In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch (Deutsche Zeit) hat eine Frau am Firmensitz von YouTube im US-amerikanischen Silicon Valley um sich geschossen, drei Menschen verletzt und anschließend sich selbst erschossen.
Schnell wurde bekannt, die im Iran geborene Nasim Aghdam, selbst YouTuberin, war wütend auf die Internetplattform. Die homophobe US-Amerikanerin hatte persische Wurzeln, war Tierschutzaktivistin, und eine Frau – angesichts der brutalen Tat vielleicht nicht besonders relevante Details, wäre da nicht die überaus laute Alt-Right-Bewegung in den USA. Die legt je nach vorhandenem Vorurteil die Tat der eigenen Sache möglichst dienlich aus: Mal ist die Täterin eine Märtyrerin für Meinungsfreiheit, die dann aber von einigen belächelt wird, da sie es als Frau ja nicht mal schafft, ein ordentliches Massaker zu begehen, dann ist sie eine böse linke Aktivistin, Muslimin, in erster Linie Migrantin und für einige ist sie nicht mal eine “echte” Frau. Die verschiedenen Interpretationen werden stets so gelegt, dass sie ins eigene Weltbild passen.
Was wir über die Motive der YouTube-Schützin wissen
Die 39-jährige Aktivistin, Veganerin und Bodybuilderin war offenbar im Iran und in der Türkei ein Socialmedia-Star, mit zahlreichen Follower_innen auf ihrem Youtube-Kanal. Die Baha’i-Gläubige bemängelte, sie würde für ihre Videos nicht angemessen vergütet. Außerdem würden ihre Videos von der Internetplattform zensiert. YouTube habe ihr Leben zerstört, soll sie gesagt haben, da das Unternehmen nicht für ihre Inhalte gezahlt habe. Auf ihrer Webseite erhob sie weitere Vorwürfe: YouTube habe ihre freie Meinungsäußerung unterdrückt, etwa, indem sie Altersbegrenzungen vor ihre Videos geschaltet hätten.
Darauf folgt ein falsch und verkürzt wiedergegebenes Hitler-Zitat: „Mach aus der Lüge eine große, halte sie einfach und sag es immer wieder. Irgendwann werden sie es glauben.“ Tatsächlich gibt es eine Passage in Adolf Hitlers „Mein Kampf“, die so ähnlich klingt, allerdings wirft er diese Taktik dort Juden und Jüdinnen in Wien vor, statt sie auf sich zu beziehen. Weiter fabuliert Aghdam davon, dass es „keine Meinungsfreiheit“ in der „echten Welt“ gäbe und man „unterdrückt“ werde, wenn man „die Wahrheit ausspricht, die das System nicht unterstützt.“
Screenshot von Aghdams Webseite
Vergangenes Jahr änderte YouTube seine Richtlinien: In „Videos mit Inhalten, bei denen der Fokus auf Blut, Gewalt oder Verletzungen liegt und die ohne Kontext präsentiert werden“, dürfe laut der neuen Richtlinie keine Werbung eingeblendet werden. Offenbar bewegten finanzielle Gründe YouTube dazu, diese Richtlinienänderung durchzuführen, die von einigen Standpunkten durchaus zu kritisieren ist (etwa aus der Gaming-Community oder von Kriegsberichterstatter_innen). Zudem behält sich die Internetplattform weiterhin das Recht vor, Videos zu löschen und Kanäle zu sperren, wenn sie den hauseigenen Richtlinien widersprechen.
Die Reaktionen der rechten Twitter-Community
Betrachtet man die Twitter-Reaktionen der größtenteils amerikanischen User_innen nach der Gewalttat, findet man unterschiedlichste Ansätze, die die Tat zu erklären versuchen. Die verschiedenen Erklärungsansätze geben unterschiedliche Einblicke in die Absichten der Absender_innen und ihrer Vorurteile.
#CensorshipKills: Aghdam als „politische Kämpferin“
Die bisher prominenteste Deutung der Ereignisse findet sich unter dem Hashtag #CensorshipKills. Größtenteils Alt-Right-Aktivist_innen (doch nicht ausschließlich) stilisierten die Schützin zum ersten blutigen Opfer im Kampf um die Meinungsfreiheit. Aghdam wird hier zur „politischen Kämpferin“ gemacht.
Screenshot Twitter
Screenshot Twitter
Doch wie soll die rechte Blase damit umgehen, dass die Schützin POC war?
Eine rechte YouTuberin, die den Islam gerne als politische Ideologie beschreibt und den Propheten Mohammed als „kriegshetzerischen Pädophilen“ bezeichnet, meint in diesem Zusammenhang müsse man sich darauf fokussieren, dass Aghdam wütend darüber war, dass sie angeblich ihre freie Meinung nicht mehr äußern durfte.
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Die Schützin war keine Muslima
Andere verweisen darauf, dass Aghdam keine Muslima war, sondern Anhängerin des Bahaitums.
Screenshot Twitter
Nasim Aghdam war keine Muslima. Doch dass sie in jungen Jahren aus dem Iran in die USA immigrierte, ist für einige Rassist_innen ein gefundenes Fressen und Grund, über das Einreiseverbot von Muslimen zu sprechen und eine Verschärfung zu fordern.
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„Geschlechtergerechtigkeit bei Amokläufen“
Die reichweitenstarke rechte YouTuberin Lauren Rose freut sich über weibliche Repräsentation in der eigenen Sache.
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Aghdam als Transfrau
Andere wiederum spekulieren, dass Aghdam eine Transfrau sei und rufen zum Kampf gegen die „Homo-Lobby“ und gegen den Feminismus auf.
Screenshot Twitter
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Die Schützin als linke Aktivistin
Andere rechte Aktivist_innen behaupten, Aghdam sei eine linke Aktivistin gewesen, da sie sich für Tierrechte eingesetzt hat und Veganerin war. Donald Trumps Jr. etwa fragt rhetorisch, wie wohl die Reaktionen auf die Schießerei gewesen wären, würde es sich um ein Mitglied der Waffenlobby handeln und nicht um eine „liberale vegane PETA-Aktivistin“.
Screenshot Twitter
Angefangen bei ihrem Geschlecht, passt die YouTube-Schützin nicht in das „klassische Bild“ eines Amokläufers. All die unterschiedlichen Antworten auf die schockierende Gewalttat wollen ihre ganz eigene Geschichte verbreiten und nutzen die Motive der Täterin für ihre Ziele. Aghdam war eine Frau, die offenbar aus einem Wahn heraus, an einem öffentlichen Ort begann um sich zu schießen und die Waffe letztendlich gegen sich selber richtete. Nur mit Glück ist sie nicht zur Mörderin geworden.