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Wer sind wir – und wenn ja, wie viele? Die „Identitären“ und ihre Inszenierung

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Screenshot der Facebook-Seite "Identitäre Bewegung" (Quelle: netz-gegen-nazis.de)

Während das französische Pendant, der „Bloc Identitaire“ respektive dessen Jugendorganisation „Génération Identitaire“ bereits seit mehreren Jahren durch einzelne öffentlichkeitswirksame Aktionen von sich Reden macht, besteht die großspurig als „Bewegung“ vermarktete deutsche Sektion derzeit vornehmlich aus Facebook-Seiten, handwerklich mittelmäßigen Photoshop-Collagen und kaum wahrnehmbaren Aktionen, die im Internet zu Zeichen einer herannahenden Erhebung stilisiert werden. Neu ist wenig an den „Identitären“, dennoch lässt sich an ihnen einiges aufzeigen.

1. Wie viele „likes“ sind eine Bewegung?

Nach eigenen Angaben existieren in Deutschland derzeit über 40 Ortsgruppen der „Identitären“, die meisten von Ihnen sind nicht mehr als eine Facebook-Seite. Öffentliche Auftritte sind bislang ebenfalls eher selten: In Hamburg nahmen etwas mehr als ein Dutzend „Identitäre“ an einer Kundgebung teil, in Berlin ließ sich eine ähnlich große Anzahl vor dem Brandenburger Tor photographieren. Bei einem Auftritt in der Bezirksverordnetenversammlung Reinickendorf waren es sogar nur drei junge Männer, die aufgeregt ein Transparent in die Kamera hielten, mit dem Sie gegen die Aufnahme von Flüchtlingen protestierten. Auch die oft behauptete Professionalität, mit der die Aktivisten das Internet, insbesondere soziale Netzwerke nutzen, erscheint bei genauem Hinsehen fragwürdig. Der Inhalt der regionalen Facebook-Seiten ist oft ähnlich, die 4000 „likes“ der Hauptseite relativieren sich schnell, wenn man Vergleichsgrößen heranzieht. Ein Thüringer Jugendlicher bspw., der ein Lied über Thüringer Klöße schrieb, hat mehr als doppelt so viele „likes“ auf Facebook und etwa 100 mal so viele Klicks im deutschsprachigen Youtube, wie das erfolgreichste Video der „Identitären“. Auch in anderen sozialen Netzwerken wie tumblr, ask.fm oder twitter sind die „Identitären“ eher eine Randerscheinung. Hier von einer Bewegung zu sprechen bedient nur die Inszenierung.

2. Entwendungen

Was in vielen Kommentaren als neu bezeichnet wird, ist die Übernahme von gängigen popkulturellen Aktionsformen und Symbolen: Flashmobs, Harlem Shake, Guy-Fawkes-Masken und nicht zu vergessen „Lambda“, das Symbol spartanischer Krieger, bekannt geworden durch den Film „300“. Dabei ist die Tatsache, dass (neo)nazistische Gruppen und Bewegungen Symbole übernehmen und umdeuten keineswegs neu. Weder die Autonomen Nationalisten, noch die Nazi-Skinheads der 90er Jahre, ebenso wenig wie die historischen Nationalsozialisten verfügten über eine originäre Symbolsprache. Die Autonomen Nationalisten kopierten den linken Schwarzen Block, die rechten Skinheads besetzten Ausdrucksformen der britischen Arbeiterbewegung und die Nationalsozialisten der 30er Jahre imitierten u.a. Codes und Symbole der sozialistischen Arbeiterbewegung.

Der Zweck dieser Übernahme besteht zum einen darin, für möglichst viele Menschen anschlussfähig zu sein. Indem Ausdrucksformen verwandt werden, die für viele Leute alltagskulturell vertraut sind, sollen rechte Inhalte gerade im vorpolitischen Raum verbreitet werden.

Zum anderen sollen die historischen Bezüge eine Tradition herstellen, die  die Notwendigkeit und Legitimität der Praxis der „Identitären“ begründen soll. Diese Tradition soll nicht nur durch die Behauptung einer sprachlichen, kulturellen und ethnischen Kontinuität, sondern auch durch die gewählte Bildsprache produziert werden.

Es ist kein Zufall, dass die „Identitären“ sich in ihrem zentralen Symbol auf die spartanischen Krieger und die im Film „300“ zentrale Schlacht bei den Thermopylen beziehen. Soldatische Männer verteidigen eine straff organisierte, elitäre Gesellschaft, in der behinderte Kinder getötet werden, gegen eine übermächtige Invasion fremder in ihren Augen degenerierter Mächte und sterben lieber den Märtyrertod als vor dem Feind aufzugeben. Wie sich diese Märtyrer-Verehrung in das Selbstbild der „Identitären“ übersetzt zeigt ein Tweet, der die Teilnahme an einer Kundgebung wie folgt beschreibt: „Unsere Brüder haben den Antifaschisten gezeigt was wahrer Mut ist. Trotz enormer Unterzahl in die Höhle des Löwen.“

Das spartanische Kriegerideal ist im Übrigen immer wieder Bezugspunkt faschistischer und rechtsextremer Ideologie. 1944 benannte die SS eine Selbstmord-Fliegerstaffel nach Leonidas I., dem spartanischen König und Feldherren. Auch der Neonazi Michael Kühnen lobte Sparta als „bedeutendstes Beispiel (…) für den soldatischen Bereich“.

3. Nicht links, nicht rechts, sondern identitär?

Die „Identitären“ leugnen, rassistisch und rechts zu sein – mit Argumenten, die bereits 30 Jahren früher von Vordenkern der Neuen Rechten wie Alain de Benoist vorgebracht wurden. Und damals wie heute ist der Ethnopluralismus, den sie vertreten lediglich eine Modernisierung rassistischer Ideologie. Statt von Rassen reden die „Identitären“ von Kulturen und Völkern, die sich nicht vermischen dürfen. Wie einst die Soldaten Spartas, sehen die „Identitären“ sich heute als letzte Verteidigungslinie einer „ethno-kulturellen Identität“ gegen „Überfremdung, Massenzuwanderung und Islamisierung“. Auch dies ist ein traditionelles Moment rechtsextremer Ideologie: Der ethno-kulturelle Untergang, andere Gruppen sprechen vom „Volkstod“, droht unmittelbar und kann nur durch Entschlossenheit und Besinnung auf das Erbe aufgehalten werden. Rassismus erscheint hier als Notwehr.

Doch Tradition ist nicht Tradition und Identität nicht Identität. Es gibt kein positives Erbe, das es lediglich aufzubewahren gilt. Vielmehr wird das, was Tradition genannt wird, in der Gegenwart politisch bestimmt. Hier entscheidet sich, ob und welche historischen Ereignisse heute als Tradition wirksam werden, ob unsere Gegenwart bspw. in der Tradition des spartanischen Krieges gegen Persien oder des Spartacus-Aufstandes gegen Rom steht. Für die „Identitären“ ist diese Frage beantwortet und dies verweist auch auf die Identität, die sie bewahren wollen. Sie ist eine rückwärtsgewandte Identität, die davon ausgeht, „dass die Kultur und Sprache, über zahlreiche Veränderungen und Wandlungen, einen roten Faden und einen Wesenskern hatte“.

Auch dies ist ein sehr traditionelles, rechtes Verständnis von Identität als unveränderbarer Essenz und widerspricht einer offenen Bestimmung von Identität als Aufgabe, die vor uns liegt. Wer Identität so versteht wie die „Identitären“, produziert damit Ausschlüsse.

4. Was tun?

Für das Verständnis und die Kritik der „Identitären“ – oder anderer Formationen ähnlicher Art – ist es bedeutsam, sich nicht darauf zu beschränken, personelle Verflechtungen mit organisierten Rechtsextremen oder Parallelen zu offen rechtsextremen Organisation aufzuzeigen, sondern sie für das zu kritisieren, was sie tun und was sie sagen. Es gibt nicht erst mit den „Identitären“ autoritäre, rassistische, nationalistische und völkische Strömungen, die nicht in das Schema von NPD und Kameradschaften passen und die antifaschistische und zivilgesellschaftliche Praxis vor die Herausforderung stellt, einen angemessenen Modus der Kritik und Auseinandersetzung zu entwickeln.

Die „Identitären“ vertreten eine reaktionäre Vorstellung von Geschichte, Politik und Identität. Eine Entgegnung kann auf eine fortschrittliche, offene Bestimmung dieser Kategorien nicht verzichten.

Eine grobe Richtung für diese Bestimmung könnte ein Satz von Ernst Bloch weisen: „Die Menschen sind nicht fertig und die Welt ist nicht fertig.“

Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin

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