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Wehrhahn-Prozess Freispruch trotz erdrückender Indizien

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Landgericht Düsseldorf (Quelle: A.Savin (Wikimedia Commons · WikiPhotoSpace) CC BY-SA 3.0)

 

 

Im juristischen Deutsch einer Pressemitteilung klingt es so nüchtern und überzeugend:  „Die 1. große Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf hat mit Urteil vom 31.07.2018 (1 Ks 17/17) den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Mordes in zwölf Fällen durch Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion freigesprochen. Die Kammer konnte aufgrund der Beweisaufnahme nicht die für eine Verurteilung erforderliche Überzeugung gewinnen, dass der Angeklagte der Täter war.“ Es folgt die Auflistung, was es alles nicht gab: Unmittelbare Beweise wie Spuren des Angeklagten an Tatmitteln oder Zeugen, die den Angeklagten bei der Tatbegehung beobachtet haben. So organisiert war der Täter also offenbar, oder so furchteinflößend, im Sommer 2000. Dafür habe es eine „Vielzahl von Indizienbeweisen“, aber die genügten dem Gericht nicht.  Die Pressemitteilung benennt:  Der Angeklagte habe viel gelogen, seine Aussagen seien damit unbrauchbar; er sei nachgewiesenermaßen Rassist, aber das sei lediglich ein Indiz für die Täterschaft. Die Zeugenaussagen seien, 18 Jahre nach der Tat, nicht mehr so klar und teilweise widersprüchlich.  Zeugen, die berichteten, Ralf S. habe ihnen gegenüber die Tat gestanden, glaube das Gericht nicht. Zeitlich käme die Tat nicht hin und ein angenommenes Tatmotiv „konnte nicht festgestellt werden“. Also: Freispruch. Die Staatsanwaltschaft hatte lebenslange Haft wegen zwölffachen versuchten Mordes gefordert.

 

Was war geschehen?

Im Sommer 2000 machten Rechtsaußen-Parteien wie die Republikaner gegen die „jüdische Einwanderung“  in einem vermeintlichen „Zustrom aus Osteuropa“ durch russische „Kontingent-Flüchtlinge“ mobil – Ralf S., damals 34, ehemaliger Zeitsoldat, Rechtsextremer, Waffennarr und wenig erfolgreicher Militaria-Händler aus Düsseldorf-Wehrhahn hatte ihre Schriften in seiner Wohnung liegen, als die Polizei sie nach der Tat durchsuchte. Die Zahl der rassistisch und antisemitisch motivierter Gewalttaten gegen Geflüchtete und Migrant*innen stieg, und der „Nationalsozialistische Untergrund NSU“ hatte bereits drei Raubüberfälle begangen und stand kurz vor seinem ersten Mord an Enver ?im?ek am 09.09.2000 in Nürnberg.

Im Jahr 1999 äußerte Ralf S. seine rechtsextreme Gesinnung durch das Anpöbeln und Bedrohen von Menschen, die ihm nicht gefielen, wie Migrant*innen, Punks und Obdachlose, und durch das Verkleben rechtsextremer Aufkleber. Er besaß einen Rottweiler, der auf das Wort „Asylant“ abgerichtet war, und pflegte Kontakte zur „Kameradschaft Düsseldorf“ um Sven Skoda. Und er fand keinen Gefallen an einer Sprachschule für russische Geflüchtete, die schräg gegenüber von seinem Militaria-Geschäft am S-Bahnhof  Wehrhahn eröffnete.

S. ermutigte zwei befreundete Neonazis mit Hunden, die russischen Sprachschüler*innen einzuschüchtern und zu bedrohen, in der Hoffnung, die aus Russland zugewanderten Männer und Frauen aus seinem „Revier“ zu vertreiben. War es für ihn relevant, dass sie jüdischen Glaubens waren? Das bleibt unklar. Die Staatsanwaltschaft nahm Antisemitismus nicht als Tatmotiv mit auf. S. äußerte sich allerdings selbst antisemitisch. Doch die Sprachschüler*innen ließen sich nicht einschüchtern,  wehrten sich, stellten den Zusammenhang mit dem Militaria-Geschäft her. S. musste seinen „Vertreibungsplan“ als gescheitert erkennen.

Ralf S. galt in der rechtsextremen Szene und offenbar auch in Ermittlerkreisen eher als unorganisiert, großmäulig, tumb. Ist ihm zuzutrauen, dass er einen langfristigen Plan schmiedet, der Vorbereitung benötigt, wie einen Sprengstoff-Anschlag? Neonazi Sven Skoda, heute „Die Rechte“, sagt im Prozess: Nein. Was aber auch taktisch motiviert sein kann. Ralf S.‘ Ex-Freundinnen, teilweise auch Zeuginnen im Prozess, teilweise nach Beziehungsende noch jahrelang von ihm gestalkt, sagen: Ja. Ralf S. selbst verneint die Tat vor Gericht, und brüstet sich damit aber 2014 vor einem Mithäftling. Das ist der ehemalige Bundeswehroffizier Andreas L., der Ralf S. in Haft kennenlernte und 2014 dessen Prahlerei als nicht überführter, aber sprengmittelkundiger Häuserkampf-Experte als Täter-Wissen und Geständnis meldet. Weil er Ralf S. als Täter überführen will, oder versucht der wegen Betrugs verurteilte Offizier, an die hohe Belohnung zu kommen? Das Gericht glaubt Andreas L. nicht, obwohl der Polizeibeamte, der seine Aussage 2014 aufgenommen hat, seine Glaubwürdigkeit stützt.

Vor der Tat erwähnt Ralf S. gegenüber seiner damaligen Lebensgefährtin, er wolle „Kanaken in die Luft sprengen“ und „mal was am Bahnhof machen“. Eine Bekannte berichtet im Prozess, sie habe die Bombe vor der Anschlag in Ralf S.‘ Wohnung gesehen. Das Gericht glaubt diesen Aussagen nicht, weil sie im Prozess von den Aussagen in den Polizei-Akten abweichen.

 

Die Tat

Am 27. Juli 2000 explodiert gegen 15 Uhr eine selbstgebaute Rohrbombe am S-Bahnhof  Wehrhahn, als eine Gruppe von 12 Sprachschüler*innen aus Russland, der Ukraine und Aserbaidschan sich, wie jeden Tag, der Treppe nähert. Der Sprengsatz war, in eine Plastiktüte gewickelt, an die Treppe gehängt. Er wird durch eine Fernsteuerung ausgelöst. Das TNT ist leicht verunreinigt und entwickelt so nicht seine ganze tödliche Kraft. So werden zehn der Opfer verletzt, teilweise schwer. Eine 26-jährige Frau, die im sechsten Monat schwanger ist, verliert ihr ungeborenes Kind, das von einem Splitter getroffen wird. Die Neonazi-Szene feiert: „Bombenstimmung in Düsseldorf“.

 

Nach der Tat

30 Minuten nach der Tat äußert Ralf S. gegenüber einer Bekannten die Befürchtung, festgenommen zu werden. Als er bereits als Beschuldigter von der Polizei befragt worden war und in Folge telefonisch überwacht wurde, instruiert er am Telefon vorgeladenen Zeug*innen, machte sich über die Opfer lustig und sprach davon, „was ich da gemacht habe“ – dann korrigiert auf „was ich da gemacht haben soll.“ Nadin Freytag, Herausgeberin der Neonazi-Zeitschrift „Freyja“, erzählt er drei Wochen nach der Tat, die Tötung eines ungeborenen Kindes sei nur eine „illegale Abtreibung“  und kein Mord.  „Freyja“ fusioniert wenig später mit dem Neonazi-Zine „Der weiße Wolf“, das wenig später dem NSU für finanzielle Unterstützung danken wird.

 

Die Ermittlungen

Ähnlich wie bei den NSU-Morden wirft die Polizeiarbeit der Düsseldorfer Polizei nach dem Wehrhahn-Anschlag Fragen auf, die bis heute ungeklärt sind: Der Tatort wurde nicht ordentlich gesichert. Ralf S. war zwar recht umgehend tatverdächtig, doch eine Hausdurchsuchung fand erst Tage nach dem Anschlag statt, nachdem ein oberflächliche „Begehung“ durch zwei Beamte des Staatsschutzes ihn bereits vorgewarnt hatten. Es gab 1999/2000 eine V-Person im Umfeld von Ralf S., der für ihn als Wachmann gearbeitet hat, aber keine Erkenntnisse lieferte, dafür aber 2004 äußerte, der Anschlag sei „von Rechten aus dem Osten unter Abdeckung durch die hiesige Szene verübt worden.“ Wie das gemeint war, konnte bisher nicht einmal ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss klären.

Die Ermittlungen gegen Ralf S. werden 2002 eingestellt und erst 2014 wieder aufgenommen, als ein Mithäftling das Geständnis meldet. Dann wird noch zweieinhalb Jahre ermittelt, bevor Ralf S. als dringend tatverdächtig verhaftet wird. Der Prozess am Landgericht Düsseldorf begann am 25. Januar 2018.

Im Prozess sagt auch eine Zeugin aus, die 2000 Sprachlehrerin an der Sprachschule war – und bereits im Jahr 2000 und noch einmal im Jahr 2011 die Polizei darauf hinweist, dass es neun Monate vor der Tat die Bedrohung der Sprachschüler*innen durch Ralf S. gab. Erst bei der dritten Vernehmung 2015 geht die Polizei diesem Gedanken nach. Das Gericht folgte der Argumentation nicht.

Unklar blieb die Frage, ob Ralf S. in der Lage war, eine Rohrbombe zu bauen. In seiner Bundeswehr-Zeit hatte er, entgegen anderer Aussagen im Lauf der Ermittlungen, den Umgang mit Sprengmitteln nicht offiziell gelernt – Kenntnisse konnte er aber vermutlich erwerben.  In seiner Wohnung fand die Polizei technische Informationen über einen Sprengzünder und Informationen zum Gebrauch von Handgranaten aus Bundeswehr-Kreisen.  Er konnte schweißen und besaß zur Tatzeit ein Schweißgerät.  Es fehlen allerdings sämtliche Erkenntnisse dazu, woher die Materialien zum Bau der Bombe stammten.

 

Stimmen zum Urteil

Der „1. große Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf“ waren das zu viele Unwägbarkeiten – und so folgte das Gericht dem Antrag der Verteidigung auf Freispruch statt der von der Staatsanwaltschaft geforderten lebenslangen Haft. Oberstaatsanwalt  Ralf Herrenbrück hatte in seinem Plädoyer vor fünf Tage noch gesagt: „Die Anzahl der Zufälle ist endlich. Der große Unbekannte müsste dann auch noch aussehen und angezogen gewesen sein wie der Angeklagte. Das gibt es nicht.“ (vgl. Spiegel). Die Staatsanwaltschaft will dem entsprechend auch in Berufung gehen. 

Auch die Nebenklage-Vertreter sehen Ralf S. als überführt an. Anwalt Juri Rogner sagte vor wenigen Tagen, dass das Gericht dabei sei, „den schwersten Justizfehler in der Geschichte Düsseldorfs“ zu begehen (vgl. ZEIT). Nun ist das – bis zur Revision –  geschehen.

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in NRW, die den Prozess verfolgt hat, kommentiert: „Erst die milden Urteile für NSU-Unterstützer_innen, dann der Freispruch im Wehrhahnprozess: Rechtsterroristische Kreise, wie die beispielsweise kürzlich aufgedeckte Organisation ‚Combat18‘, werden sich jetzt bestärkt sehen.“

 

Berichterstattung zum Prozess-Verlauf:

NSU-Watch NRWBlick nach Rechts:https://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/zw-lffacher-mordversuch-vor-gerichthttps://www.bnr.de/artikel/hintergrund/wachsende-indizienkette-im-wehrhahn-prozesshttps://www.bnr.de/artikel/hintergrund/wende-im-wehrhahn-prozessLOTTA-Magazin

 

Das Foto wurde veröffentlicht unter der Creative Commons Lizenz CC BY-SA 3.0.

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