Intensiv befragt wurden für die Marburger Studie Vertreter der großen Parteien in Kommunalparlamenten von acht Kleinstädten, in denen rechtsradikale bzw. rechtsextreme Parteien präsent sind, sei es weil die Wahlbeteiligung ausgesprochen niedrig war, viele Protestwähler für diese Parteien votierten oder Einzelkandidat*innen der Rechten eine besondere Popularität genossen. In der Regel versuchen die Rechtsaußen-Parteien – wenn sie in Parlamenten Fuß fassen – vielfältig in Anträgen ihre völkische Ideologie unterzubringen, seltener sind ihre Abgeodneten sachbezogen aktiv und in nicht wenigen Fällen beweisen sie sich als gänzlich untätig und zeigen sich eher als ‚Sozialschmarotzer‘.
Die Marburger Studie fußt konkret auf – teils im Wortlaut wiedergegebenen – Befragungen aus Anklam und Stralsund in Vorpommern, Sebnitz und Königstein in Sachsen, Ehringshausen und Wölfersheim in Mittelhessen sowie Ludwigshafen und Pirmasens in Rheinland-Pfalz. Im Mittelpunkt der Gespräche standen die spezifischen Erfahrungen, Erkenntnisse und Verhaltenskonsequenzen auf lokalpolitischer Ebene vor Ort.
Die Grundfragen, die sich für die Vertreter demokratischer Parteien stellten, waren und sind in der Regel ähnlich. Soll man die Abgeordneten von erklärtermaßen antidemokratischen Parteien prinzipiell isolieren und boykottieren oder notgedrungen akzeptieren und ihre Positionen oder Nichtpositionen im Rahmen von Sachdebatten entlarven? Und wie muss man handeln, wenn offenkundig wird, dass auch Angehörige der Kommunalverwaltung heimliche Sympathien für die NPD hegen, also illoyal handeln könnten?
„Leitfaden für die Problemanalyse und Strategieentwicklung“
Die Studie, die im Umfang von über 160 Seiten komplett im Netz nachgelesen werden kann (s.u.), ist vor allem in ihrem Fazit auch für andere Kommunen besonders lehrreich. Dort geht es nicht zuletzt um die Auswertung der beiden Fragen „Was raten Sie Kommunalpolitikern, in deren Parlamente Vertreter rechtsextremistischer oder rechtspopulistischer Parteien gewählt worden sind? Und: Was, denken Sie, müsste passieren, damit rechtsextremistische oder rechtspopulistische Parteien nicht (mehr) in Kommunalparlamente einziehen? Aus den Antworten wird ein lohnender „Leitfaden für die Problemanalyse und Strategieentwicklung“ entwickelt. Als eine wichtige Grunderkenntnis sei hier nur so viel vorab zitiert:
„In sieben der acht untersuchten Kommunen wird von den Interviewpartnern der Ratschlag erteilt, selbstbewusst die dechiffrierende Auseinandersetzung zu suchen. Hinter der Maske des gutbürgerlichen Biedermanns soll auf diese Weise das wahre, ideologische Gesicht der Rechtsextremen gezeigt werden. Dabei geht es um eine Ideologie der Ungleichwertigkeit bzw. um eine Form ‚Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit‘, deren ‚Einstellungen und Verhaltenstendenzen die Entwicklung und Festigung eines auf Gleichwertigkeit und Unversehrtheit ausgerichteten Lebens für alle in dieser Gesellschaft gefährden können‘ (Schaefer/Mansel/Heitmeyer2002, S. 123). Aus Sicht der Befragten solle die Auseinandersetzung jedoch nicht auf der ideologischen Ebene, sondern anhand konkreter, kommunaler Sachthemen geführt werden, die für die Bürger*innen verständlich und nachvollziehbar seien.“
Prinzip der „streitbaren und wehrhaften Demokratie“
Auch und gerade in den bürgernahen Lokalparlamenten müssten Politiker und Verwaltung erkennen, dass sie die Verantwortung tragen „für die Sichtbarkeit und Attraktivität einer demokratischen Kultur, demokratischer Strukturen und Aktivitäten, die dem Rechtsextremismus das Wasser abgräbt und keine Chance lässt.“ Die parlamentarische Auseinandersetzung mit der extremen Rechten – den Fraktionen und ihren Akteuren – realisiere das Prinzip der „streitbaren und wehrhaften Demokratie“. Das verlange unter anderem:
„• den Rechtsextremismus klug und kontinuierlich zu einem öffentlichen Thema zu machen;
• auf Prinzipien der Menschenwürde, Toleranz und der historischen Wahrheit bestehen;
• sich Themen nicht vorgeben lassen, sondern die Agenda der Politik selbst bestimmen;
• im klugen Abwägen die extreme Rechte zugleich zu ignorieren und ihre Anträge, Beiträge, Rhetorik mit Blick in die kommunale Öffentlichkeitzu dechiffrieren;
• die Anträge der extremen Rechten konsequent abzulehnen, damit ihnen kein politischer Gestaltungsspielraum eingeräumt wird;
• im formellen wie informellen parlamentarischen Umgang und der Kommunikation die notwendige Distanz zu wahren und deutlich Grenzen zu markieren;
• die kommunalen Einrichtungen, Initiativen und Personen in ihrer Thematisierung und Auseinandersetzung zu ermuntern und zu unterstützen, und deren Attraktivität, Akzeptanz und Anerkennung in der Kommune zu fördern“.
(Zitate aus der Studie von Benno Hafeneger und Sven Schönfelder „Politische Strategien gegen die extreme Rechte in Parlamenten – Folgen für kommunale Politik und lokale Demokratie“. Das Dokument zum Download auf der Website der Ebert-Stiftung unter: http://library.fes.de/pdf-files/do/05021.pdf).
Expertise auch aus Berlin
Seit gut einem Jahr sind auch NPD-Vertreter*innen in vier Berliner Bezirksverordnetenversammlungen präsent und versuchen sich mit allen zur Verfügung stehenden populistischen und notfalls auch rechtlichen Mitteln als “ganz normale” Partei darzustellen und zu etablieren.
Mit einer neuen Handreichung möchte die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin (www.mbr-berlin.de) „diesbezügliche Umgangsweisen, Strategien und Tendenzen beleuchten und damit zu einer kontinuierlichen Entwicklung von Präventions- und Interventionsmöglichkeiten im Umgang mit Rechtsextremismus auf gesamtgesellschaftlicher Ebene beitragen“. (Das Dokument gibt es zum Download unter: http://www.mbr-berlin.de/Aktuelles/405.html).
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).