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Wie die AfD mit parlamentarischen Anfragen Politik und Stimmung macht

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(Quelle: Pixabay / Pexels)

Vom Recht, der Regierung Fragen zu stellen, macht traditionell vor allem die Opposition Gebrauch – es ist ein Instrument parlamentarischer Kontrolle. Die AfD hat daran offenbar großen Gefallen gefunden. Sie nutzt parlamentarische Anfrage, um unliebsame politische Gegner, Geflüchtete, Muslime, aber auch Sinti und Roma zu diffamieren. Schaut man sich die Anfragen der AfD an, fällt auf, dass diese in den meisten Fällen immer erstaunlich kurz sind und offenbar nur mit Minimalaufwand erstellt wurden. Die AfD-Abgeordneten versuchten sich selbst als „Anwälte der Bürger*innen“ darzustellen, beispielsweise in dem sie aufzuzeigen versuchen, an welchen Punkten der Staat vermeintlich Steuergelder verschwendet. Auffallend ist jedoch, dass die Anfragen, sowohl auf Bundes- wie auch auf Landesebene oft laienhaft wirken und letztendlich wohl nur provozieren sollen.

Der AfD geht es dabei vor allem darum, Material für ihre Kampagnen gegen Geflüchtete oder Gegner*innen zu erhalten. Sie appelliere – auch in den Anfragen – an Emotionen wie Angst und Bedrohung und will sie über die Antworten bestätigt bekommen,  so Dr. Gerd Wiegel, Politologe und Referent für Rechtsextremismus für Die Linke im Bundestag gegenüber Belltower.News. „Primär sammelt sie Material, um ihre rassistischen Vorstellungen zu untermauern und über ihre Medien wie Social Media, ‘PI-News’ und ‘Compact’, zu verbreiten“.

 

Zeitverschwendung und Blockade der Verwaltung

Im November 2016 stellte die AfD in einer großen Anfrage insgesamt 630 Fragen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk an die Landesregierung in Sachsen. Neben detaillierten Fragen wurden von der AfD auch solche aufgeworfen, die leicht zu recherchieren gewesen wären, zum Beispiel nach der Anzahl der öffentlich-rechtlichen Sender (die AfD beantwortet sich diese Frage im übrigen ein paar Seiten später selber). Sobald eine kleine oder eine große Anfrage an eine Regierung geht, ist es Priorität der Verwaltung diese zu beantworten. Das bedeutet, die zuständigen Mitarbeiter*innen müssen die Anfrage bearbeitet und kommen dann im Zweifel nicht dazu, ihren anderen Aufgaben nachzugehen.

 

Der Wunsch der AfD nach Zählungen

Ähnlich verhält es sich mit deiner kleinen Anfrage der AfD-Politikerin Corinna Herold von 2015, in der sie von der Thüringer Landesregierung wissen wollte, „wie viele Homosexuelle, Bi- und Transsexuelle, Transgender und intergeschlechtliche Menschen in Thüringen leben.“ Außerdem wollte  sie von der Regierung erklärt bekommen, warum diese Menschen als „besonders schutzbedürftig“ eingestuft werden. Wie bei vielen Anfragen der AfD, war auch in diesem Fall die Empörung groß. Alle Parteien im Parlament äußerten sich kritisch bis entsetzt zu dem Vorstoß Herolds. Thüringens SPD-Fraktionschef Matthias Hey entgegnete der AfD, sie selbst mögen bitte nicht mit ihren „unsinnigen Anfragen“ Zeit und Geld verschwenden. Und in der Tat hätte die AfD-Frau wissen müssen, dass es weder in Thüringen noch sonst wo in der Bundesrepublik Listen mit der sexuellen Orientierung von Bürgern  gibt – „und das ist gut so“, wie es in der gelungenen Antwort der Landesregierung heißt.

Eine ähnlich abscheuliche Anfrage stellte ein sächsischer AfD-Landtagsabgeordneter Mitte Juni dieses Jahr der Landesregierung. Er wollte wissen, wie viele Sinti und Roma in Sachsen leben. Allerdings dürften auch seine Aussichten auf Antworten ziemlich erfolglos sein, schließlich werden in Deutschland keine Ethnien gezählt. Dementsprechend kann die Landesregierung hier gar keine Antworten liefern, weil es schlicht keine Zahlen dazu gibt.

AfD-Anfrage: Wie viele Sinti und Roma leben in Sachsen?

Die AfD hat rausgefunden, dass fast ausschließlich Rechtsextreme mit Sprengstoff erwischt werden

 

Muss der Bund und Landesregierungen solche Anfragen beantworten?

Christian Schulze aus der Presseabteilung des sächsischen Landtags erklärte gegenüber Belltower.News, dass es laut der Geschäftsordnung keine explizite Regelung gebe, wonach potentiell rassistische Anfragen abzulehnen wären. Der Landtagspräsident könnte eine Anfrage als unzulässig einstufen, sollte sie etwa eine strafbare Äußerung sein, wie etwa Beleidigung, Leugnung des Holocaust oder Verletzung Persönlichkeitsrechte Dritter.

 

Untersuchungsausschuss „Merkel“?

Kosten der Flüchtlingspolitik, unberechtigte Anerkennungen, Gewalt unter Migrante*innen oder gegen andere sind zentrale Themen der AfD, damit macht sie Stimmung und letztendlich auch Politik. Auch mit Anfragen versucht die AfD diese für sie zentralen Politikfelder in die öffentliche Debatte zu bringen. Allein die Verteilung der Anfragen zeigt, dass das Themenfeld Migration/Flucht/Asyl für die AfD absolut zentral ist, meint Dr. Gerd Wiegel.

Am 22. März stellte die AfD im Bundestag eine kleine Anfrage, die in aller Deutlichkeit zeigt, welch Geistes Kind die AfD ist: Die Fraktion wollte von der Bundesregierung wissen, wie viele Menschen in Deutschland als schwerbehindert gelten, um dann Mutmaßungen über die Auswirkungen „inzestuöser Verhältnisse“ innerhalb Migranten-Familien anzustellen. Die Fragen der AfD suggerieren dabei, dass die Zunahme an Menschen mit Behinderung an den Geflüchteten liege, die angeblich Ehen innerhalb der Familien eingingen, was wiederum zu „Inzest“ und Behinderungen führe.

Die widerliche Anfrage der AfD im Bundestag zu Behinderten, Migranten und Inzucht

Die AfD setzt gezielt Anfragen als politisches Mittel ein, um ihre Kampagnen zu füttern – das ist ein durchaus legitimes Mittel, das so auch von anderen Parteien genutzt wird.  Doch der AfD geht es in ihren Anfragen vor allem darum, alle vermeintlich schlechten, problematischen Seiten der Migrations- und Flüchtlingspolitik herauszustellen, bemerkt Wiegel. „Ein Untersuchungsausschuss ‘Merkel’, d.h. zur Flüchtlingspolitik der Kanzlerin, ist ein zentrales Ziel der AfD in der Wahlperiode.“ Viele Anfragen aus diesem Bereich auf Bundesebene hätten die Funktion, das vorzubereiten, vermutet Wiegel.

 

Einschüchterungs- und Diskreditierungs-Versuche

Im Mai 2018 stellt der ziemlich weit rechts-außen Jura-Professor Ralph Weber eine kleine Anfrage an die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern, darin wollte er etwas über die Migrantenselbstorganisationen MIGRANET-MV in MV erfahren. Speziell hat er Fragen zur Finanzierung. Ende 2017 stellte die AfD-Fraktion in Sachsen-Anhalt 236 Fragen über „Miteinander e.V.“. Der gemeinnützige Verein arbeitet gegen Rassismus, Antisemitismus und alle anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die zu Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt führen- und das passt der AfD offensichtlich nicht. Vor allem will die Partei wissen, unter welchen Umständen die Gemeinnützigkeit des Vereins aberkannt werden könnte. Das würde das Ende des Vereins bedeuten. (Hier lesen Sie die Antwort der Landesregierung.)

Im Bund fragte die AfD nach der „Förderung der Publikation ‚Aktivitäten gegen den ‚Gender-Wahn‘‘ durch das Bundesprogramm ‚Demokratie leben!‘“ umso die Verwendung öffentlicher Mittel für solche Publikationen zu skandalisieren. Ähnlich erging es weiteren Publikation. Die Aktion „Reconquista Internet“, die sich gegen rechte Hetze im Netz richtet, provozierte ebenfalls eine Anfrage der AfD. Wie sollten Medien mit den menschenfeindlichen Anfragen der AfD umgehen?

Eine zentrale Frage ist, wie Medien mit diesen Anfragen umgehen sollten. Berichten und der AfD so ihr die so sehr gewollte Aufmerksamkeit verschaffen oder nicht berichten und somit die Grenzen des Sagbaren erweitern? Viele Anfragen der AfD verfolgen sicherlich nur das Ziel Aufmerksamkeit zu erzeugen, besonders die, die eh nicht beantwortet werden können. Doch wenn man auch solche Anfragen unkommentiert lässt, tragen die Medien selbst zu einer Normalisierung menschenverachtender Thesen und einer rechten Diskurs-Verschiebung bei. Umso wichtiger ist es, der AfD zu widersprechen und dagegen zu argumentieren.  Wenn über skandalöse Anfragen berichtet wird, sollten Medien die Fragen immer in einen Kontext setzen und überlegen was damit eigentlich bezweckt werden soll. Besonders wichtig, doch häufig vergessen ist die Solidarität mit Betroffenen, die von der AfD eingeschüchtert und diskreditiert werden.

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