Es ist sprachliche Kosmetik, aber sie hat Symbolcharakter: Im Juni 2007 gab die Kette „Achat Hotels“ eine kleine Namensänderung bekannt. Das „Achat Hotel Hoyerswerda“ wurde umbenannt in „Achat Hotel Lausitz“. Auch 16 Jahre nach dem Pogrom in der Schweitzerstraße möchten Menschen von außerhalb lieber nicht nach Hoyerswerda reisen – weshalb das Hotel jetzt den Namen der umliegenden Landschaft trägt. Der tagelange Angriff von Rechtsextremen auf vietnamesiche Händler, eine Vertragsarbeiterunterkunft von Mosambikanern und ein Asylbewerberheim vom 17. bis 22. September 1991 unter jubelndem Beifall der Bevölkerung haben ein derartig schlimmes Bild der Stadt und ihrer Menschen vermittelt, dass es sich offenbar aus dem kulturellen Gedächtnis nicht mehr löschen lässt. Doch wie sieht es vor Ort aus?
Der Schutt ist schwer auszuräumen
Hoyerswerdas Neustadt ist eine latent beklemmende Gegend, obwohl sie jetzt schon viel freundlicher aussieht als 1990. Zwischen vielen ähnlichen Plattenbauten, die durch breite Ausfallstraßen in Viertel geteilt werden, klaffen immer öfter Lücken. Zum Teil sind sie von Wiese und Wildwuchs überwuchert, auf anderen Flächen liegt noch Schutt. An Häusern, auf deren Balkonen noch Sonnenschirme stehen, verkünden irreal wirkende Schilder ihren baldigen Abriss. Offiziell heißt das „Rückbau“. Die Plattenbauviertel sind ein historisches Dokument des schnellen Wachstums der Braunkohlestadt zu DDR-Zeiten und ihres Niedergangs nach der Wende. 1990 wohnten in Hoyerswerda noch 70.000 Menschen, heute sind es gerade noch 40.000 Einwohner. Alle Häuser zu warten, in denen nur noch die Hälfte der Einwohner leben, ist zu teuer, deshalb werden die Häuser systematisch „zurückgebaut“, die dort noch lebenden Menschen werden umgesiedelt. Entwurzelt sind hier ohnehin viele. Die Arbeitslosenquote liegt in Hoyerswerda bei rund 20 Prozent. 37 Prozent der Bevölkerung sind über 60 Jahre alt. Wer jung und schlau ist, geht weg.
1991 waren Neonazis cool
Die Situation ist noch schwieriger als 1991, als offener Neonazismus hier gang und gäbe waren. Uwe Proksch, Geschäftsführer der Kulturfabrik Hoyerswerda, erinnert sich aber, dass es damals einen eklatanten Unterschied gab: „1991 herrschte in der Stadt eine unangenehme Atmosphäre. Angst und Bedrohung waren Alltag, Neonazis überall im Straßenbild präsent. Wer mit Jugendlichen arbeitete, merkte, dass unter ihnen das Motto herrschte: Wenn du in sein willst, musst du rechts sein. Das Gewaltpotenzial war riesig.“ Es ist diese Grundstimmung, die sich gewandelt hat. Geschafft haben das zivilgesellschaftliche Initiativen und engagierte Einzelpersonen, unterstützt durch die Stadt Hoyerswerda, die sich stark darum bemüht, ihre Einwohner trotz aller Probleme zu demokratieverbundenen Menschen zu machen.
Die Zivilgesellschaft kämpft mit viel Fantasie um und mit ihrer schrumpfenden Stadt
Wenn es um die Arbeit gegen Rechtsextremismus in Hoyerswerda geht, kommt niemand an Helga Nickich vorbei. Sie ist ehemalige Lehrerin und heutige Leiterin der RAA Hoyerswerda, der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Demokratie und Lebensperspektiven. Sie hat die RAA in Hoyerswerda 1993 ins Leben gerufen, unterstützt vom Netzwerk der RAAs in Deutschland, mit dem erklärten Ziel: „Gegen Rechtsextremismus, für Demokratie“. Helga Nickich entwickelt mit ihren Kolleginnen und Kollegen Ideen und Konzepte, um präventiv gegen Rechtsextremismus zu arbeiten. Nickich hat ein breites Netzwerk von Partnern aufgebaut, die sich bei dieser schwierigen Arbeit gegenseitig stützen und helfen können. Die Stadt gehört genauso dazu wie Jugendsozialarbeiter oder Migranteninitiativen.
Nickichs Büro befindet sich in einem Schulgebäude mitten im Plattenbaugebiet der Neustadt, doch dieses etwas triste Umfeld wird durch den lebendigen Vortrag ihrer Aktivitäten bunt gefüllt. Die Arbeit der RAA in den Bereichen Demokratie und Toleranz, historisch-politische Bildung, Jugendliche zwischen Schule und Beruf ist fast unüberschaubar vielfältig und zielt darauf ab, Jugendliche demokratisch fit zu machen, ihnen Lebensperspektiven zu eröffnen, ihnen Achtung und Respekt gegenüber anderen zu vermitteln, überhaupt Normen und Werte, außerdem Selbstvertrauen und soziale Kompetenz und sie so stark zu machen gegenüber Rechtsextremismus, Alkohol und Drogen.
Workshops über Demokratiepädagogik gehören dazu, Begegnungsprojekte mit Schülern und Azubis während der Arbeit zum gemeinsamen Lernen und in den Ferien zum Spaß, multikulturelle Studienwochen, Peer Leaders gegen Rechtsextremismus, ein Mehrgenerationenhaus in Bernsdorf, Schülerclubs und seit neuestem mit vielen Partnern das Konzept “Fit fürs Leben“, dass junge Erwachsene nach der Schule ins Erwachsenenleben begleiten will, wenn es oft am schwierigsten wird, aber keines der bisherigen Konzepte mehr greift. An der Schulmauer des Gymnasiums, in dem Nickichs Büro ist, steht “Nazis raus“. Es gibt hier Schüler, die sich offen in Arbeitsgemeinschaften gegen Rechtsextremismus positionieren.
Konzepte zeigen Erfolge
Wie schätzt Helga Nickich die Situation in Hoyerswerda heute ein? Nickich sagt: „Es gibt in allen Städten Sachsens und Deutschlands rechtes Gedankengut, und das gibt es auch hier. Und ich werde das nicht lösen, da gebe ich mich keiner Illusion mehr hin. Aber wenn wir uns breit machen, haben die weniger Platz. Wir haben etwas erreicht, wenn die Jugendlichen zu uns kommen, nicht zu denen.“ Im Gegensatz zu 1991 seien die Rechten in der Defensive, hätten sich zurückgezogen. „Es gibt keine offene rechtsextreme Szene mehr, keine Ballungen von 30 Rechtsextremen an einer Tankstelle.“ Punkkonzerte finden in Hoyerswerda inzwischen ohne Störungen statt. Vor zehn Jahren wäre das noch undenkbar gewesen.
Auf der anderen Seite vermisst sie Zivilcourage bei den nicht-rechten Erwachsenen der Stadt. „Viele Bürger unserer Stadt sind gegen rassistisches und rechtsextremes Gedankengut, aber trauen sich nicht, das offen zu sagen. Sie sitzen seit 15 Jahren im Schneckenhaus, trauen sich noch zu multikulturellen Festen, aber um offen und im Wortlaut zu sagen: ‚Ich bin gegen Rechtsextremismus’, dazu reicht die Courage nicht.“
Weniger offener Rechtsextremismus
Diejenigen, die auf die Straße gehen, wo die Jugendlichen mit Problemen in Cliquen herumhängen, sind die mobilen Sozialarbeiter des Internationalen Bundes. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen arbeiten mit Kindern und jungen Erwachsenen jeglicher Couleur, aus allen politischen und jugendkulturellen Ecken, um sie für ihr eigenes Leben zu begeistern und ihre Teilnahmemöglichkeiten an der Gesellschaft zu stärken. Die vorwiegenden Probleme derzeit sind massiver Alkoholkonsum, schon bei 12-, 13-Jährigen, Drogen, Perspektivlosigkeit. Jugendsozialarbeiterin Gabi Rosenburg bemerkt derzeit „wenig auffälligen Rechtsextremismus“. Das ist positiv, aber Rosenburg ist vorsichtig, was Erfolgsverkündung angeht. „Noch 2003 / 2004 gab es hier einige rechtsextreme Cliquen. Und auch wenn deren Mitglieder jetzt älter sind und vielleicht nicht mehr auf der Straße herumhängen, ist deren Gedankengut damit ja nicht weg.“
Derzeit seien die Cliquen eher unpolitisch, aber ein bis zwei Leute mit latent rassistischem und nationalistischem Gedankengut seien immer dabei. Die lädt sie gern in ihren „Cliquenraum“ ein, in dem ein großes Poster der Band „Die Ärzte“ hängt mit dem Motto: „Scheint die Sonne auch für Nazis – wenn’s nach mir geht, tut sie’s nicht“. „Da sind wir immer gleich beim Thema, sobald sie den Raum betreten“, sagt Rosenburg. Immer aufmerksam sein gegenüber rechtsextremen Anzeichen, Marken, Parolen und gute Konzepte dagegen setzen, gehört zu ihrem Job. Sie erlebt präventive Projekte als positiv, die den Jugendlichen Alternativen anbieten, ihnen helfen, die Welt besser zu verstehen und vermitteln, dass sie etwas wert sind. Jana Rickhoff, Geschäftsführerin des Internationalen Bundes Hoyerswerda, ergänzt: „Das Klima hat sich in Hoyerswerda ziemlich verändert. Die Menschen sind kulturell offener geworden. Anfang der Neunziger war Hoyerswerda zugebaut und grau betoniert, die Stadt vielfach überfordert, es gab keine Konzepte gegen den Rechtsextremismus. Jetzt unterstützen wir, die sozialen Projekte der Stadt, uns gegenseitig mit fachlichem Rat und praktischer Hilfe.“
Eine Technik: Sich gegenseitig stark machen
Die Mechanismen gegenseitiger Unterstützung und Stärkung funktionieren in Hoyerswerda inzwischen gut. Als 2006 plötzlich Neonazis durch Hoyerswerda marschierten, weil ihre Demonstration in Bautzen verboten wurde, entstand schnell ein Aktionsbündnis, das gegen die Rechtsextremen mobil machte. Uwe Proksch, Geschäftsführer der Kulturfabrik Hoyerswerda, war auch dabei. Dabei mache die Kulturfabrik eigentlich keine politische Arbeit, sondern sei „nur“ ein Ort für Alternativkultur und soziokulturelle Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, sagt Prosch etwas tiefstapelnd. Denn die Arbeit umfasst auch, mit Jugendlichen ein Theaterstück zum Pogrom von 1991 zu schreiben und aufzuführen (Premiere ist am 11. Juli) oder Kinder von Asylbewerbern einen Film über ihren Alltag in Hoyerswerda drehen zu lassen.
Anfang der neunziger Jahre betreute Proksch noch zwei nicht-rechte Jugendclubs und erlebte ständige Übergriffe und ein großes rechtsextremes Gewaltpotenzial. „Aber danach griffen viele Initiativen: Streetwork, Sozialarbeit, die Aktivitäten der RAA, mobile Jugendarbeit. Das Bedrohungspotenzial der Szene nahm ab, rechte Jugendclubs schlossen, es gab Gerichtsverhandlungen und einige Rechte zogen weg“, sagt er. Die Jugendlichen, mit denen er heute arbeitet, berichten ihm, dass es noch Treffpunkte für Rechtsextreme gibt, aber die liegen heute in Wohnungen, nicht mehr in der Öffentlichkeit. „Ich sehe regelmäßig rechtsextreme Aufkleber. Ich sehe regelmäßig, dass sie abgekratzt werden“, sagt Proksch. „Man wird den Rechtsextremismus nicht ganz vertreiben. Aber die Angst ist weg.“
Mehr zum Einfluss der Zivilgesellschaft auf die Entwicklung des Rechtsextremismus lesen Sie im Schwerpunkt „Zivilgesellschaft“ der Bundeszentrale für politische Bildung.
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).