Als Gründer*innen ausgewiesen sind Dr. Bodo Schiffmann, Victoria Hamm und Ralf Ludwig.
Bodo Schiffmann, HNO-Arzt und Betreiber einer privaten, auf Schwindel spezialisierten Praxis, kam nach Hamm erst später als benötigter Prominenter dazu. Bekannt wurde dieser im letzten Monat durch seine täglichen Youtube-Videos zur Corona-Krise, mit denen er teilweise deutlich über 200.000 Klicks erreicht. In den Videos präsentiert er eine Mischung aus einseitig dargestellten bis verzerrten Fakten, falscher Zitation und fehlerhaften Schlussfolgerungen, Unwahrheiten bis hin zu Verschwörungstheorien. So spricht er wiederholt von Covid-19 als Erkältung beziehungsweise gar nicht mehr existent und behauptet, erhöhte Sterberaten entstünden, wenn überhaupt, durch eine Massenpanik aufgrund der Eindämmungsmaßnahmen. Außerdem sei das Grundgesetz ausgesetzt und die Regierung handele undemokratisch. Hier legt er Vergleiche mit DDR und NS-Regime nahe und fordert juristische Belangung der Politik. Abgerundet wird dieses verschwörungsideologische Bild durch die Selbstbezeichnung als „kritischer Querdenker“ (inklusive Aufruf, eine zerknüllte Alu-Kugel um den Hals zu tragen, um mit Gleichgesinnten ins Gespräch zu kommen – den (so nennt er es) „Querdenkerbommel“) und Interviews mit einschlägig bekannten verschwörungsoffenen Medien wie „KenFM“, „Rubikon“ oder „NuoViso“, aber auch der dem iranischen Regime nahestehenden Plattform „Muslim-Markt“.
Ralf Ludwig ist nach eigenen Angaben Rechtsanwalt. Erstmals ist er Anfang Mai als Redner bei der sogenannten „Querdenken 711“-Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Stuttgart aufgetreten, wo er dazu aufrief, sich die individuelle Freiheit und Selbstverantwortung zurückzuholen.
Die Frau im Bunde, Victoria Hamm, nach eigenen Angaben 36-jährige Psychologie-Studentin und Unternehmerin, bezeichnet sich auf der „Widerstand2020“ Webseite als „nur ein Mensch“ und scheint den Großteil der Verwaltungsarbeit zu übernehmen. Hamm, die auch die Facebook-Seite der selbsternannten „Mitmachpartei“ betreut, schreibt dort bezüglich Bill Gates man „kämpfe[…] doch genau GEGEN ihn und seine Vorhaben” – Hintergrund ist wohl die Verschwörungsideologie, dass dieser die Corona-Krise verschulde. Auf ihrer privaten Seite teilt sie Beiträge, die von „Asyl-Invasoren”, und den „Politiker[n] dieser Sozialistischen Diktatur und Bilderberg-Weltregierung” handeln.
Alle drei geben aber an, eigentlich unpolitisch zu sein und nennen als Anstoß für ihren Aktivismus beispielsweise, dass sie nahe Familienmitglieder nicht mehr besuchen dürften.
Was will „Widerstand 2020“?
Dieses „Eigentlich unpolitisch“-Sein ist auch das bisher ausgesprochene Hauptmerkmal von „Widerstand2020“. Bei der Suche nach konkreten inhaltlichen Forderungen findet man auf der Website nämlich: nichts. Sie besteht aus einer diffusen Mischung von großen Ankündigungen, unkonkreter Anklage und als persönliche Meinung ausgewiesenen Ideen. So wolle man „tatsächlich ein Ziel der Menschlichkeit“ verfolgen, eine „wahrhaftige Demokratie“ anstreben und „wirklich innovativ und modern“ arbeiten. Um in Deutschland bei Entscheidungen mitreden zu können, brauche man „leider […] sehr viel Geld oder eine sehr große Partei“ und den anderen Parteien gehe es auch nur „vorwiegend um Macht und Geld“. Es zeigt sich – beispielsweise im Aufruf parteienrechtlich unerlaubter anonymer Spenden – nicht nur völliges Unverständnis des politischen Systems, sondern besonders in der Darstellung von „Politiker[n] fernab von der normalen Bevölkerung“ deutlich Populismus. Folgerichtig eindeutig wird – wie auch der Name schon nahelegt – eine bloße Ausrichtung ‚dagegen‘: „Widerstand gegen den politischen Umgang, den wir gerade erleben, gegen das Außerkraftsetzen unserer Grundgesetze und gegen die Machtausnutzung unserer Regierung“, als entscheidend für die Gründung wohl konkret gegen die vermeintlich falschen Maßnahmen der Regierung(en) gegen Covid-19 und das eigene „machtlos fühlen“.
Auf weitere Forderungen oder Standpunkte kann oder will sich (angeblich noch) nicht geeinigt werden. Bei jeder weitergehenden inhaltlichen Aussage wird dieselbe bereits im Vorhinein als rein persönliche Meinung kenntlich gemacht und stets betont, dass wirklich alles letztendlich gemeinsam entschieden würde. Dies soll über Schwarmintelligenz geschehen, wo genau der Unterschied zur allgemein genutzten Mehrheitsabstimmung liegen soll, bleibt unklar. Die vermeintliche Intelligenz „des Schwarms“, also einer bloßen Masse an Menschen, wird hier indirekt dem Entscheiden nach Anhörung von Expert*innen entgegengestellt. Sie ist also als tendenziell wissenschaftsfeindlich einzuordnen.
Nach den Gründer*innen aber gehe es darum, dass jede*r sich einbringen könne und kaum eine Ansicht falsch oder richtig sei. Wie das (nicht) funktioniert, zeigt sich bezüglich des Parteinamens (der anscheinend bei einigen Interessent*innen auf Kritik stieß): Das Wort Widerstand sei wertfrei und solle daher auch nicht in „eine selbst erschaffene Schublade [ge]steckt“ werden. Eine Diskussion darüber sei außerdem „kontraproduktiv, denn wir müssen alle gemeinsam hinter- und nebeneinander stehen“. Jegliche Meinungen sollen also unbedingt geäußert werden, eine kritische Diskussion hierüber aber zugunsten des Zusammenhalts dann (erstmal) nicht geführt werden.
Unter den weiteren auf der Webseite veröffentlichten Statements finden sich Plattitüden zu Bürgernähe, Transparenz und Bildung, sowie – in keiner Weise neue – Themen aus dem Feld der Ökologiebewegung wie Nachhaltigkeit, Tierschutz und Gesundheitssystem. Dazu kommen weitere populistische Forderungen wie „Moral vor Politik“ oder ein Ende des „Kampf[es] der Lobbyisten um die Fleischtöpfe in Berlin“ und auch rechte Ideen, wenn beispielsweise dafür gekämpft werden soll, dass „nicht einfach jeder ohne Weiteres in unser Land ziehen kann“ oder dagegen, „anderen Ländern, die selbst unglaublich schlecht gewirtschaftet haben, zu helfen“. Darüber hinaus werden demokratische Prinzipien des bestehenden Systems in Frage gestellt, beziehungsweise in typisch populistischer Manier als wahlweise mangelhaft, ausgesetzt oder missbraucht dargestellt. Zum Beispiel solle das Grundgesetz so geändert werden, dass Freiheit über allem stehe und in Notsituationen eine Zusammensetzung von Bürger*innen, die mindestens fünf Jahre nicht politisch tätig waren, anstelle des gewählten Parlaments regieren solle. Bei allen Aussagen wird insbesondere das Andersdenken betont und erscheint teilweise wie auch schon im Parteislogan letztendlich als Selbstzweck.
Wie wird „Widerstand 2020“ aufgenommen?
Größtes Potenzial hat „Widerstand2020“ wohl bei selbsternannten „Corona-Rebellen“ – also den Menschen, die gerade auf die Straße gehen, weil sie Freiheitsverluste spüren, sich ohnmächtig fühlen, frustiert sind – und zur Lösung dieses Problems simplen und irrationalen Erklärungen hinterherlaufen. Folgerichtig wird die Parteineugründung gerade bei den vielerorts stattfindenden Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen euphorisch aufgenommen. Weitere Bestätigung für die Relevanz der eigenen Bewegung gibt die Webseite, nach der bereits die Marke von 100.000 Mitgliedern erreicht sein soll. An der Richtigkeit dieser Angabe bestehen allerdings große Zweifel, nach Anonymous seien bis zu 95 Prozent der Anmeldungen automatisch generiert und damit gefälscht (siehe „Anonymous Germany“). In der Facebook-Gruppe für bestätigte Mitglieder finden sich dann auch nur noch knapp über 4000 Personen. Ebenso ist alles andere als klar, ob „Widerstand2020“ überhaupt die Voraussetzungen zur Anerkennung als Partei erreicht. Im Interview mit dem verschwörungsideologischen „NuoViso-TV“ gab sich „Parteivorstand” Victoria Hamm empört: Es sei ihnen nicht klar gewesen, dass Menschen bei einem ungeprüften Verfahren auf die Idee kommen könnten, etwa ihre Haustiere anzumelden. Nun soll es ein neues Parteimitgliedsverfahren mit Prüfung geben. Außerdem äußert sie sich zu den anonymen Parteispenden, zu denen „Widerstand2020“ aufrief: Sie sei davon ausgegangen, dass Menschen eh nicht mehr als 200 Euro spenden, und das dürfe man ja auch anonym. Selbst der Moderator von „NuoViso-TV“ reagiert angesichts der Naivität dieser Aussagen verblüfft.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob „Widerstand2020“ es auf Dauer schaffen kann, das diffuse Unbehagen der Leute zu kanalisieren und so den zersplitterten Protest zu vereinen. Wie an der Bandbreite von auf der Webseite dargestellten ‚Meinungen‘ schon deutlich wird, sind die Anhänger*innen politisch nicht einfach einzuordnen. Das gilt ebenso für die Demonstrationen, bei denen sich rein privat Unzufriedene aber auch einschlägig bekannte Verschwörungstheoretiker*innen versammeln, Esoteriker*innen und Impfgegner*innen genauso wie Rechtsradikale, darüber hinaus selbsternannte Linke und ‚Unpolitische‘. Am ehesten lässt sich dies wohl als Querfront – in diesem Fall zu Corona – fassen.
Wie bei vorherigen Erscheinungen dieses Feldes – zum Beispiel die „Montagsmahnwachen für den Frieden“ 2014 – bereits zu beobachten, neigt das Milieu dazu sich bezüglich der verbreiteten Verschwörungstheorien zu radikalisieren und nach Rechtsaußen mindestens offen zu sein. So auch jetzt: Widerstand2020 wird insbesondere auf verschwörungstheoretischen Plattformen wie KenFM beworben und in rechtsextremen Kreisen, beispielsweise bei der Identitären Bewegung, als hilfreich für die eigenen Zwecke gesehen.
Rechtsextreme sehen „Widerstand 2020“ als Chance – Abgrenzung fehlt
Die Reaktion vonseiten der Gründer*innen ist bezeichnend: Kein Wort der Abgrenzung, sondern stattdessen weiter Betonung der gemeinsamen Ziele. Besonders zeigt sich das in einem Livestream von Schiffmann auf dessen Youtube-Kanal. Hier mahnt er an, jede Meinung zu respektieren und aufzuhören, in Schubladen zu denken. Man solle sich vorerst gemeinsam auf die Wiedererlangung der Freiheit besinnen, alles Weitere käme dann. Diese Aussage wiederholt er in Bezug auf Martin Sellner – bekanntestes Gesicht der Identitären Bewegung. Auf den Hinweis, dass dieser rechtsextrem sei, antwortet er mit einem Gesprächsangebot – an Martin Sellner. Man solle lieber miteinander reden, als übereinander, um nicht voreilig zu verurteilen. Mit Sellner wird deutlich, dass also wirklich jede Meinung – auch wenn sie menschenfeindlich und antidemokratisch ist – zu respektieren und deren Vertreter*innen nicht in („selbstgemachte“) Schubladen zu stecken sei.
Dass die rechtsradikalen Teile der Klientel schon jetzt stark präsent sind, zeigt sich an dem offensichtlich massiven Rücklauf, den Schiffmann für Bemerkungen zu Migration bekam. Seine als befürwortend verstandene Aussage bemühte er sich schleunigst zu relativieren, ebenso betonte Victoria Hamm auf der offiziellen Facebook-Seite, dass dies bloß seine eigene Meinung sei, die auf keinen Fall die Linie der Partei bestimme.
Durch diese fehlende Abgrenzung und völlige Entpolitisierung wird es den erfahrenen rechtsextremen und verschwörungsideologischen Akteuren besonders leicht gemacht. Bei Facebook nennt sich beispielsweise bereits eine Gruppe sächsischer Rechtsradikaler mit Hintergrund in NPD, AfD, Pro Chemnitz und Pegida „Landesverband von Widerstand2020“. Wohl ein Beispiel von Unterwanderung, da hier schon eine ausgearbeitete Satzung – größtenteils übernommen vom unerfolgreichen eigenen Projekt „Bürgerinitiative Sachsen“ – vorliegt (siehe „Informationsdienst zur AfD in Sachsen“). Die AfD selbst – bisher nicht fähig, das antidemokratische Potenzial der Demonstrationen für sich zu nutzen (weiter ausgeführt bei „Correctiv“) – zeigt sich anders zwiegespalten: Manche können sich eine Kooperation vorstellen oder streben eine Übernahme an, andere sehen eher Konkurrenz und betonen eine Alleinstellung der AfD als ’neue und andere‘ Partei.
Wie geht es weiter für den „Widerstand 2020“?
„Widerstand2020“ sollte auch von kritischer Seite nicht überschätzt werden, da der vermeintliche Erfolg offenkundig auf falschen Mitgliedszahlen beruht und zudem alles andere als sicher ist, dass sich die Initiative auf Dauer halten kann. Die stümperhafte Vorgehensweise könnte verhindern, die Hürde zur tatsächlichen Anerkennung als Partei zu nehmen, vielleicht auch Interessierte außerhalb des angestammten Verschwörungsmilieus letztendlich abschrecken. Einige Radikale hieraus meinen dagegen sowieso bereits festgestellt zu haben, dass „Widerstand2020“ auch nur ‚gelenkte Opposition‘ sei.
Hier zeigt sich schon die Kurzlebigkeit des angemahnten Wir-Gefühls: Wird anfangs zwar laut ein Zusammenstehen gewünscht, wenden sich die jeweiligen Gruppen oder Personen aber doch schnell ab, wenn sie ihre Position nicht durchgesetzt bekommen. Zudem stehen Verschwörungstheoretiker*innen unter enormen Druck, stets neu ihre nicht eingetretenen Prophezeiungen zu erklären. Die einzig klare inhaltliche Forderung des „Widerstand2020“ nach Maßnahmenlockerung könnte sich darüber hinaus ebenfalls als von schnell vorübergehender Relevanz erweisen, wenn die persönliche Dringlichkeit wegfällt (weil beispielsweise die Verwandten wieder besucht werden können).
Aber auch wenn zu bezweifeln ist, dass „Widerstand2020“ auf Dauer die große Bandbreite von Unzufriedenen bis Radikalen an sich binden kann, birgt es als Plattform die große Gefahr, neue Anhänger*innen für das verschwörungsideologische Milieu oder die rechtsextreme Szene zu produzieren. So ist der Weg von Sorge und Ärger über eine beängstigende und nicht ganz fassbare Situation, gekoppelt mit verkürztem bis falschen Verständnis des politischen Systems, zu verschwörungsideologischen Erklärungsansätzen nicht weit. Bewegt man sich dann in einem Milieu, das von Verschwörungstheoretiker*innen und Rechtsextremen – erfahrungsgemäß immer die Lautesten – dominiert wird, ist nahezu sicher in welche Richtung man sich bewegt. Eine Radikalisierung wird dann gerade durch fehlende Abgrenzung nach Rechtsaußen und internen Anpassungsdruck einer Gruppe – das angepriesene Zusammenstehen, sowie geforderte Anerkennen und Wertschätzen aller Meinungen – noch befördert (gut beschrieben bei „Volksverpetzer“).
Update vom 11.05.20:
Bereits seit dem 8. Mai ist von Gründerin Victoria Hamm auf der Webseite von „Widerstand2020“ keine Spur mehr zu finden. Auch ihre Posts auf der offiziellen Facebook-Seite wurden gelöscht. Sowohl sie, als auch beide anderen „Vorsitzenden“ geben an, dass sie ihren Rücktritt eingereicht habe. In einem Statement auf Youtube sprechen Bodo Schiffmann und Ralf Ludwig ihren Dank aus und geben an, hieraus und aus eventuellen Missverständnissen und Fehlern lernen zu wollen. Auf ihrer privaten Facebook-Seite schreibt Hamm von Entscheidungen mit denen sie sich nicht identifizieren könne, zudem bedauert sie, dass die „strikt basisdemokratischen Entscheidungsprozesse […] in diesem rasanten Aufbau wohl leider nicht möglich“ seien. Die genaueren Umstände bleiben im Unklaren.
Update vom 15.06.20
Nachdem verschiedenste Funktionär*innen der Partei von ihren Posten zurückgetreten waren, darunter Bodo Schiffmann, der die Partei sogar vollständig verließ, wurde am 14.06. beschlossen die Partei aufzulösen und am 27.06. neuzugründen. Nur so könnten formale Fehler und eine daraus entstehende Bedrohung der Wahl-Zulassung vermieden werden.