Amadeu Antonio Stiftung, schloss bröllin e.V. und der Demokratieladen aus Anklam ihre Unterstützung signalisierten. Mit ihrer Hilfe wurde das Gründungstreffen des Aktionsbündnisses organisiert, welches zur Initialzündung für den Widerstand gegen das Pressefest wurde. Fortan hieß es: »Da muss man und da kann man was machen«.

Unterstützung der Verwaltung im Umgang mit dem Neutralitätsgebot und Parteienprivileg: Im Vorfeld des »Pressefestes« der »Deutschen Stimme« gab es für die Pasewalker Verwaltung eine große Herausforderung, mit der alle öffentlichen Verwaltungen immer wieder aufs Neue konfrontiert werden. Jutta Bressem, die Fachbereichsleiterin für Kultur in Pasewalk, beschreibt die Herausforderung wie folgt: »Man darf sich als Angestellte der Verwaltung nicht politisch äußern. Ein Großteil (der Verwaltungsangestellten) hat sich auch dahinter verschanzt und hat gesagt: Gutes Argument, dass ich nichts machen muss. Aber einige hatten da auch wirklich Angst und haben gesagt: Nee, ich kann mich da nicht äußern, aber ich unterstütze euch.«

Neutralitätsgebot rechtfertigt nicht die Inaktivität und Ignoranz von Verwaltungsbehörden gegen Rechts

Der Pasewalker Bürgermeister erfuhr hautnah, wie schwer es ist, dem Neutralitätsgebot gerecht zu werden. Nachdem er auf der Homepage des Rathauses die Einladung zum Gründungstreffen des Aktionsbündnisses unter seinem Namen veröffentlichte, verklagte ihn die NPD mit Erfolg. Das Gericht sah darin einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot und das Parteienprivileg, das die Benachteiligung von Parteien verbietet. Auch wenn für Rainer Dambach die Zahlung eines Bußgeldes in geringer Höhe gut verschmerzbar war, sind es solche Beispiele in Kombination mit mangelndem Wissen, die viele Beamt*innen verunsichern und deswegen sehr zurückhaltend auf neonazistische Aktivitäten reagieren lassen. Dies allein kann jedoch keinesfalls die Inaktivität und Ignoranz mancher öffentlichen Verwaltungen bei diesem Thema rechtfertigen. Denn tatsächlich gibt es zahlreiche Möglichkeiten, wie trotz des Neutralitätsgebots und Parteienprivilegs adäquat agiert und reagiert werden kann.

Eine Möglichkeit besteht darin, sich für alle erkenntlich nicht als Verwaltungsangestellte, sondern als Privatpersonen zu politischen Themen zu äußern und zu engagieren. So hat der Bürgermeister Rainer Dambach nach dem Gerichtsurteil sein Engagement gegen Neonazismus als Privatperson fortgesetzt, in dem er beispielsweise jedes Treffen des neu gegründeten Aktionsbündnisses besucht hat, allerdings, wie er immer ausdrücklich betonte, als Privatperson. Dass er immer noch als Bürgermeister von Pasewalk wahrgenommen wurde, ist kaum zu vermeiden und war vermutlich auch beabsichtigt.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, den durchaus vorhanden rechtlichen Spielraum von Verwaltungen auszunutzen. Im Fall des »Pressefestes« wurden zum Beispiel die Bestimmungen zum Lärmschutz, zur öffentlichen Sicherheit und zum Umweltschutz sehr restriktiv ausgelegt. Mit den Effekten, dass das »Pressefest« zum einem organisatorisch aufwendiger und vermutlich teurer als geplant war und zum anderem in der Dimension deutlich geringer ausfiel, womit wohl auch die gewünschte Außenwirkung ausblieb. Neonazistische Gruppen werden sich daher zukünftig etwas genauer überlegen, ob sie derartige Veranstaltungen in und um Pasewalk anmelden.

Gleichzeitig ist es in einer Kooperation, wie sie in Pasewalk zwischen der Verwaltung und dem Aktionsbündnis stattgefunden hat, für die Verwaltung möglich, das Neutralitätsgebot zu wahren und gleichzeitig zivilgesellschaftliches Engagement gegen Neonazis zu unterstützen. Denn zivilgesellschaftliche Gruppen sind ja nicht von Beschränkungen betroffen, denen Verwaltungen unterliegen, und können dadurch deutlich freier agieren. Derartige Kooperationen werden sogar vom Staat ausdrücklich gewünscht. Im Bericht der vom Deutschen Bundestag beauftragten Enquete-Kommission Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements wird allen staatlichen Institutionen empfohlen, die Rolle der »Ermöglichenden« einzunehmen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu unterstützen sowie mit ihnen zusammenzuarbeite.

Natürlich sollten Verwaltungen in der Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Gruppen das Neutralitätsgebot im Auge behalten. Der Pressesprecher des Aktionsbündnisses, Benno Plassmann, beschreibt es als fortwährenden Prozess, den richtigen Abstand beziehungsweise die richtige Nähe zueinander zu finden. Dabei erleichterte das Bündnis der Verwaltung die Zusammenarbeit, in dem es als Aktionsbündnis Vorpommern: weltoffen, demokratisch, bunt! nicht nur eine »Für-Botschaft« im Namen trägt, sondern dies auch mit seiner Öffentlichkeitsarbeit und seinen Aktivitäten unterstreicht.

Informationen und Erfahrungen teilen

In den Wochen vor dem »Pressefest« gab es einen engen Informationsaustausch zwischen den Akteur*innen im Aktionsbündnis und der Verwaltung. Jutta Bressem resümiert: »Der Informationsfluss war sehr, sehr gut. Das Ordnungsamt Pasewalk war immer im direkten Kontakt mit dem Ordnungsamt des Landkreises. Das wurde in den Dienstberatungen kommuniziert und da wurde abgesprochen, was kann davon das Bündnis erfahren, wo können wir agieren, wo können wir die Information sinnvoll anwenden. Und umgekehrt, Sachen, die das Bündnis hat, wurden wieder in die Verwaltung herein getragen.« Neben dem schnellen Informationsaustausch profitierten beide Seiten vom Erfahrungsaustausch. Dadurch konnten zum Beispiel gemeinsam neue Handlungsansätze entwickelt werden, wie die Idee von einem Bündnis der Bürgermeister*innen. Dem Aufruf des Pasewalker Bürgermeisters folgten 41 Bürgermeister*innen aus Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg: Ein Novum für die Region mit großer Symbolkraft und einigem noch auszuschöpfenden Potenzial.

Ressourcen und Netzwerke teilen: Im Falle Pasewalks wurde seitens der Verwaltung das Aktionsbündnis durch Bereitstellung von Infrastruktur, wie Räumlichkeiten und technischen Support, sowie durch eine schnelle Bearbeitung der Anfragen und Anmeldungen für die geplanten Veranstaltungen unterstützt. Das Aktionsbündnis und deren professionelle Unterstützer*innen (Amadeu Antonio Stiftung, schloss bröllin e.V., Demokratieladen) übernahmen dagegen im stärkeren Maße die Organisation und Durchführung der Veranstaltungen rund um das »Pressefest«. Bei der Mobilisierung für die Veranstaltungen ergänzten sich beide Strukturen durch ihre unterschiedlichen Netzwerke: Ein Grund für die breite Beteiligung aus ganz unterschiedlichen Bevölkerungsteilen.

Solidarität üben

Eine weitere Form von gegenseitiger Unterstützung ist ein solidarisches Miteinander. So verfasste das Aktionsbündnis und die demokratischen Parteien des Landkreises nach dem Urteil gegen den Pasewalker Bürgermeister eine gemeinsame Presseinformation. Darin wird begründet, warum aus deren Sicht Rainer Dambach nicht gegen das Parteienprivileg verstoßen hat, als er den Bündnisaufruf auf der Rathaushomepage veröffentlichte, sondern nach demokratischen Grundsätzen handelte. Diese Solidarität stärkte die Position des Bürgermeisters und dessen Motivation im Umgang mit dem neonazistischen »Pressefest«.

Prestige nutzen

Die breite Beteiligung an den (Gegen-)Veranstaltungen rund um das »Pressefest« ist auch auf die Beteiligung zahlreicher regional bekannter Politiker*innen sowie anderen Persönlichkeiten zurückzuführen. Wiederum spielte der Pasewalker Bürgermeister dabei eine entscheidende Rolle. Er beschreibt sein Engagement selbst wie folgt: »Ich war ja fast bei jeder Veranstaltung dabei, um einfach zu demonstrieren, ich stehe dazu, ich unterstütze es.« Weiter beschreibt er die Wirkung und die Absicht, die hinter seinem Engagement stand, so: »Dass viele Leute Angst haben, dass viele Leute Bedenken haben, das kannst du dadurch entkräften, in dem du sagst, dann schreite ich eben mit voran. Dadurch kriegen die anderen auch Sicherheit.« Sein persönlicher Einsatz hat nicht nur den Engagierten im Aktionsbündnis Mut gemacht, sondern hat auch geholfen, Unterstützung aus Kreisen zu gewinnen, die sich üblicherweise nicht in zivilgesellschaftlichen Gruppen engagieren. Umgekehrt hat die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Aktionsbündnis vermutlich das Ansehen des Bürgermeisters und der Verwaltung in der Bevölkerung positiv beeinflusst.

Der Text ist zuerst in der Handreichung „Region in Aktion – Wie im ländlichen Raum demokratische Kultur gestaltet werden kann“ der Amadeu Antonio Stiftung erschienen. Das komplette Handbuch kann hier gedownloaded werden.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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